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​„Die Leute wieder ins Konzert zu bringen“

Gespräch mit dem Saxofonisten Daniel Gubelmann

Zürich, 20.09.2022
TEXT: Stefan Pieper | 

Jazz muss nicht intellektuell und akademisch sein. Vor allem, wenn ein Musiker wie der Schweizer Saxofonist Daniel Gubelman in erster Linie an sein Publikum denkt und das Musikmachen letztlich auch unternehmerisch sieht. Wenn seine Band „Five on Fire“ auf dem Album Eternal Voyage mit dem Musikkollegium Winterthur fusioniert, lösen sich allerhand Vorurteile auf. Auch dieser Aspekt zielt darauf ab, ein neues, junges Publikum anzulocken. Mit Stefan Pieper sprach der Schweizer Musiker über künstlerische Nachhaltigkeit und noch viel mehr….

Siehst Du dich von deiner musikalischen Sozialisation her eher als Jazzmusiker oder als Klassiker?

Mein Background ist ganz klar der Jazz und ich habe auch an der Jazzabteilung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) studiert. Das Klassikstudium kam erst viel später. Heute kann ich beides gar nicht mehr voneinander trennen. Wenn ich z.B. im 21st Century Symphony Orchestra mitwirke, gibt es Passagen da spiele ich improvisierte Soli, genau wie im Jazz und bei der nächsten Passage bin ich Orchestermusiker und tauche mit meinem Saxophon in ein Meer symphonischer Klänge. Ich möchte ja auch so offen wie möglich für jegliche Stilrichtung sein, sofern mich die Musik anspricht.

Wie empfindest du die heutige Jazzszene?

Viel Jazzmusik ist in meiner Wahrnehmung mittlerweile sehr intellektuell geworden. Alle Musiker studieren heute an einer Musikhochschule. Der Output kommt oft dementsprechend akademisch daher. Hinzu kommt, dass der Jazz keinen großen Rückhalt mehr in der Gesellschaft hat. Vielleicht ist das auch die Folge dieser Entwicklung. Die Klassik ist nach wie vor viel tiefer verankert in der Gesellschaft. Außerdem hat Corona der Szene schwer zugesetzt.

Was kann man als Musiker tun?

Ich selber sage für mich, dass ich möglichst flexibel bleiben möchte. Je flexibler ich bin, desto besser kann ich in Krisen bestehen. So sehe ich mein Zukunftsmodell.

Erzähl etwas über Dein aktuelles Projekt. Hier werden ja verschiedene musikalische „Lager“ eins miteinander

Die Formation Five und Fire gibt es schon fast 20 Jahre. Im Jahr 2010 hatte ich Gelegenheit, als Saxophonist ein klassisches Solokonzert mit Streichorchester zu spielen. Dabei habe ich mich in den Sound der Streicher verliebt. Die Idee war geboren, meine Jazzquartett mit einem Streichquartett zu ergänzen. Der ganz große Traum war es, das ganze mal mit einem großen Orchester aufzunehmen. Diese Möglichkeit hat sich jetzt durch die Zusammenarbeit mit dem Musikkollegium Winterthur ergeben. Ich empfinde das aktuelle Projekt als die bisherige Krönung meines Schaffens als Musiker und Komponist.

Wie hat sich das musikalische Material entwickelt? Viele Stücke auf dem neuen Album sind ja bereits in der Musik des Streichquartetts enthalten.

Ich wollte Musik kreieren, die eine Geschichte erzählt und die sich nie wiederholt, eine symphonische Dichtung. Ganz oft im Jazz wird ein Thema vorgestellt, danach wird über die Akkordstruktur improvisiert und zum Schluss kommt die Reprise. Bei meinen Arrangements gibt es nie zwei Solisten, die über die gleiche Harmoniefolge improvisieren. Die Geschichte geht weiter. Viele meiner Kompositionen sind wie Suiten gebaut, verschiedene Sätze die aneinandergereiht werden, aber immer auch Bezug zueinander haben. Darin liegt für mich die grösste Kunst als Komponist, verschiedenste Rhythmen, Harmonien und Melodieführungen zu vereinen ohne den roten Faden des Stücks zu verlieren. Die Musik soll immer organisch klingen und nie abstrakt. Beim Stück „Eternal movement“ habe ich versucht, die Ewigkeit in Musik auszudrücken. Eine Spirale in der sich alles weiter entwickelt, sich aber trotzdem auch gewisse Dinge wiederholen. Wie im Leben. Wenn irgendwann mal wieder das Ursprungsthema erscheint, hat es bereits viele Verwandlungen erfahren.

Ich habe den Eindruck, dass vor allem das melodische Material aus der Ouvertüre de Buenos Aires in allen Sätzen weiter präsent ist. War das beabsichtigt?

Ich habe das gar nicht so bewusst gemacht, sondern es war ein sehr intuitiver Prozess. Wenn ich am Klavier sitze und die Stücke schreibe, denke ich nicht viel darüber nach. Am liebsten mache ich alles möglichst intuitiv. Daraus ergibt sich auch hier der rote Faden. Ich fühle mich als Komponist vor allem als Lyriker und distanziere mich damit vom heutigen Zeitgeist. Vielfach wird heute auf spektakuläre Feuerwerkseffekte in der Musik gesetzt, um auch ja alles auszuschöpfen, was eine Formation kann. Ich finde diese Idee etwas überholt. Für mich geht es in der Musik viel zu sehr ums fühlen und eben nicht um das Zeigen von Akrobatik. Und mir geht es darum, dass ich mit guten Leuten zusammenarbeite und ein spannender Kontext vorhanden ist, ganz gleich, ob in einem klassischen Sinfonieorchester, im Jazz oder auch in der Popmusik. Hauptsache, der Funke springt aufs Publikum über. So etwas hat vor allem mit Intimität und nichts mit irgendeiner Stilrichtung zu tun.


Wie weit unterscheiden sich die neuen Arrangements mit dem Orchester von den Ursprungs- Versionen für Streichquartett?

Ich habe vor allem die Instrumentierungen geändert. Das Ensemble bekommt eine ganz andere Energie, wenn 30 Musiker dabei sind. Wenn es irgendwie möglich ist, möchte ich es künftig immer in großer Besetzung aufführen. Aber das wird auch immer eine Frage des Budgets sein.

Sind die Mitglieder des Streichquartetts auch in dieses Orchester integriert?

Ja, die sind alle mit dabei.


Ich kann mir vorstellen, dass das Musikkollegium Winterthur etwas anders arbeitet als ein klassisches Orchester im althergebrachten Sinne. Sag mir etwas über die Arbeitsweise.

Das Musikkollegium Winterthur ist sehr offen für neue Projekte jenseits der Klassik. Vor allem seit sie Dominik Deuber als neuen Intendanten haben. Der ist ja selbst Jazzschlagzeuger und hat danach Musikmanagement studiert. Aber sie sind auch traditionell in der Romantik unterwegs und arbeiten zum Beispiel mit dem Opernhaus Zürich zusammen.

Kann dieses Orchester auch ohne Dirigent spielen?

Genau – und gerade das fasziniert mich an diesem Orchester. Die hatten bei der Aufnahme Kopfhörer auf, damit sie das Schlagzeug gut hören konnten. Ich habe wirklich nur die schwierigen Stellen dirigiert.

Siehst Du dich von deiner musikalischen Sozialisation her eher als Jazzmusiker oder als Klassiker?

Mein Background ist ganz klar der Jazz und ich habe auch an der Jazzabteilung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) studiert. Das Klassikstudium kam erst viel später. Heute kann ich beides gar nicht mehr voneinander trennen. Wenn ich z.B. im 21st Century Symphony Orchestra mitwirke, gibt es Passagen da spiele ich improvisierte Soli, genau wie im Jazz und bei der nächsten Passage bin ich Orchestermusiker und tauche mit meinem Saxophon in ein Meer symphonischer Klänge. Ich möchte ja auch so offen wie möglich für jegliche Stilrichtung sein, sofern mich die Musik anspricht.

Lass uns noch mal über die Stücke auf dieser Aufnahme reden. Wie ist das „Preludio de Buenos Aires“ entstanden, welches der ganzen Suite ihr Gepräge verleiht?

Im Jahr 2014 habe ich in Buenos Aires klassische Komposition bei Daniel Hector Montes studiert. Der ist eine echte Koryphäe. Ich habe bei ihm Privatstunden genommen und er wollte mich auf neue Wege führen. Diese spannende Zeit hat meine Art, über Musik zu denken, stark verändert. Das „Preludio de Buenos Aires“ war dann einer meiner ersten Kompositionsaufträge. Ebenso habe ich mich damals mit Scriabin beschäftigt. Auch davon ist meine Suite beeinflusst.

Einige der größten Saxophonisten haben mit Streichern zusammengearbeitet. Charlie Parker machte den Anfang, später kam Gunther Schuller mit seinem Third Stream gefolgt von Ornette Coleman. Das ist fast 70 Jahre her jetzt. Was für Möglichkeiten hast Du heute, was diese Pioniere des Jazz noch nicht hatten?

Rein von den Instrumenten her habe ich heute nicht mehr Möglichkeiten als damals. Definitiv anders ist heute die große Vielfalt an Musikstilen und deren ständige Verfügbarkeit. Als Charlie Parker with strings erschien, gab es überhaupt noch keine Popmusik. Die Musiktheorie hat sich immens weiterentwickelt seitdem. Charlie Parker hat einfach dieselben Songs gespielt und einfach nur Streicher darunter gelegt. Gunther Schuller ging schon einen wesentlichen Schritt weiter. Heute habe ich einen viel größeren Fundus an musikalischen Rhythmen und Stilen.

Was ist deine Priorität beim Saxophon-Spiel?

Mir ist an einem möglichst warmen Klang gelegen. Viele Saxophonisten bevorzugen so einen Power-Sound, aber der mischt sich nicht so gut mit den Streichern. Ich versuche - vor allem auf dem Tenorsax - so zu spielen, dass sich ein möglichst warmer Ton ergibt und wähle dafür auch das Blatt und das Mundstück sorgfältig aus. Dadurch nähert sich der Ton gut an den Klang des Cellos an. Das Sopransaxophon ist dementsprechend wie eine Geige.

Wie stehst Du zur klassischen Tradition beim Saxofon?

Bei den klassischen Saxophonspielern sehe ich eine inflationäre Tendenz. Die probieren oft auf dem Sopransaxophon, eine Oboe zu imitieren. Aber das Saxophon ist nun mal keine Oboe, es ist konisch und nicht zylindrisch, geht also zum Trichter hin auf und hat daher mehr Volumen und mehr Obertöne im Frequenzspektrum. Mit dem Saxophon kann ich den Ton viel stärker verändern und kolorieren, damit kommt es der menschlichen Stimme näher und ergibt viel grössere Ausdrucksmöglichkeiten als z.B. eine Klarinette oder Oboe.

Verfolgst Du mit „Eternal Movement“ eine persönliche Zukunftsvision?

Ich möchte neues, vor allem jüngeres Publikum ansprechen. Es geht mir um Musik, die man anhören kann, die eine Geschichte erzählt, wo Lyrik entsteht. Hier kann ein Klassik-Publikum vielleicht zum ersten Mal Jazz erleben und revidiert hier auch so manches Vorurteil. Ebenso kann ein Jazz-Publikum in symphonische Klänge eintauchen und trotzdem die Agilität und die Interaktion eines Jazzquartetts erleben.

Ich sehe gerade, Du hast ja auch mal bei Enrico Rava studiert. Wie ist es, als Saxophonist bei einem Trompeter zu studieren?

Dieser Musiker verkörpert genau diese Intimität, hinter der sich jede Musiktheorie auflösen kann. Mich hat seine tiefe Lyrik auf der Trompete beeinflusst. Die ganz große Schnittstelle zwischen uns ist, dass Enrico Rava auch lange in Buenos Aires gelebt hat.

Deine Bandmitglieder sind ja in sehr vielen verschiedenen Kontexten unterwegs, auch im freien Jazz und in der Neuen Musik. Was für Rückmeldungen bekommst du von ihnen?

Die fühlen sich durch das Spiel in unserer Formation berührt und nehmen viele intensive Stimmungen mit nach Hause. Zugleich fühlen sie sich auch sehr gefordert. Denn bei Daniel Gubelmann wird streng geprobt und ich verlange ihnen einiges ab. Das Ziel ist es, dass man die Schwierigkeit der anspruchsvollen Kompositionen hinterher nicht mehr hört.

Verfolgst Du in Deinem Projekt eine Mission?

Mein Ziel ist es, dass Menschen in ein Konzerthaus gehen und danach völlig inspiriert wieder herauskommen. Und nicht etwa wieder raus laufen, weil sie verstört sind, eben weil da wieder etwas sehr kompliziertes stattgefunden hat. Meine Musik ist sicher auch komplex, aber man kann sie auch als Nichtmusiker sehr gut hören. Mein Ziel ist es, die Leute wieder ins Live-Konzert zu bringen. Ich möchte neues, vor allem jüngeres Publikum ansprechen. Es geht mir um Musik, die man anhören kann, die eine Geschichte erzählt, wo Lyrik entsteht. Hier kann ein Klassik-Publikum vielleicht zum ersten Mal Jazz erleben und revidiert hier auch so manches Vorurteil. Ebenso kann ein Jazz-Publikum in symphonische Klänge eintauchen und trotzdem die Agilität und die Interaktion eines Jazzquartetts erleben.

Bist Du ein Perfektionist?

Ich würde einfach sagen, dass ich die Dinge realistisch betrachte. Es ist sehr teuer, mit einem großen Orchester zu proben, also braucht es maximale Effizienz im Aufnahmeprozess. Ich würde sogar sagen, vielen Musikern fehlt dieses Gen, unternehmerisch zu denken und dann geht wertvolle Zeit verloren. Ich habe zum Glück dieses unternehmerische Gen mitbekommen und mir in den letzten Jahren erarbeitet.


Gibt es da irgendeine Prägung?

Ich habe mein Leben lang Kampfsport betrieben. Früher chinesisches Kung Fu und koreanische Kampfkünste, heute bevorzuge ich Boxen und Kickboxen. Diesen starken Willen und dieses Vorwärtsgehen habe ich sicherlich in der Kampfkunst gelernt. Manchmal geht man zu Boden, steht dann wieder auf und macht weiter.

Aktuelles Album

Five on Fire feat. Musikkollegium Winterthur
Eternal movement
solo musica 2022


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