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Und dann beschloss ich einfach zu singen

Ian Shaw im Pausentalk auf Lüttinghof

Gelsenkirchen, 13.12.2014
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Ian Shaw war nicht nur vom guten Weißwein auf der Wasserburg Lüttinghof angetan, sondern hatte auch Momo, die kleine Hündin des Konzertveranstalters ganz schnell liebgewonnen - was sichtlich auch auf Gegenseitigkeit beruhte. Und wie so viele Künstler, die sich auf der Bühne bewusst extrovertiert und komödiantisch geben, zeigte sich der Weltklasse-Jazz-Sänger im Gespräch als sehr ruhiger, ja sanfter Gesprächspartner.

Gibt es für dich einen Unterschied zwischen einer Soloperformance und einem Auftritt mit einer ganzen Band?

Der Unterschied ist riesig. Wenn ich solo agiere, bin ich völlig frei und kann komödiantisch alle Register ziehen, so dass es hinterher fast Kabarett ist. Wenn ich mit einer Band auftrete, ist der kreative Prozess viel geplanter – ich habe im vorhinein auch viel mehr dafür aufgeschrieben.

Wie ist es hier für dich auf der Bühne auf Schloss Lüttinghof?

Es macht hier sehr viel Spaß, Balladen aufzuführen. Wenn ich zu meinem Gesang selbst auf dem Flügel spiele, fühle ich mich wie ein einziges Instrument. Aber ich bin überhaupt kein guter Pianist (lacht).

Siehst du das Klavier als eine Art Werkzeug?

Genau das ist es.

Fühlst du dich alleine freier, um mit dem Publikum zu kommunizieren?

Oh ja. Ich bin ein Comedian, und es ist schwer, damit aufzuhören. Ich habe dieses Comedy-Ding seit der Ronny Scott Radio Show, an der ich beteiligt war, so verinnerlicht. Und überhaupt – es gibt ja wenig Jazzmusiker, die musizieren und gleichzeitig dabei Späße machen.

Du bist ja schon oft in Deutschland auf Tour gewesen. Wie findest Du die hiesige Jazzszene?

Die Jazzszene hier ist fantastisch. Es gibt großartige Festivals. Und überhaupt – ich spüre bei den Menschen hier eine große Leidenschaft wenn es darum geht, Musik auf die Bühne zu bringen und Konzerte zu organisieren.

Siehst du Unterschiede zur britischen Szene?

Ja, auf jeden Fall. Hier in Deutschland fällt mir auf, die sehr sich die Leute auf Details konzentrieren, auf die Präsentation und auf die Publicity. Und auch das Publikum ist anders hier. Es ist wie ein Klassikpublikum.

Kommt mir manchmal auch so vor. Früher war Jazz vor allem eine Gegenkultur. Heute gibt es auch hier ein regelrechtes Bildungsbürgertum. Ich glaube, für dieses Wort gibt es nun definitiv keine englische Entsprechung mehr. Siehst du einen Unterschied beim Druchschnittsalter in England?

Auf jeden Fall. Das Jazzpublikum in England ist jünger. Und das ist ja auch erfreulich – vor allem weil es heute so viele sehr junge Musiker gibt, die unglaublich gut ausgebildet sind. Es haut mich selbst immer wieder um, dass es Kids gibt, die schon mit 20 wie Charly Parker spielen können.

Lass uns wieder über deine Musik reden. Wie bist Du der geworden, der du heute bist?

Lange hatte ich mit Jazz überhaupt nichts am Hut. In meiner Jugend habe ich Musik von Pink Floyd und David Bowie aufgesogen. Zum Jazz fand ich erst, als ich etwa 18 war. Aber das war ja irgendwie vorprogrammiert, weil ich das improvisieren immer schon liebte. Ich mag beim Improvisieren dieses Gefühl, mit mir selber im Einklang zu stehen. Dieses Gefühl zu spüren, dass ich weiß, was ich tue. Klar, und ich liebe es auch, in meiner Band zu improvisieren.

In der Hinsicht ragst du ja schon heraus, da es eigentlich nur wenige Sänger gibt.

Ja, und ich liebe auch den improvisierten Dialog mit mehreren Sängern – was ja noch unüblicher ist. Zu meinen ganz großen persönlichen Highlights gehört die Zusammenarbeit mit Madeline Bell, einer mittlerweile 72jährigen Gospelsängerin.

Deine Begeisterung zum Singen kam schon sehr früh?

Nein, genauso wie meine Liebe zum Jazz kam auch dies relativ spät bei mir auf.

Ich habe mit der Trompete angefangen, denn dies entsprach der Familientradition. Mein Vater spielte Trompete in einer Bergarbeiterkapelle und da kam ich auch früh mit diesem Instrument in Berührung - in einer traditionellen Brassband. Ich stamme ja aus Wales, einer Region, die stark vom Kohlenbergbau geprägt ist. Wir waren ganz viel in Brassband-Wettbewerben im Land unterwegs.

Das mit dem Singen war dann später irgendwann einfach da. Ich lebte derweil in London, hatte Gigs in kleinen Clubs und Restaurants. Eine wichtige Station ist Gerrys Club, wo ich viel mit Freunden zum Trinken rumhing. Und dann beschloss ich, einfach mal zu singen. Ich habe die Sache dann ausgebaut, war viel in Musicals und im Theater unterwegs.

Hast Du irgendwelche Idole gehabt?

Ja, auf jeden Fall. Marc Murphy. Eines Tages traf ich ihn in einem etwas seltsamen Schwulenclub. Ich sagte ihm frei heraus- ich möchte Jazz singen und antwortete, er sei ein Jazz – Sänger. Er ist dann mein Mentor geworden. Murphy ist ein unglaunlich. Heute ist er 84 Jahre alt – er hat noch mit Bill Evans zusammen gearbeitet und vermutlich an die 100 Alben aufgenommen.

Mal was ganz anderes: Siehst Du das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert des Songs?

Ja, das ist es definitiv. Und wir haben in England auch schon viele Veranstaltungen mit genau diesem Motto gehabt.

Ich glaube, das Publikum freut sich so langsam auf das Ende der Pause und möchte den zweiten Set hören. Wie sehen deine nächsten Tage aus?

Ich habe eine völlig verrückte Woche. Morgen geht es zum zwieten Konzert von Fine Art Jazz nach Mönchengladbach. Danach fliege ich für ein Konzert zurücik nach Londeon. Dann geht es sofort wieder zurück nach Deutschland, zu einem Gig nach Münster.

Tja, das ist der Job.

(lacht...) das ist der Job!

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