Willkommen in Trumpistan
Stefan Bauers New York Cronicle Vol. 2
TEXT: Stefan Pieper und Stefan Bauer | FOTO: Stefan Bauer
Anfang April war der Times Square gespenstisch leer. Allmählich füllt sich New York wieder, aber in der Wahrnehmung von Stefan Bauer ist dies höchstens „ein Schatten von dem, was es sonst ist.“ Mit neugierigem Blick und dem Fotohandy forscht er obsessiv Ecken aus. Wegen Geldsorgen liegt er nachts noch nicht wach, aber es wächst das Unbehagen über die gesellschaftlich-politische Wirklichkeit in „Trumpistan“, wie Bauer es gerne nennt. Grund genug für ihn, sich auch politisch unmittelbar in seiner Nachbachschaft im Viertel Sunset Park zu engagieren...
„Heute war ich allein etwa 2 Stunden unterwegs. Ich habe gerade wieder so ein tolles Ding gefunden. Und ich war wieder raus, um irgendwoher Gelder zu beikommen. Wegen Geld liege ich nachts nicht wach. Trotzdem frage ich mich, welche Zukunft hat die Musik und was machen wir.
Es kommt eine Komponente dazu, die bedrückt mich noch viel mehr, das ist die Politik. Es gibt krasse Versäumnisse, die heute immer noch geleugnet werden. Habe gerade in „USA today“ einen Artikel gelesen mit dem Fazit, wir befinden uns am Anfang einer Diktatur. „Checks and Balances“, von den Gründervätern eingerichtet, hat Trump vielfach ausgehebelt (zur Erläuterung ein Zitat des History Channels: Das System der gegenseitigen Kontrolle in der Regierung wurde entwickelt, um sicherzustellen, dass kein Regierungszweig zu mächtig wird. Die Verfasser der US-Verfassung haben ein System aufgebaut, das die Macht zwischen den drei Zweigen der US-Regierung aufteilt - Legislative, Exekutive und Judikative - und verschiedene Grenzen und Kontrollen der Befugnisse jedes Zweigs umfasst).
Trump kann heute ungestraft sagen und meist wirken, wie er will. Für die Wahl am 20. November gibt es düstere Prognosen. Trump hat schon vor einem Jahr so etwas wie Bürgerkrieg angedeutet, und mit täglichen Aktivitaeten und Tweets schürt er gezielt Angst vor allem in den Staaten, die sich eh abgehängt fuehlen, ihr “white privilege” gefaehrdet sehen, gleichzeitig aber eine enorme Wahlmacht darstellen, da alle Staaten dieselbe Repraesentation im Senat geniessen (50 US Staaten mit je zwei Senatoren pro Staat, egal wie gross, z.B. im Staat Wyoming leben nur 0,17% der US Gesamtbevoelkerung, in Kalifornien leben fast 12%). Selbst wenn es eine unkorrupte Wahl gäbe, was komplett in den Sternen steht, kann Trump seine Facebook Follower mobilisieren - auch zu Waffengewalt, was sich schon jetzt andeutet. Trump hatte eh schon den Senat mehrheitlich auf seiner Seite (teils aus Angst), bis auf einen einzigen widerspricht ihm hier kein Republikaner - das ist fast so wie Hitlers willige Helfer. Obwohl jetzt neulich selbst das Oberste Gericht eingeräumt hat, dass auch ein amtierender Praesident angeklagt werden kann findet er immer wieder wege, z.B. die Offenlegung seiner Steuern zu vertage, zu verzögern und verschleiern. Da ihm verschiedene Institutionen, wie z.B. der NYer Bezirksanwalt Vance, dicht auf den Fersen sind werden seine Steuerklaerungen frueher oder spaeter publik werden. Wohl aber nicht vor der Wahl, und ich hoere Stimmen, die sagen, dass Trump absolut alles in Gang setzen wird – also auch Gewalt – um eine Wahlniederlage zu verhindern, weil er sonst voraussichtlich auch empfindliche juristische Konsequenzen zu befuerchten hat. Das ‘steigert’ das Wohlbefinden . . .
Im April wurde in Wisconsin ein Gesetz aufrecht erhalten, dass gegen den Wunsch des dortigen Gouverneurs festlegte, dass die dortige Wahl für einen Anwaerter für das dortige staatliche höchste Gericht in Wahllokalen stattfinden muss ((anstelle von Briefwahl). Ein Antrag darauf, dies zu verschieben auf eine erwartete Verbesserung der Infektionsraten wurde auch abgeschlagen. Die Leute mussten sich zur Wahl draußen stundenlang in einer langen Schlange aufstellen und damit der Infektionsgefahr aussetzen. Die Hoffnung der Republikaner war, dass die Leute Angst hatten und schlicht nicht waehlen gingen. Die Wahlbeteiligung ist eh niedrig. Was mich schockt, ist das mittlerweile unverhohlene Vorgehen: Die Wahl koennte schlecht fuer uns (Republikaner) ausgehen, also machen wir den Gebrauch dieses Grundrechts so schwierig und so gefaehrlich wie moeglich. Unglaublich in einem Land, was seit Jahrzehnten darauf hält, Demokratie zu exportieren. Trotz der Gefahr sind viele wählen gegangen und haben den Demokratischen Kandidaten gewählt.
“Agent Orange hat das Oberste Gericht in der Tasche”
Das Oberste Gericht ist in der Tasche von Trump. Die Generalanwälte drehen die Sachen und Trump schafft, alles für sich zu drehen. Alle, die widersprechen, entlässt er. Gerade im Gesundheitssektor entlässt er einen nach dem anderen. Letztes Jahr sagte eine Wetterstation einen Hurricane mit einhergehenden großen Schäden voraus. Trump hat dem offiziell widersprochen und bewirkt, dass die Leute dieses Senders entlassen wurden.
Was in den Köpfen der Menschen vorgeht, kann ich nicht einschätzen. NY befindet sich in einem Land mit zweidrittel der Bevoelkerung Europas. An dem Tag, wo Trump inthronisiert wurde im Januar 2017 gab es Massenproteste in Washington. Wollte nicht nichts tun, bin zu einer Veranstaltung in Brooklyn gegangen: Don’t agonize, organize. Es gab Dias die zeigten, wie schnell die Tea Party (die vor Jahren aehnlich toenten wie in Deutschland die AfD, und die die Republican Party massgeblich nach rechts geschoben hat), und wie wir diesen Prozess umdrehen müssten. Also: Lokalpolitik – mit der ich nie viel am Hut hatte. Aber dies hier war einleuchtend und der Pragmatismus dieser Gruppe mit dem Namen “New Kings Democrats” (Kings County ist ein Wahlbezirk in Brooklyn) sprach mich an. Seit einiger Zeit betaetige ich mich also als Voluntaer. Zur sog. ‘Midterm Election’ (nach der Haelfte der 4-jaehrigen Regierungszeit des Praesidenten gibt e s eine Wahl bezgl. der ueber 400 Leute starken Repraesentantenhauses) habe ich an Tueren geklopft und mit Leuten ueber einen demokratischen Repraesentanten geredet. Wir waren unterwegs in ‘Bay Ridge’, südlich ‘meiner’ Gegend Sunset Park, die widerum suedlich des populaeren und teuren ‘Park Slope’ liegt (oft in Filmen zu sehen, hier wurde z.B. der Film ‘Smoke’ mit Harvey Keitel gedreht). Man sieht nicht wie teuer es ist, u unsere Gegend entwickelt sich auch in dieser Richtung. Bayridge ist eher konservativ, viele Italiener und Mafia-Typen. Mir war nicht ganz wohl dabei, da ich so etwas noch nie gemacht habe und auch etwas Schiss hatte vor agressiven Trumpisten. Es hiess oefter “mit Demokraten haben wir nichts zu tun” – aber ich war erstaunt, wie zivil alles vonstatten ging. Also, wie Leute so einen unzivilisierten Typen wie den Trump wählen können, aber selber doch recht zivil sind. Dieser Widerspruch hat mich fasziniert.
Ich habe aber kein Interesse mehr daran, dem auf den Grund zu gehen, warum Leute “Agent Orange” waehlen (einer der vielen Spitznamen fuer Trump, hier der Name der hochgifigen Chemikalie, die während des Vietnamkrieges Waelder entlaubt hat) – ausser, daß er vermeintlich Dinge tut, die für sie gut sind.