Zuhause ist da, wo die Musik ist
Ein Interview mit Stefan Bauer vor der großen Tour
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Volker Bellinghausen
Der Vibraphonist Stefan Bauer pendelt seit über 20 Jahren zwischen Brooklyn und dem Ruhrgebiet. Seine Aktivitäten in der NRW-Szene wachsen derzeit kontinuierlich – seit gut zwei Jahren hat er zudem einen Lehrauftrag an der Folkwang Universität der Künste. Mit MOSAIC hat er ein Quartett zusammengestellt, das vier Generationen und zwei Kontinente verbindet. Im Dezember tourt die Band mit ihrem Live-Album durch NRW. Ein Gespräch über organisatorischen Wahnsinn, musikalische Begeisterung und die Frage, wo eigentlich zu Hause ist.
Auf was für Liveerlebnisse mit dir können wir uns im Dezember in NRW freuen?
Im Dezember bin ich mit MOSAIC unterwegs – die CD-Release-Tour für unser Live-Album, das wir in Warendorf und Dortmund aufgenommen haben. Mit Terry Clarke, dieser kanadischen Schlagzeuglegende, John Goldsby am Bass und Matthew Halpin am Saxophon. Vier Generationen, zwei Kontinente, ein Groove. Wir spielen Standards, das Great American Songbook – aber mit der Freiheit und Interaktion, die Jazz ausmacht. Das ist keine Museumsmusik, das lebt. Am 13. Dezember sind wir beim Jazz+Dinner von FineArtJazz im Kunstraum Norten in Gelsenkirchen – „Ruhrpott meets New York", mit 3-Gänge-Menü vorweg wie in den legendären New Yorker Clubs. Und am 19. Dezember spiele ich zum 20. Mal in der Altstadtschmiede in Recklinghausen, die gleichzeitig ihr 50-jähriges Bestehen feiert, ebenso wie die Recklinghäuser Jazzinitiative in diesem Jahr ihren 40. Geburtstag begehen darf. Da schließt sich für mich als gebürtigen Recklinghäuser ein Kreis. Am zweiten Weihnachtstag bin ich außerdem bei der Jazzmatinee im Dortmunder Opernhaus dabei mit meinem Projekt „Wir können auch anders" – Gesang, zwei Gitarren, Percussion – das ist eine völlig andere Energie.
Wie geht es dir mit den Tourvorbereitungen?
Ich habe gestern, ungelogen, von fünf Uhr nachmittags bis zwei Uhr morgens am Computer gesessen und nur organisiert. Auto mieten, Hotelzimmer buchen, Wege überlegen, alles ausrechnen – das ist schrecklich. Tourmanager ist nicht umsonst ein eigener Beruf. Das Management ist die Hauptsache, die Musik läuft nebenbei. So geht es vielen im Jazz, wo es keine großen Förderungen gibt.
Wie hältst du dich fit?
Ich habe offenbar eine bemerkenswert stabile Gesundheit. In den drei Jahren, in denen ich an der Folkwang unterrichte, habe ich noch nicht einmal gefehlt. Und ich habe ein unglaubliches Reservoir an Begeisterung.
Was hat dich zuletzt begeistert?
Neulich habe ich in Köln gespielt, im Heimathirsch, mit jüngeren Musikern. Silvio Morger saß am Schlagzeug – fantastisch. Bastian Stein an der Trompete war eine Granate. Der ursprüngliche Bassist war krank, und sie haben Jakob Jäger geholt, 24 Jahre alt. Meine Güte, hat der gespielt! Mit so viel Drive. Das war ein Tritt in den Arsch. Aber ich freue mich auch, dass ich mithalten kann und geschätzt werde. Da kommen Energien ins Spiel und tauschen sich aus. Das begeistert mich am meisten.
Du fährst regelmäßig nach Köln für Sessions?
Ja, einmal im Monat für zwei Tage. Ich verabrede mich zu drei, vier Sessions, wenn ich kann. Das Hauptproblem ist das Parken. Aber da kommen Sachen bei rum! Plötzlich ergibt sich ein Gig, plötzlich dies und jenes. Es sind alte Seilschaften. Roland Höppner zum Beispiel, ein unterschätzter Schlagzeuger – wie der sich entwickelt hat! Volker Heinz ist ein super Bassist. Kristina Brodersen ist auch in aller Munde. Mit denen möchte ich unbedingt aufnehmen, vielleicht ein Eric-Dolphy-Projekt.
Wie empfindest du die Jazzszene in NRW?
Hier gibt es so gute Musiker mittlerweile. Ich vermisse New York überhaupt nicht, wenn ich hier bin – musikalisch zumindest. Meine Familie drüben vermisse ich natürlich. Aber wenn ich dort bin, bin ich auch musikalisch wieder voll drin. Insgesamt könnte ich gar nicht sagen, wo ich mehr zu Hause bin. Recklinghausen genieße ich sehr, weil ich hier zu Fuß überall hinkomme.
Wie viel Zeit verbringst du in Amerika?
Während des Semesters bin ich knapp vier Monate hier. In den Semesterferien lebe ich in New York.
Was passiert dort musikalisch?
Der letzte Aufenthalt war super. Ich hatte ein Konzert mit „Life Between Plagues" – das Leben zwischen den Plagen. Natürlich bezieht sich das auf die Pandemie, aber auch auf andere Einschnitte. Wir waren drei Wochen vor dem 11. September in New York und haben später den Finanzkollaps mitgekriegt. Wir haben einiges erlebt.
Wie empfindest du die aktuelle Situation unter Trump?
Das ist das Schlimmste. Ich war bei Demonstrationen im Februar, als es losging. Das war ermutigend, sich umgeben zu fühlen von Leuten, die ähnlich denken, in einer Zeit, die nicht ermutigend ist.
Du warst politisch aktiv?
Ich bin vorsichtig geworden mit Postings. Früher habe ich provokante Stories gepostet, aber das mache ich nicht mehr. Ich habe Sorge, von meiner Familie abgeschnitten zu werden. Bei der Einreise werden Mobiltelefone kontrolliert, Social-Media-Accounts überprüft. Unfassbar, in einem Land, wo die erste Statute der Konstitution Redefreiheit ist. Das tut mir in der Seele weh.
Wie gehst du damit um?
Ich lese zehnmal am Tag die New York Times und höre Podcasts, auch nachts. Eigentlich zu viel. Ich schlafe zu wenig und bin nur am Machen. Ich meditiere ein bisschen, das hält mich oben. Das ist meine Kirche. Und alle zwei Tage gehe ich in die Muckibude.
Spiegelt sich das Politische in deiner Musik?
Davon gespeist war „Life Between Plagues". Man muss als Mensch etwas tun. Nicht dass Stücke schreiben etwas verändert – aber es ist ein Outlet. Mein Sohn Lukas macht elektronische Musik, etwas dystopisch. Dazu habe ich Orgel und Marimba aufgenommen. Im Februar will ich das im Studio weiterführen.
Mit welcher Besetzung?
Mit Leuten aus New York: Satoshi Takeishi ist ein fantastischer Perkussionist, der mit McCoy Tyner gespielt hat. Matt Pavolka spielt Bass. Dazu kommen meine alten Komplizen Chris Bacas am Saxophon und die Sängerin Tammy Scheffer. Es ist ein kleines Ding im Musiker-Loft iBeam – sehr schlicht, wie früher die Loft-Szenen.
Wie ist das Quartett entstanden?
Ich war in Toronto und hatte das Vergnügen, ungeplant mit Terry Clarke zu spielen. Das war im Sommer 2023. Ich kannte ihn aus meinen elf Jahren in Kanada. Nach dem Konzert sagte er: „Ich komme nach Deutschland, hast du Lust, mit mir zu spielen?" Natürlich! Pass auf, im Dezember habe ich Gigs für dich. Das war völlig impromptu. Und es klappte super.
Terry Clarke ist eine Legende.
Er wurde 1944 geboren und ist jetzt 81 Jahre alt. Er hat mit Oscar Peterson gespielt, mit Nancy Wilson, Toots Thielemans, der Toshiko Akiyoshi Big Band, sogar mit The Fifth Dimension. Und er ist auf „Jim Hall Trio Live" dabei, die unter Musikern Kultstatus hat. Sie ist in den Achtzigern live in Toronto entstanden; der Bassist Don Thompson hat das auf einem Vierspur-Kassettenrekorder aufgenommen. Wenn ich poste, dass Terry dabei ist, kommen Leute nur wegen dieser Platte. Die Ernennung zum „Order of Canada" untermauert seinen Legendenstatus.
Wie kam es zur Albumaufnahme?
Terry meinte: Können wir das aufnehmen? Ich sagte: Nee, kein Geld. Und live? Dann haben wir eben live aufgenommen, übers Knie gebrochen, in Warendorf und Dortmund. Daraus ist die Platte entstanden, auf Cornerstone Records Toronto. Das gefiel mir: eine Platte, die hier in der Region entstanden ist. Dortmund und Warendorf – wie oft passiert das?
Wie hat sich die Besetzung entwickelt?
Ursprünglich hatte ich eine andere Wunschbesetzung: Silvio Morger am Schlagzeug, Matthew Halpin am Saxophon, Matthias Akeo Nowak am Bass. Auf Halpin war ich während der Pandemie über Instagram aufmerksam geworden. Der gebürtige Ire lebte lange in Köln und lehrt jetzt als Professor in Wien und Graz. Die Irish Times nennt ihn „fearlessly inventive improviser". Dem kann ich nur beipflichten: Er spielt eloquent, klanglich sensibel und bewegt sich mühelos zwischen Ekstase und Eleganz.
Dann kam Terrys Einladung – eine Legende, eine Kultplatte, das konnte ich nicht ausschlagen. Matthias ist inzwischen ausgestiegen, er ist jetzt Professor in Mannheim. Also haben Matthew und ich John Goldsby gefragt. John und Terry haben in New York schon zusammen gespielt, bevor John Bassist der WDR Big Band wurde – mit Bill Mays, Helen Merrill, Jean-Pierre Rampal und anderen. Die beiden waren ein eingespieltes Rhythm-Section-Rückgrat. Das ist ein Anlass, mit zwei Leuten das ausgehende Golden Age noch mal aufleben zu lassen.
Was bleibt, wenn die Tour vorbei ist?
Hoffentlich die Erinnerung an Abende, an denen etwas passiert ist – auf der Bühne und beim Publikum. Jazz lebt von Momenten, die man nicht planen kann. Wenn Terry mit 81 einen Groove spielt, der den Raum trägt, Matthew ins Ekstatische geht und John das Fundament legt – dann passiert etwas Größeres als wir vier. Das ist das Geschenk dieser Musik: Sie verbindet Generationen, Kontinente, Fremde im Publikum. Für mich ist diese Tour eine Bestandsaufnahme. 20 Konzerte in der Altstadtschmiede, eine Platte aus der Region, eine Szene in NRW, die mich immer wieder überrascht. Über 20 Jahre habe ich zwischen Brooklyn und dem Ruhrgebiet gependelt und könnte bis heute nicht sagen, wo zu Hause ist. Vielleicht ist das die Antwort: Zu Hause ist, wo die Musik passiert. Und im Dezember passiert sie hier.
MOSAIC – CD-Release-Tour Dezember 2025
11.12. Köln, King Georg, 19 Uhr 12.12. Düsseldorf, Jazzschmiede, 20 Uhr 13.12. Gelsenkirchen, Kunstraum Norten (FineArtJazz Jazz+Dinner), 19 Uhr 18.12. Warendorf, Theater am Wall 19.12. Recklinghausen, Altstadtschmiede, 20 Uhr 20.12. Dortmund, Domicil, 20 Uhr 21.12. Essen, Hauskonzert
Besetzung: Stefan Bauer (vib), Matthew Halpin (sax), John Goldsby (b), Terry Clarke (dr) Album: MOSAIC (Live, Cornerstone Records/Toronto)
26.12. Dortmund, Opernhaus – Jazzmatinee, 11 Uhr „Wir können auch anders" mit Claudia Ramos Barreto (voc, vl), Jasper Edeler & Ingo Marmulla (g), Alex Zotz (e-b), Stefan Bauer (vib, p), Michael Thoene-Peters & Jonathan Schierhorn (dr, perc)



