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​„Wir finden immer eine Lösung !“

Christina Fuchs und Caroline Thon im Gespräch

Köln, 08.10.2020
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Volker Beushausen

Zwei Bandleaderinnen, ein gemeinsames Projekt: Im FUCHSTHONE ORCHESTRA vereinen Christina Fuchs und Caroline Thon viele herausragende Spielerinnen und Spieler der Jazzszene NRW. Bis zu zwei Jahren dauert in der Regel die künstlerische und organisatorische Vorarbeit für ein Projekt. Da war es schon ein empfindlicher Rückschlag, als im März dieses Jahres nach vier gefeierten Premierenkonzerten die Tournee einer Zwangspause zum Opfer fiel. nrwjazz Jetzt kann wieder live gespielt werden, wenn auch in etwas reduzierter Besetzung und man kann auf ein etwas aktualisiertes Programm zurück gegriffen werden. nrwjazz hatte mit den beiden Bandleaderinnen ausführlich gesprochen im Frühjahr - wie Christina Fuchs und Caroline Thon auf der Live-Bühne ihre Band-Philosophie umsetzen, ist am 9. Oktober in Dinslaken live zu erleben.

Erzählt was über die Vorgeschichte eurer Band-Fusion!

Caroline:

Wir kennen uns schon lange und haben in vielen Ensembles zusammengespielt. Ich habe Christinas Musik schon vor einiger Zeit im United Women‘s Orchestra kennen gelernt. Wir waren immer schon Kolleginnen, die sich sehr schätzen. Es gab auch einen konkreten Anlass, nämlich ein gemeinsames Konzertprogramm mit dem von Georg Ruby geleiteten Blue Art Orchestra. Ruby hatte als erster die Idee, ein Programm mit unser beiden Kompositionen zu machen. Aus dem Publikum kamen sofort viele Stimmen, die sagten, das passt doch musikalisch sehr gut zusammen. Wer dann schließlich auf wen zugekommen ist, weiß ich nicht mehr.

Christina:

Das war relativ gleichzeitig. Wir waren beide begeistert und sagten: das ist cool. Es kamen auch viele Reaktionen von außen, die uns bestärkten. Anschließend sind wir schnell konkret geworden und haben angefangen zu überlegen, was wir eigentlich künstlerisch wollen, uns über die organisatorischen Grundlagen Gedanken gemacht, also Gelder zusammengesucht und Förderanträge gestellt. Wir wissen ja beide schon lange, wie komplex diese Materie ist und haben zwei Jahre auf diese Premierenkonzerte hingearbeitet – es steckt wirklich wahnsinnig viel Arbeit dahinter! Wir haben lange über jede Musikerin jeden Musiker gesprochen und ein Gerüst aufgebaut, was an welcher Stelle entscheidend sein soll. Vor dem Hintergrund dieser riesigen Vorarbeit sind die beiden geplatzten Konzerte schon sehr bitter.

Was kostet am meisten Energie bei solch einem Projekt?

Christina:

Meistens drängelt sich das Organisatorische in den Vordergrund, aber alles andere ist mindestens genauso wichtig, denn Komponieren und Arrangieren kann man einfach nicht zwischen Tür und Angel erledigen.

Caroline:

Es ist eigentlich überhaupt nicht in Ordnung, dass man in unserer Sparte gleichzeitig das Organisatorische und das Schreiben von eigenen Kompositionen machen muss, also in Personalunion! Ich habe eigentlich erst jetzt mal wieder Zeit, mich mit der Musik selbst zu befassen. Aber es hilft, dass wir das Geschäft lange genug kennen. Man muss wissen, wo es gute Helfer gibt und dann kann man sich alles etwas leichter machen. Und jetzt tragen uns zum Beispiel die intensiven Eindrücke der Premierenkonzerte und diese Erlebnisse von unglaublicher Spielfreude durch die Zeit .

Ist es nicht sehr kompliziert, eine künstlerische Führungsaufgabe im Duo aufzuteilen? Wie balanciert ihr das zwischen euch aus?

Christina:

Ich sehe es anders. Wir können uns gegenseitig stützen, uns Mut machen. Wenn die eine sagt, ich schmeiß jetzt das Handtuch, sagt die andere, ich mache mal weiter. Teamwork ist eine gute Sache und für uns gibt es eigentlich nur Pluspunkte.

Caroline:

Wir haben die Grundvoraussetzung auf psychologischer Ebene geklärt. Dadurch können wir gründlich und ehrlich miteinander arbeiten. Es geht um Vertrauen, zum Beispiel dass die eine der anderen die Probenzeit nicht klaut. Ansonsten gibt es viel Arbeitsteilung: Die eine dirigiert, die andere guckt zu. Danach setzen wir uns zusammen, besprechen und reflektieren gemeinsam, reflektieren aber auch über unsere Spieler. Es sind einfach zwei Augen und Ohren mehr. Die Stücke schreiben wir aber nicht zusammen.

Wer steht bei euch wofür?

Christina:

Ich bin manchmal der kühlere Kopf und Caroline die Emotionalere. Stimmt das, Caroline?

Caroline:

Absolut. Aber insgesamt haben wir eine sehr gute Mischung und viele gemeinsame Schnittmengen. Wir sind beide sehr großzügige Menschen, die das Gemeinsame im Blick haben. Wir ergänzen uns und finden immer eine Lösung.

Wie überträgt sich dies auf den sozialen Kosmos einer 22köpfigen Band?

Christina:

Wir wollen gar nicht der alles dominierende Mittelpunkt von dem Orchester sein, sondern ein Kollektiv aus 22 Leuten, die gut zusammenarbeiten - also nicht 20 plus 2!

Wiederspiegelt das Fuchsthone Orchestra die Vision einer Jazzszene, die an einem Strang zieht?

Caroline:

Wir haben bei der Auswahl der Musiker und Musikerinnen einfach auf Leute geachtet, die Bock auf eine Musik haben, die sich vielleicht auch mal nicht sofort erschließt, sondern für die man sich mit Idealismus einsetzen muß. Genau das gab den Premierenkonzerten so viel Energie. Und genau deswegen empfinden wir die Unterbrechung unserer Tournee als kleinen Rückschlag.

Caroline, Du hast mir früher schon viel darüber erzählt, wie sehr Stimmungen und Ereignisse aus der Gegenwart unmittelbar in die Stücke einfließen. Christina, ist das bei Dir ebenso?

Christina:

Ja, durchaus. Das verbindet uns sehr vom Ansatz her. Klar, schreibe ich jetzt auch ein Stück über Corona, weil ich das Aktuelle und Naheliegende verarbeiten möchte und muss. Es ist Teil unseres Konzeptes, dass sich Inspirationsquellen weiterentwickeln sollen. Dies geschieht im Moment sehr viel schneller, als wir gedacht haben. Im Premierenprogramm hatte ich ein Stück „Iceland“ über die abschmelzenden Gletscher. Daran wollte ich weiterschreiben, das hat sich aber jetzt mit dem Corona-Thema vermischt.

Caroline:

In meinem Leben spielt Meditation eine große Rolle. Auch an meine kreativen Impulse möchte ich so ungefiltert wie möglich rangehen. Oder einige Stücke, die ich schon geschrieben habe, werden um aktuelle Stimmungen und Betrachtungen angereichert – ich denke hier etwa an mein Stück Cycles von meiner ersten Quintett – CD mit Patchwork, wo es um die Kreisläufe im Leben geht. Da können aktuelle Anlässe wie etwa der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Werner Lübcke mit einfliessen – mich beschäftigt hier diese unfassbare Energie, die es braucht, um Menschen zu töten.

Ich bin gespannt, was für Klänge und kompositorische Ideen ihr für die aktuelle Zeit finden werdet.

Caroline:

Ich glaube, die aktuelle Situation birgt wertvolle und wichtige Aspekte. Viele Menschen sind sehr heruntergefahren. Das zwingt sie dazu, ungewohnte Sachen auszuprobieren. Es ist wertvoll, wenn man manchmal aus seinen Konzepten aussteigen muss. Das kann zu sehr viel Wachheit führen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum ich nicht konzeptionell komponiere.

Christina:

Was mich interessiert, sind die Brüche. Davon gibt es derzeit eine Menge - im Leben, aber auch in der Musik. Da läuft ein Stück in eine bestimmte Richtung, bis plötzlich der Punkt kommt, an dem es nicht mehr weiter geht und von da ab komponiere ich woanders hin.

Hilft euch die Tugend der Jazz-Improvisation aktuell auch als Lebenshaltung weiter?

Christina und Caroline:

Absolut.

Caroline:

Wir sind immer darauf angewiesen, aus wenig das Beste zu machen. Das betrifft die Aspekte Zeit, Finanzen und noch einiges mehr. Das hilft einem schon. Improvisieren hat immer mit dem Ergreifen von Chancen zu tun. Das hat aber nichts mit realen Existenzängsten zu tun – allein, wenn Du über die deutschen Grenzen hinaus guckst, ist das eine ganz andere Nummer.

Also habt ihr genug Material für viele neue, sehr ernsthafte Stücke?

Caroline:

Ja, wirklich ein Überangebot. Aber natürlich sind auch positive Botschaften jetzt wichtig. So beschreibt das Stück „Cycles“, um das Beispiel noch mal aufzugreifen, auch das Vertrauen ins Leben.

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