Neue Reihe „Nachtmusik“ in der Philharmonie
Gregor Schwellenbach spielte „Kompakt“
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Es gibt sie, diese ganz besonderen Momente mit Musik. Einer davon passierte im RWE-Pavillion bei der Eröffnungsveranstaltung der neuen Reihe „Nachtmusik“:
Ein DJ füllt den Saal mit Sphärenklängen und trancigen Beats. Atmosphärisches Licht hilft beim Eintauchen. Man gibt sich der Stimmung hin, einige tanzen. Sanft wird jetzt das Bühnenlicht aufgeblendet. Fast unwirklich wirkt der fließende Übergang, in dem alles anders wird: Ein Streichquartett auf der Bühne fängt lyrisch zu spielen an und wird auf Anhieb zum beherrschenden Mittelpunkt. So, als würden Clubsound und Kammermusik schon auf ewig zusammen gehören!
Gregor Schwellenbach ist der Maestro am Flügel. In seinem Spiel finden Jazz-Synkopen, Figuren der Minimal Music und klassische Melodik selbstverständlich zusammen. Unterstützend wirkt Vibrafonspieler Norbert Krämer, der manchmal auch im Hintergrund die Bassdrum schlägt, während das extrem präzise Spiel von Constanze Sannemüller und Yanet Infanzón, Violinen, Radek Stawarz, Viola und Philipp Matthias Kaufmann immer neu und immer intensiv aufblüht. Melancholische Harmonien, lyrische Spielfiguren, die zuweilen an die musikalische Cineastik eines Michal Nyman erinnern, breiten sich im Raum aus. Spürbar ist: Die Kraft diese Spiels liegt im scheinbar Einfachen, aus dem umso mehr Beredtsames erwächst. Aber dahinter stehen immens ausdifferenzierte musikalische Ideen und Klangvorstellungen. Und das, was ist einem Techno-Stück oft brachial in einem Viererbeat getaktet daherkommt, offenbart jetzt viel komplexere rhythmische Muster. Was sonst Maschinen generieren, ist für die hier leibhaftig versammelten Spieler eine immense Herausforderung in Punkto Timing und Präzision.
Gregor Schwellenbach erzählt in Essen ausgiebig die erstaunliche Geschichte hinter diesen Musikstücken. Da kam Ende der 1980er Jahren ein wilder Haufen Freejazzer, Elektronikfreaks und sonstige Musikverrückter zusammen. Die Leidenschaft für eine gemeinsamen Sache in der Kölner Musikszene brachte Beständiges hervor: Nämlich das Kompakt-Label, das heute eine der weltweit ersten Adressen in Sachen elektronischer Tanzmusik ist. Schwellenbach, der klassische Komposition studierte und sich – nicht nur- als Filmkomponist, Theatermusiker, musikalischer Betreuer von Jazz-Kreuzfahrten kreativ ins Musikleben einbrachte, rückt dem breiten musikalischen Reichtum dieses Labels pianistisch und kompositorisch zu Leibe.
Sein Credo: „So unverrückbar die Limitationen elektronischer Tanzmusik sind (4/4-Takt, tanzbares Tempo zwischen 110 und 130 bpm, durchgehende Bassdrum auf jeder Viertel) so frei darf man sich innerhalb dieser Grenzen bewegen.“. Seine Forschungsfrage: „ Wäre diese Feier von Spieltrieb und Experimentierfreude auch in einem völlig anderen Kontext zu identifizieren?“
Der Gestus der live gespielten Stücke wirkt trotz aller Vielgestalt so, dass nicht neutönerische Grenzerfahrungen, sondern emotional direkte Botschaften die Folge sind. Die einstigen Hymnen aus dem Kölner Elektronik-Kosmos werden vom Publikum in Essen dementsprechend wiedererkannt - und begeistert gefeiert! Auch wenn die Stücke vielfach jetzt wie das pure Gegenteil ihrer „Originale“ wirken und meist oft näher an der Klassik als am Techno dran sind.
Nach diesem erfolgreichen Auftakt geht es im Januar weiter mit Nachtkonzerten in der Essener Philharmonie. Mitgestalter ist übrigens das Institut für Popularmusik der Folkwang-Hochschule. Dessen Leiter Hans Nieswandt legt selbst im RWE-Pavillon auf.
Zum Termin am 30. Januar 2016 steht die Arbeit des experimentierfreudigen Bochumer/Berliner Denovali-Labels auf der Agenda. „Petrels", das Soloprojekt von Elektronik-Tüftler Oliver Barrett, bringt sphärische Sounds und eine ungewöhnliche Kombination aus Anklängen an Minimal Music und Klängen aus aller Welt zusammen. Petrels gegenüber steht der klassische Pianist Sebastian Plano. Auch dieses Mal legt DJ-Guru Hans Nieswandt auf - ein Garant für eine lange Nacht voller neuer musikalischer Entdeckungen und Sounds aus der neuen Zeit.
Auch den 12.3. sollten sich entdeckungsfreudige Nachtschwärmer schon einmal vormerken: Der Vibrafonist Pascal Schumacher begegnet dem Pianisten Francesco Tristano – dritter im Bunde ist der Perkussionist Bachar Khalifé. Vorher und nachher gibt es auch hier ausgeprägte DJ-Sets. http://www.philharmonie-essen.de/themen-reihen/nachtmusik.htm