„In Moers zu spielen, ist systemrelevant“
Stimmungs-Check im Festivalbüro
TEXT: Stefan Pieper |
Dass die 50. Festivalausgabe unter widrigen Umständen realisiert werden konnte und jetzt in Moers sogar LiveMusik vor realem Publikum erklingt, ist das Resultat von leidenschaftlichen (und wohl auch etwas selbstausbeuterischen) Menschen, die unbeirrt an ihrem Ziel drangeblieben sind - allen Ausnahmezuständen dieser Welt zum Trotz.
Und es würde wohl nichts laufen ohne die zahllosen Unterstützerinnen und Unterstützer aus Politik, Stadt, Künstlerschaft. In diesem Jahr, bei dieser besonderen Festivalausgabe geht es um nichts geringeres als den „Kampf um die Zukunft“, denn wie bedroht Kultur ist, wenn es mal ernst wird, haben die letzten 12 Monate offenbart. Für die Festivalmacher in Moers, für die die Vorbereitung dieses Ereignisses seit mehr als einem halben Jahr ein Fulltime-Job ist, taten sich aber - sozusagen in allerletzter Minute - unverhofft Lichtblicke auf:
"Musikfeste und Musikfestival sind nach wie untersagt, aber Konzerte bis zu 500 Personen sind möglich. Deswegen haben wir jetzt vier Konzerte angemeldet, die nicht offiziell Bestandteil des Festivals sind, sondern von der Moers Kultur GmbH veranstaltet werden. Das ist unser letzter Versuch der Unterwanderung der abenteuerlichen Regelungen." beschreibt
Tim Isfort
die Lösung, den Geist von Moers auch wieder auf der „analogen Ebene“ fühlbar zu machen.
Es stand ja bereits ein durchdachtes Konzept mit bis zu 800 Personen draußen und knapp 400 Personen in der Halle. Selbstredend mit aufwändigsten Hygieneschutz und Sicherheitskonzepten. Dann schossen die neuesten behördlichen Vorgaben, die aufgrund statistischer Zahlenwerte verhängt werden, dazwischen. Das Festival selbst fällt dadurch zwar wieder auf seine Spielart „als analoges Online-Event“ und man darf gespannt sein, wie dieses Thema in diesem Jahr ausgestaltet wird. Aber als besonderes Geburtstaggeschenk zum 50. Jubiläum bieten Freiluftkonzerte auf dem „Rodelberg“ im Freizeitpark eine Remineszenz an die Gründertage damals noch im Moerser Schlosspark.
Wo andere absagen und verschieben, sucht und findet das Moers-Festival-Lösungen und deshalb gehört Moers seit einem halben Jahrhundert zu den unverrückbarsten Fixpunkten im Jahreslauf: „Wenn das Moers-Festival in seiner üblichen Form nicht stattfinden darf, müssen wir halt andere Wege finden, damit es erlebbar wird." Die Mehrarbeit in den letzten Wochen und Tagen war gewaltig, um den ganzen kurzfristigen Entwicklungen und Änderungen gerecht zu werden: "Wir mussten alle verkauften Festivaltickets wieder einsammeln." Für die „Freeluft-Freijazz-Konzerte“ werden neue verkauft, allein, weil diese Sonderkonzerte ein separates Ticketing benötigen.
Noch Mitte letzter Woche war die Stimmungskurve im Festivalbüro auf einem Tiefpunkt. Aber seitdem ist sie in die Höhe geschnellt. Vor allem aus einem Grund: Überraschend konnte fast das gesamte, geplante Line-up kurzfristig gerettet werden. Schließlich kam ein besonderes Geburtstagsgeschenk aus der Politik. Das Bundeskulturministerium zeigte Einsatz, indem es kurzfristig für jeden einzelnen, aus dem Ausland anreisenden Musiker Einreise-Bewilligungen ausgeschrieben hat. Personalisierte individuelle Schreiben haben an der Außengrenze des Schengen-Raumes Tür und Tor geöffnet. Es ist eben doch nicht alles nur schlecht - also appelliert Isfort auch dafür, dass man auf keinen Fall in Schwarzweißschablonen verfallen darf: „Man muss schon sagen, von unserer Staatsministerin bekommen wir gerade einen Riesen-Support. Alle bekommen bescheinigt, dass sie einen triftigen Grund haben. Ich bin systemrelevant, ich spiele beim Moers-Festival. Sonst wären uns aufgrund der neuen Corona-Schutzverordnung vom letzten Mittwoch ungefähr 100 Musiker weggebrochen."
So viel Einsicht in die Wertschätzung weltumspannender kultureller Begegnung freut den Festivalleiter. Immerhin blickt ja auch die ganze Welt auf die kleine Stadt am Niederrhein, in dem jedes Jahr zu Pfingsten die Zukunft von Kultur gefeiert wird, weswegen es ja auch so gut tut, alljährlich hierhin zu reisen. Es sind gerade die Begegnungen zwischen Menschen aus diversen Szenen, Kulturen und Welten, - die oft auch Krisenherd sind - welche zu den Herzensanliegen von Isfort gehören.
Seit über 10 Jahren pflegt er, zusammen mit anderen Jazzern aus NRW eine vielfältige künstlerische Freundschaft mit Musikern in Myanmar - einem Land, das in diesem Jahr von einem schlimmen Bürgerkrieg überschattet wird. Auch der afrikanische Kontinent gehört zu den Spielwiesen für einen solchen Austausch, der dann in Moers einen Brennpunkt, auf den die ganze Welt schaut, hat.Und da ist auch immer noch die Vision, eines Tages Musiker aus Nordkorea in Moers spielen zu lassen. Beim diesjährigen Themen-Schwerpunkt Äthiopien mussten zwar Abstriche gemacht werden, aber zumindest reisen eine Handvoll Musiker direkt aus Addis Abeba an, um auf das niederländische Impro-Schlagzeug-Urgestein Haan Bennink treffen.
Im letzten Jahr herrschte zu diesem Zeitpunkt überall im Lande viel Optimismus, das die Pandemie bald vorbei sein würde. Tim Isfort bewies mit seiner Einschätzing im Jahr 2020 mehr Weitblick, in dem er das zurzeit vorhandene Szenario ziemlich präzise prognostizierte - und deshalb möglichst viele Variablen offen gehalten hat, um kurzfristig das richtige zu tun. Also nicht so weit von dem entfernt, was ein improvisierender Jazzmusiker tut, wenn er seinen Job ernst nimmmt.
Ob er und sein Team aus den Erfahrungen vom letzten Jahr gelernt haben? "Wir greifen in diesem Jahr schon auf gewisse Erfahrungen zurück. In erster Linie geht es darum, cool zu bleiben, was immer auch passiert. Jede Sache, die, scheitert tut weh, aber man muss trotzdem weiter machen und nach vorne gucken.“