Von Köln nach Lima und zurück
Ein Portrait über Joscha Oetz
TEXT: Hans-Bernd Kittlaus | FOTO: Gerhard Richter
Der Bassist und Komponist Joscha Oetz kam 2011 nach 11 Auslandsjahren zurück nach Köln. Sehr schnell hat er wieder Anschluss an die Kölner Jazz Szene gefunden und spielt heute in einer Vielzahl von Bands wie Frederik Kösters Die Verwandlung, Nils Tegen Trio oder Clemens Orth Trio. Jetzt hat er mit „Perfektomat“ unter eigenem Namen seine insgesamt sechste CD vorgelegt, ein faszinierendes Amalgam seiner persönlichen Erfahrungen und Entwicklungsschritte.
Wurzeln – Roots – dieses Stichwort ist Joscha Oetz wichtig: „Über Roots und Identität denke ich seit langer Zeit viel nach. Meine eigenen Wurzeln in der europäischen Improvisation waren der entscheidende Grund für meine Rückkehr nach Köln.“ Der Bassist wurde 1971 in Köln geboren. Er studierte Musik in Essen und Köln. Der Kölner Stadtgarten mit seinem vielfältigen Programm der 90er Jahre bot ihm viele Gelegenheiten, unterschiedlichste andere Musiker live zu erleben. Er selbst spielte in dieser Zeit bereits in ganz Europa und fand Kontakt zu seinem späteren Mentor, dem amerikanischen Bassisten Barre Phillips. Der war es auch, der ihm ein Weiterstudium bei dem klassischen Meisterbassisten Bertram Turetzky in San Diego empfahl, als Oetz ein DAAD-Stipendium für ein Studium in USA bekam. „Alle gingen damals nach New York, was ja auch nahelag. Ich wollte was Anderes machen.“ Also zog Oetz im Jahr 2000 mit seiner peruanisch-stämmigen Frau und dem gerade geborenen Sohn an die amerikanische Westküste und studierte klassischen Bass bei dem berühmten Lehrer. Parallel fand er reichlich Gelegenheit auch Jazz zu spielen. „Es gab damals eine kleine feine Improvisationsszene in San Diego. Gerald Clayton war noch ein Teenager, aber kam öfter von LA runtergefahren. Auch mit Don Byron konnte ich spielen. Und George Lewis, der Posaunist, der aus Chicago’s AACM hervorging, lehrte in San Diego. Außerdem gab es gute Auftrittsmöglichkeiten im nahegelegenen Mexiko.“
Das Studium als klassischer Bassist gab Oetz eine zusätzliche Dimension des Spielens. „Ich suchte schon in meiner Frühzeit als Jazz-Musiker immer die schwarzen Wurzeln des Jazz. Merkwürdigerweise waren es dann aber weiße Bassisten, die mich am stärksten beeinflusst haben. Vor allem Barre Phillips, aber auch Dave Holland und Charlie Haden. Unter den Nichtbassisten hatte Steve Coleman mit seinem M-Base Konzept große Bedeutung für mich.“ Nach seinem Master-Abschluss in San Diego kam der nächste Schritt überraschend, diesmal bestimmt durch die familiären Wurzeln seiner Frau in Peru. So zog die Familie – inzwischen zu viert – 2004 nach Lima, und Oetz tauchte ein in die Musikszene des Landes. „Ich hatte damals gedacht, ich sei rhythmisch ziemlich versiert und vielseitig, aber die peruanischen Rhythmen erforderten dann doch erstmal eine Lernphase.“ Oetz spielte bald mit lokalen Musikern wie dem neuseeländischen Schlagzeuger Steve Cournane, dem einflussreichen peruanischen Trompeter Gabriel Alegria, mit dem er sogar zwei ausgedehnte US-Tourneen machen konnte, und der Cajon-Spielerin Laura Robles. Mit Unterstützung des Goethe-Instituts kamen Kölner Musiker wie Saxofonist Niels Klein und Pianist Nils Tegen nach Lima, mit denen Oetz spielen und eine CD aufnehmen konnte. „Nach 7 Jahren in Peru vermisste ich einen Teil meiner Wurzeln, die Improvisationsmusik europäischer Prägung. Das gab den Ausschlag, dass wir 2011 nach Köln zurückkehrten.“
In Köln konnte sich Oetz sehr schnell wieder in die Jazz-Szene integrieren und spielt seitdem nicht nur mit Freunden und Kollegen, die er aus den 90er Jahren kennt, sondern auch mit der nachfolgenden Musiker-Generation. So ist er unter anderem Mitglied von Robert Landfermann s Kontrabass-Quartett BASZ und von Frederik Kösters Die Verwandlung mit Sebastian Sternal und Jonas Burgwinkel und spielt mit Gitarrist Vitaliy Zolotov . Besonders am Herzen liegt ihm natürlich seine eigene Band Perfektomat. „Das Wort kommt von der umgangssprachlichen Verwendung für klasse, super, perfekt. Das soll nur ausdrücken, dass wir uns beim Zusammenspielen wohlfühlen. Also kein Perfektionsanspruch, und auch nichts Mechanistisches, was manche Leute in den Begriff reininterpretieren.“ Für Perfektomat hat Oetz Kompositionen geschrieben bzw. zusammengestellt, die seine verschiedenen Wurzeln wiederspiegeln. Da sind die peruanischen Rhythmen wie Festejo oder Landó, die Blues-Fundierung und Energie aus dem schwarzen amerikanischen Jazz und die Strukturiertheit und intellektuelle Reflektion aus der europäischen Improvisationsmusik. Oetz hat alle diese Elemente in seinem Bass-Spiel mit seinem runden fetten Sound, und es gelingt ihm auch mit seinen Kompositionen, ein stimmiges Ganzes daraus zu machen. Für die Realisierung müssen natürlich die richtigen Musiker zusammenkommen. „Ich habe die Musiker danach ausgewählt, dass sie die Energie mitbringen, die ich in der Band haben will, und dass sie die Rhythmen spielen können. Bei Laura Robles ist das natürlich gegeben. (Schlagzeuger) Bodek Janke hat so viel Gespür für die unterschiedlichsten Rhythmen dieser Welt. Er war schnell in diesen peruanischen Rhythmen. (Pianist) Simon Nabatov ist unglaublich vielseitig und hat sich intensiv mit lateinamerikanischer Musik beschäftigt. Und (Saxofonist) Niels Klein hatte schon mit mir in Peru gespielt.“
Schon auf der CD wird diese Energie spürbar, live ist sie geradezu überwältigend. „Ich denke, es gibt zurzeit keine vergleichbare Band in Deutschland. Deshalb wird mein Hauptfokus in 2015 auch auf Perfektomat liegen, wobei ich natürlich in den anderen Bands weiterhin spiele. Für die nächste CD-Aufnahme mit Perfektomat stelle ich mir eine Erweiterung um zusätzliche Musiker vor. Einige Sachen habe ich schon dafür geschrieben.“ Doch zunächst stehen Konzerte mit dem Quintett an, das auf der CD spielt. Da werden sicherlich viele Besucher rufen „Super, klasse, Perfektomat!“