Jazz floating colours
Mit Klängen malen und die Pinsel tanzen lassen
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
„Ich bin selbst gespannt darauf, was gleich passiert“ – wenn die Saxofonisten Katrin Scherer dies über den eigenen bevorstehenden Auftritt sagt, ist dies eigentlich ein Gütesiegel für möglichst viel spontane Kreativität. Auf der Hinterbühne des Recklinghäuser Ruhrfestspielhauses erfüllte sich diese Erwartungshaltung. Unter dem Motto „jazz floating colours“ war die vieldiskutierte Musikrichtung mit den vier Buchstaben nicht länger Selbstzweck – sondern trat in einen ganz und gar offenen Dialog mit Malerei, die in Echtzeit stattfand.
Bevor die Recklinghäuer Künstler James Larsen und Ulrike Speckmann die Pinsel schwingen, zitiert Irmhild Knapp (von der übrigens auch die Idee zu dieser Performance kam) aus der Kunstphilosophie eines Wassily Kandinsky. Da geht es um „Komposition“ eines Bildes, aber auch um Linien, die in der Musik, die ja eine Zeit-Kunst ist, existieren. Aber dann ist es genug der Theorie – und es fließen die frischen Leinwandfarben mit den Klängen eines Quintetts zusammen, das sich von der Werkstatt-Atmosphäre dieses Happenings spürbach anstacheln lässt und sich vor Spiellust überbietet. Ingo Marmulla „malt“ auf seiner Gitarre sphärische Impressionen und Cluster, andere „Farben“ liefern die Saxofone von Katrin Scherer und Florian Boos. Ulrike Speckmann und James Larsen hören und grooven sich hinein – und schon „tanzt“ der Pinsel von James Larsen über die Leinwand zu den feinziselierten Mikrorhythmen von Bernd Gremms Schlagzeug, während es Ulrike Speckmann vor allem auf die Klangwelten der Instrumente abgesehen hat und ihre eigene Leinwand mit entsprechend satten, monochromen Farbräumen sättigt.
Nach sehr frei gehaltenen Klangmeditationen zu Beginn gibt die Musik bald eine klar definierte Richtung vor. Gitarrist Marmulla hatte sich dafür viele prägnante Themen einfallen lassen, die jetzt dem Gesamtgeschen starke Impulse verleihen und den Prozess mit ungeheurer Dynamik voran treiben. Das lässt die Bilder zunehmend voller und reicher werden. Die Musik dieser Band braucht dafür noch nichtmals besonders experimentell oder verquer zu sein – das Gegenteil ist der Fall und der Coolness-Faktor dieses Spiels immens. Meist tonal zentriert und mit herrlich intensiven, langen Soli gesättigt, schlägt das Spiel der Band genau die emotionale Brücke zur Fantasie der Malenden, die es hier braucht. Jazz kann so herrlich funktional wirken und so unmittelbar an alle möglichen Ausdrucksformen ankoppeln.
Möglich wurde dieser intensive und auch von vielen „Nicht-Jazz-Kennern“ begeistert goutierte Abend durch eine neue Förderung seitens der Stadt Recklinghausen, welche ganz bewusst die freie Szene auf die große Bühne ins Theater holen will. Hoffentlich gibt es weitere Auflagen. Man kann dieses Thema herrlich variieren und immer wieder neu gestalten - Tanz, Theater oder auch Film. Mit der spielfreudigen Band um den Gitarristen Ingo Marmulla stehen auf jeden Fall hervorragende „Stadtmusiker“ für alle erdenklichen Abenteuer bereit!