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​Kein Aussteigen möglich, wenn Hildegard fliegen lernt

Musikalische Verrücktheit in Wuppertal

Wuppertal, 17.08.2015
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Alles, was der Rezensent vorher über diese Schweizer Band mit dem kuriosen Namen gelesen hatte, taugte nicht für ein passendes Bild im Kopf. Dass das Ganze schon sehr extraordinär mitreißen würde, war zumindest der Tenor. Wenn keine vorgefertigten Schablonen passen, sind meist gelungene Abende zu erwarten. Klar war vorher: In dieser Band gibt es keine Hildegard, die fliegen lernt. Musik und Bühnenperformance des Schweizer Andreas Schaerer ließen trotzdem abheben – und wie!

Dass an einem verregneten Sonntagabend ein Kulturzentrum mit über 450 Leuten bis auf den letzten Platz gefüllt ist und dies bei einem Ereignis der ambitionierten Musikkultur, ist an sich schon erfreulich genug. Da macht sich die langjährige künstlerische Leitung von Dieter Fränzel für das Klangart-Festival Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden bestens bezahlt, welche allsommerlich eine hervorragende Auswahl exquisiter Konzertereignisse bereitstellt.

Dem schlechten Wetter war aktuell die kurzfristige Verlegung des Konzerts in die - restlos ausverkaufte!- „Börse“ geschuldet.

Fliegen wir los: Hinein in die Wunderwelt musikalischer und auch musik-komödiantischer Ideen.

Andreas Schaerers Vocals sind über weite Strecken der Zündstoff für ganz viele, illustre Ideenfeuerwerke. Er singt, scattet, beansprucht mit seinen, oft durchaus etwas androgyn wirkenden Vocals eine starke Führungsrolle. Die Band modelliert daraus einen überaus beweglichen, völlig unvorhersehbaren Spielfluss. Zupackend dynamisch und unbestechlich präzise verdichtet sie jede Regung in den Gesangslinien oder konterkariert diese auch. Durch growlende Bläsersätze, polternde Schlagzeug-Ausbrüche, ein Gefühl für laut und leise, durch kollektive Tutti-Stürme oder skurrille Einzelaktionen. Vor allem: durch einen herrlich subversiven Willen, in jedem Moment das erwartbare niederzureißen. Schnell, treibend, oft rockend appelliert dieses Spiel an die Bewegungsmotorik. Zugleich verblüfft, wie eingängig die ganze aufgetürmte Komplexität daher kommt. Ungerade verfrickelte Rhythmen gemahnen an osteuropäische Ausgelassenheit, aber es swingt auch mächtig drauflos, lässt an Zeiten denken, wo Jazz, Tanz, Unterhaltungsmusik, Konzert und Party noch nicht so grundsätzlich voneinander getrennte Dinge waren. Vergleiche mit Zappa werden im Publikum angesichts regelrechter, -nein!- Regeln brechender akustischer Comicstrips laut. „Hildegard“ agiert anders als Zappa, wenn diese Musiker allerhand (un-) mögliche Einflüsse durch den Stilmixer jagen. Musikantischer und organischer, wo Zappa manchmal auch reichlich konstruktivistisch wirkt. Das hier ist viel mehr improvisierter Jazz, der hier – im Gegensatz zu Zappas Statement überhaupt nicht komisch riecht...

Denn mit parodistischer Aktion hinterfragen diese Schweizer ihr Tun, reißen es mit subversiver Macht aus der Selbsreferentialität heraus. Etwa, wenn Andreas Schaerer die vokale Stimmenperkussionskunst des Beatboxing zelebriert, mal eben simultan eine Rap-Einlage darüberlegt, die eine ironische Geschichte eines verstörten Konzertbesuchers skizziert – und er dann zusätzlich auch noch lautmalerisch mit seinem Posaunisten um die Wette soliert. Schaerer könnte mit seiner Stimme mal eben die Blechbläser arbeitslos machen - aber so was will ja keiner! Später ermuntert Andreas Schaerer einen kleinen Jungen zum Mitmachen auf der Bühne, der dann nach anfänglicher Zaghaftigkeit fröhlich aus sich heraus geht und mit lustigen Spontanaktuionen schließlich sogar die Band dirigieren darf - ein berührender schöner Moment, kurz bevor sich das Publikum zum finalen Schlussapplaus von den Stühlen erhebt. Hildegard lernt Fliegen bietet großes verrücktes Musik-Kino, mitreißendes Bühnen-Theater und gegen Ende der Show auch mal große Oper – wenn Andreas Schaerer sich in dramatischer Geste auf den Bühnenboden wirft und Arienhaftes zum besten gibt!

CD-Tipp

Andreas Schaerer`s Hildegard lernt fliegen

"the fundemental rhythm of unpolished brains"

enja records

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