Music of Hope
Aeham Ahmad und Steve Schofield in der Scharounaula
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Der Pianist Aeham Ahmad und sein Gast Steven Schofield (Saxofon) spielten einen überragenden Auftritt in der Scharoun-Aula, wieder auf Einladung der Christlich Islamisch Jüdischen Arbeitsgemeinschaft im Kreis Recklinghausen. Den Höhepunkt des diesjährigen Abrahamsfestes krönte also wieder ein Topact auf internationalem Niveau- in Marls vollbesetzter Scharounaula, einem Konzertsaal, der eigentlich viel mehr als „nur“ ein Dasein als Schulaula verdient hat....
Auf den syrischen Pianisten Aeham Ahmad ist Verlass. Vor allem darauf, dass keiner seiner Konzertauftritte wie der andere ist. Diesen Eindruck teilt auch Aeham Ahmads Manager Achim Schulz, der den Pianisten seit September auf seiner internationalen Tour begleitet. Und so bot er auch beim Konzert in Marls Scharoun-Aula ein völlig anderes Erlebnis im Vergleich zum Soloauftritt im letzten Jahr, der wegen aktuell verhängtem Lockdown schon ohne Publikum stattfinden musste. Jetzt brachte er einen special guest mit, den in Berlin lebenden aus Australien stammenden Saxofonisten Steve Schofield.
In punkto Vielschichtigkeit hat das künstlerische Potenzial dieses Musikers noch zugelegt. Spektakulär ist gleich der Einstieg zum Konzert: Eine Variation über das Volkslied „Die Gedanken sind frei“ schickt Aeham Ahmad mit seiner virtuosen Pianistik nicht einfach nur durch Dur und Moll, sondern ebenso durch arabische Skalen und ganz viele hochkreative Jazz-Harmonisierungen. Sein Umgang mit Tempi, Dynamik und oft radikalen Kontrastwirkungen ist atemberaubend. Als weiteres „Instrument“ wirkt seine Stimme, wenn er zu ergreifenden Gesangslinien anhebt. Auch wenn die Songtexte auf dem Cover der CD in Übersetzung abgebildet sind, so berührt die Emotionalität doch ganz unmittelbar und ohne jedes Hintergrundwissen. Aeham Ahmad ist an diesem Abend nicht allein: Wie eine weitere Stimme klinkt sich das Saxofonspiel von Steve Schofield ein. Phasenweise griff er zum Electronic Wind Instrument, einer Art Synthesizer zum Hineinblasen, der in der Popmusik der 1980er Jahre viel zum Einsatz kam, hier aber viel sphärischer, ja psychedelischer daher kommt.
Die Musik ist an diesem Abend aber nicht alles - sie bekommt einen inhaltlichen Bezugspunkt, der auf die Lebenswelt von Aeham Ahmads Freunden und Verwandten verweist, die nach wie vor in Damaskus leben. „Taxi Damaskus“ ist eine Sammlung von nicht-fiktionalen Berichten eines Cousins von Aeham, der in Damaskus seinen Lebensunterhalt mit Taxifahren verdient. Näher als in diesem Beruf kann keiner an der schwierigen, nicht selten schockierenden Nachkriegswirklichkeit in diesem geschundenen Land dran sein. Ceylan Arslan las zwei Passagen aus diesem neuen Buch. Auf den zweiten Textbeitrag aus diesem Buch, eine Schilderung von den desolaten Trümmerwüsten des palästinensischen Füchtlingslagers Yarmouk, dem einstigen Lebensmittelpunkt von Aeham Ahmad, reagiert dieser Musiker besonders emotional: Dunkle, atemlos wiederholte Akkordfolgen auf dem Klavier erzeugen eine bedrohliche und extrem kraftvolle Klangfläche, zu der Steven Schofield auf einer orientalischen Flöte einen fragilen Klagegesang anstimmt. Zum echten Zeichen der Hoffnung wurde schließlich das Finale: Nochmal rückte Aeham Ahmad in seiner universellen Tonsprache einem symbolträchtigen Standard aus der deutschen Klassik zu Leibe, Beethovens „Ode an die Freude“.
Aeham Ahmad hat soeben eine bemerkenswerte CD auf seinem Eigenlabel vorgelegt. nrwjazz hat sie unter diesem link rezensiert
https://nrwjazz.net/jazzreports/2021/Aeham_Ahmad_Das_Leben/
Über die Begegnung mit diesem Musiker im letzten Jahr ist ein jazzreport nachlesbar
https://nrwjazz.net/jazzreports/2020/Aeham_Ahmad_/