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„Wir wollen Emotionen transportieren“

Gespräch mit Bernd Zimmermann und Susanne Pohlen

Gelsenkirchen, 31.08.2022
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Wir arbeiten wie die Irren für dieses Festival und machen fast alles nur zu zweit. Aber wir tun es mit einem Lächeln!“ bekundete Susanne Pohlen auf der letzten Pressekonferenz vor Beginn des New Colour Festivals am 8. September. Hoch oben auf dem Nordsternturm, auf welcher der slowenische Cellist Kristijan Krainjan eine spektakuläre Soloperformance ablegen wird, kam eine Konversation in Gang über Kulturmarketing und Imagepflege für eine Stadt – eben dafür will dieses neue Festival Motor und Hoffnungsträger sein.

Das Buchen der meisten Bands liegt schon fast ein Jahr zurück. In den letzten Monaten war vor allem das organisatorische Kleinklein ein Fulltimejob. Wer eine Marching Band wie das Fischermanns Orchestra in der Gelsenkirchener Innenstadt aufmarschieren lassen möchte, braucht in Deutschland dafür erstmal eine kostenpflichtige „Beschallungsgenehmigung“. Die braucht es sogar, wenn diese Band am selben Tag in luftiger Höhe und weitab von jeder Wohnbebauung auf der Rungenberghalde aufspielen wird...

Der Vorverkauf ist noch etwas schleppend und man kann über viele Gründe für die Zurückhaltung beim Publikum spekulieren. Gerade jetzt mit einem mehrtägigen Festival an den Start zu gehen, das wirkt sportlich und mutig. Aber sportlich und mutig sein ist Programm bei Bernd Zimmermann und Susanne Pohlen, was aber mit einer guten Portion unternehmerischem Realismus einher geht.

Audience Developement

In Zeiten eines älter werdenden Jazz-Publikums definiert sich der Zulauf zu den meisten etablierten Festivals durch langjährig eingeübte Traditionen und Gewohnheiten, vor allem in einem „Festivalland“ wie NRW. Ein neues Jazzfestival mit zeitgemäßem Konzept ist eine Herausforderung für die Trägheit der Masse, aber zugleich eine Chance, dass Bewegung in die Szene kommt. Immerhin hat die Konzertreihe Fine Art Jazz in den letzten Jahren ein ganz neues Publikum für den Jazz generieren können. Bei aller Erfahrung und Beharrlichkeit in Sachen sinnvollem Kulturmarketing bleiben Bernd Zimmermann und Susanne Pohlen aber realistisch in Bezug auf die Erstausgabe des New Colours Festivals: „Wir können nicht erwarten, dass auf Anhieb alle Leute gerannt kommen, so etwas muss sich erst mal etablieren.“

Aufmerksamkeitsökonomie

Mit qualitativ hochwertigen Kulturangeboten sichtbar werden, heißt vor allem, sich innerhalb einer monströsen Aufmerksamkeitsökonomie zu behaupten. Gerade in Gelsenkirchen ziehen Großveranstaltungen in der Arena mit Helene Fischer oder Ed Sheeran die Massen an. Dass in vielen Medien und auch Akteure in Politik und Wirtschaft solche Massenereignisse der Unterhaltungsindustrie mit „Kultur“ gleichsetzen, ist gerade in Deutschland vorherrschendes Missverständnis, wie Bernd Zimmermann mal einen Vergleich bemüht: „In den USA würde hier zum Beispiel zwischen Kultur und Entertainment klar differenziert.“

Ein Festival wie New Colours neu zu etablieren heißt, sich aus der Nische zu erheben. Bei der öffentlichen Bewusstseinsbildung braucht es einen langen Atem, an dem es Bernd Zimmermann und Susanne Pohlen nicht mangelt – und das zahlt sich langsam aus: „Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass anders gedacht wird.“ Auch viele Medien sind auf das Anliegen von Jazzveranstaltungen und ihrem Mehrwert für die hiesige Region aufmerksam geworden und leisten tatkräftige Unterstützung.

"Wir wollen zeigen, welch wunderschöne Facetten diese Stadt hat."

Im tiefsten Inneren hat nicht nur die Liebe zum Jazz, sondern auch ein tiefverwurzelter Lokalpatriotismus Bernd Zimmermann zum Konzertveranstalter werden lassen. Die erklärte Absicht ist, etwas in eine strukturschwache Region hinein zu geben, damit gesellschaftlich nach vorne geblickt wird: „Wir kreieren ein Label, um zu zeigen, welch wunderschöne Facetten diese Stadt hat“.

Namen von Städten haben einen spezifischen Klang und werden nicht selten zu einer „Marke“ für einen gewissen Lifestyle. Wer aus Berlin kommt, ist hip und freigeistig, wer in Düsseldorf lebt, stylish und wohlhabend. Aber Gelsenkirchen? In landläufiger Wahrnehmung wurde oft allzu larmoyant bekundet, dass in dieser „ärmsten Stadt Deutschlands“ ja ohnehin alles verloren sei.

So etwas kann man als gegeben hinnehmen. Besser ist es, woanders hin aufzubrechen.Irritiert äußerte sich Bernd Zimmermann darüber, dass solche Zerrbilder sogar in der öffentlichen Förderpraxis munter weiter wuchern: „Ich hatte einen Förderantrag beim Land NRW gestellt. Mit einer solchen Unterstützung hätten wir noch viele weitere Rahmenprogramme gerade für die Imagepflege der Region realisieren können. Ich habe den Antrag damit begründet, dass die Stadt Gelsenkirchen finanziell selbst zu schwach ist, um diesen Mehraufwand zu stemmen. Der Antrag wurde abgelehnt - und zwar genau mit demselben Argument. Mir erschließt sich dahinter keine Logik.“

"Die Musik soll Kreativität provozieren"

Auch die Stadt Gelsenkirchen engagiert sich für New Colours und tut alles, was sie kann. So werden viele - in städtischer Hand befindliche – Spielstätten zur Verfügung stellt. Im öffentlichen Raum wird Plakatwerbung fürs Festival unbürokratisch ermöglicht, was in Zeiten eines Ausverkaufs sämtlicher Werbeflächen an kommerzielle Großkunden auch leider weitgehend Geschichte ist.

Die Qualität der Programme rangiert auf internationalem Level – das braucht es, damit Ausstrahlung entsteht und damit ein echter Mehrwert für die Region. Es gibt prominente Namen im Lineup des Festivals, wie Joachim Kühn. Viele Entdeckungen und vieles, was den Horizont weitet, aber auch die Seele streichelt. Und was eben auch den umgebenden Räume zu eiinem neuen Sountrack verhilft. Eine Leistungsschau der Superlative ist aber erklärtermaße nicht das Anliegen von Bernd Zimmermann und Susanne Pohlen: „Wir wollen Emotionen transportieren. Wir wollen keine olympischen Spiele zelebrieren, bei denen etwa der schnellste Saxofonist die meisten Töne erzeugt. Es geht uns darum, dass Musik in den Menschen Kreativität provozieren kann.“

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