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Umland Records

Nicht nur ein Label

Essen, 05.01.2021
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

Seit über zehn Jahren existiert das Label Umland Records und versammelt im Umfeld des Musiker-Kollektivs The Dorf eine Reihe von NRW-MusikerInnen, ja: eine hochinteressante und lebendige Musikszene. Im Interview mit Simon Camatta , Jan Klare und Florian Walter beleuchtet Heinrich Brinkmöller-Becker einige Hintergründe dieses Labels.

Was hat euch dazu gebracht, in Zeiten des allgegenwärtigen Streamings ein Label zu gründen und CDs herauszubringen?

Wir versuchen mal, die Frage aus verschiedenen Perspektiven zu beantworten: Idealismus, Pragmatismus und künstlerische Leidenschaft.

Schon lange vor dem konkreten Gründungsakt haben wir immer wieder davon gesprochen, wie großartig es wäre, die ganzen unterschiedlichen Aktivitäten, die sich in der hiesigen Szene um „The Dorf“ herum entwickeln, zu bündeln und den Kollektivgedanken noch stärker in die Welt zu tragen. Es gab den Begriff des „Umlands“ ja auch schon bereits einige Jahre, ebenso unser jährliches Festival. Insofern erschien die Gründung eines Labels eigentlich logisch und folgerichtig. Über die damit verbundene wirtschaftliche Dimension haben wir uns zu dem Zeitpunkt gar nicht so viele Gedanken gemacht. Letztlich war einfach der Punkt gekommen, wo wir nicht länger „hätte, hätte“ sagen wollten und ein bisschen Geld (und recht viel Zeit und Energie) in die Hand genommen haben, um zu sehen, wie weit wir damit kommen. Wenn wir nach einem Jahr festgestellt hätten, dass das alles nicht funktioniert, hätten wir es zumindest versucht und würden es nicht bereuen - ein wenig so war die Überlegung. Soviel zum Idealismus.

Ganz pragmatisch waren wir ehrlich gesagt ziemlich ernüchtert und auf eine Art enttäuscht, auf wie wenig Presse-Resonanz einige Platten stießen, die wir in den Jahren zuvor bei verschiedenen anderen Labels veröffentlicht hatten, obwohl wir zum Teil einigermaßen relevante Summen für die entsprechende Promotion bezahlt hatten. Da immer wieder ein Gefühl von „na, das hätten wir auch selbst gekonnt“ aufkam, sahen wir uns in der Pflicht, das tatsächlich ausprobieren und versuchen bis heute, so effizient und effektiv wie möglich an die Promotion heranzugehen, über möglich viele Aspekte die Kontrolle zu behalten, die Reichweite nachhaltig auszubauen, uns ganz konkret Hilfe zu holen, wo wir nicht weiterkommen und damit v.a. für die Umland-KünstlerInnen ein wirtschaftlich faires und inhaltlich sinnstiftendes Zuhause zu bauen. Der zentrale Punkt hierbei ist immer wieder die Bündelung von Energie und ein ausgewogenes Verhältnis von Plan und Anarchie. Auch tasten wir uns immer wieder in neue Bereiche vor, versuchen neue Zielgruppen anzusprechen, ohne den ästhetischen Kern, die Definition des Umland-Begriffs aus den Augen zu verlieren. Das bringt uns zur künstlerischen Leidenschaft: Natürlich war auch schon vor fünf Jahren das Streaming absolut dominant. Aber deshalb ist der physikalische Tonträger ja nicht aus der Welt, er hat nur sehr starke Konkurrenz, v.a. im Bereich der Popmusik. Ohne das zu stark verallgemeinern zu wollen, aber unser Eindruck war und ist, dass das Publikum unserer (mehr oder weniger nischigen, in jedem Fall aber nicht-mainstream-orientierten) Musik nicht so sehr auf den digitalen Zug aufgesprungen ist, wie das in anderen Bereichen der Fall ist. Aber im Grunde genommen war das auch überhaupt nicht unser Ansatz, gar so etwas wie eine „Arche“ für die physischen Platten zu gründen oder so. Die Entscheidung für Tonträger gegen den reinen Download ergab sich vielmehr aus unserer eigenen Haltung, dass die Musik, in die man so viel Zeit, Liebe und naja, auch ganz profan: Geld gesteckt hat, es einfach verdient, entsprechend hochwertig produziert und rezipiert zu werden. Und die KünstlerInnen, die bei uns veröffentlichen, sehen das offenbar genauso. Deshalb geht es auch nicht um irgendeinen Format-Fetisch oder ein Dogma, nur 180gr-Vinyl im Gatefold zu veröffentlichen. Wir haben es von vornherein vollständig den KünstlerInnen überlassen, wie sie ihre Musik präsentieren möchten. Klar, das meiste erscheint nach wie vor auf CD, aber wir haben von Vinyl in allen Größen über MC, DIY-Plattenspielern (Cardtalk) hin zu sehr print-artworklastigen Veröffentlichungen alles Mögliche im Katalog. Das bildet auch unsere eigene Rezeption bzw. Konsumverhalten ab, in dem wir uns durchaus unterscheiden. Tatsächlich haben wir aber seit kurzer Zeit sogar ein reines Download-Format im Online-Shop im Angebot, was durchaus kontrovers in der Fangemeinde aufgenommen wurde: Eine Art digitaler Wühltisch, bei dem man für kleines Geld Outtakes, alternative Takes, Probenmitschnitte oder extra dafür produziertes Material erwerben kann. Der Witz hierbei ist, dass nicht alles zum vorherigen Anhören freigeschaltet ist und die Politik „wenn weg, dann weg“ gilt. Digitale Unikate sozusagen. Das Experiment ist Teil eines umfassenden Dorf-internen Diskurses u.a. darüber, wie wir in Zukunft mit der in der Frage formulierten Problematik umgehen wollen - ein Versuch der Positionierung, ganz klar auch ein Statement. Was uns nochmal auf den Aspekt der Leidenschaft zurückwirft: Natürlich ist es singulär wirtschaftlich betrachtet keine gute Idee, heutzutage ein physisches Label zu gründen. Aber es erscheint uns bis heute als das einzig Richtige und es ist so unvorstellbar viel daraus entstanden - neue Projekte, eine große Aufmerksamkeit für die Szene, eine starke ästhetische Position in der Jazzlandschaft Deutschlands, uws. - ,dass wir es jederzeit wieder tun würden.

Ihr seid ja ein Netzwerk von MusikerInnen, die alle mit The Dorf verbunden sind. Wie kann man sich dieses Netzwerk genau vorstellen? Wie ist es dazu gekommen, wie „funktioniert“ dieses?

Zunächst sei festgestellt, dass es keine explizite Formulierung oder gar Verfassung des „Umlands“ gibt. Auf eine bestimmte Art und Weise ist eben dieses Unbestimmte das Spannendste und Mysteriöseste an unserer ganzen Historie, und interessanterweise das, was (auch intern) die meisten Diskussionen auslöst.

Die Sache ist sozusagen älter als der Begriff: Ganz vereinfacht bezeichnet „Umland“ natürlich die verschiedenen Bands, EinzelkünstlerInnen und Projekte, die sich um das Dorf herum angesiedelt haben oder aus dem Dorf heraus entstanden sind, soweit so klar.

Personell ist das aber nicht näher definiert, sondern hängt vielmehr an der Eigenwahrnehmung und Positionierung der jeweiligen KünstlerInnen. So würden wir z.B. auch nicht pauschal jede unserer eigenen Bands zwangsläufig zum „Umland“ zählen, sondern es von der jeweiligen ästhetischen Ausrichtung abhängig machen. Eine gewisse personelle Schnittmenge mit dem Dorf hilft bei dieser Entscheidung, aber andersherum gibt es auch verschiedene Bands, die sich dem Umland zurechnen lassen, die vielleicht gar nicht aus festen Dorf-Mitglieder bestehen, aber z.B. sehr intensiv mit diesen zusammenarbeiten. Wir wollen das eigentlich gar nicht so exklusiv betrachten, denn der fortwährende Diskurs über den Begriff und die Gestalt ist ebenso zentral für das Umland wie die Mitglieder selbst. Außerdem hat das Umland ja auch viele verschiedene Erscheinungsformen ohne inhärente Hierarchie: Es gibt Label, Festival, Kollektiv, Social Media, Konzertreihen, etc. – vielleicht lässt es sich am besten wie ein Rhizom betrachten. Alles hängt zusammen, es gibt keine Konkurrenz untereinander, aber eine gewisse Autonomie der einzelnen Teile, verschiedene treibende Kräfte und ProtagonistInnen.

Bitte drei Adjektive, die den Spirit von Umland Records umschreiben:

Wildwüchsig, insistierend, Investigativ

Könnt ihr Beispiele von letzten Veröffentlichungen nennen, die diese Beschreibungen etwas konkretisieren?

Wir waren 2020 tatsächlich sehr produktiv und prinzipiell erfüllen alle Veröffentlichungen (auch ältere) diese Kriterien. Deshalb einfach mal vier exemplarische VÖs:

Meat.Karaoke.Quality.Time.: Futura Bold – eine ästhetische wie technologische Feldforschung und Reflexion einer im Stillstand befindlichen Gesellschaft, die sich in Isolation und Hedonismus ergeht. Interessanterweise vor Corona aufgenommen, dennoch (oder gerade deshalb) bedrückend aktuell.

The Dorf feat. Phill Niblock: Baobab – eine Kooperation mit dem Altmeister des Drone, wahrscheinlich die bisher radikalste Dorf-Platte und (hoffentlich) ein transzendentales Erlebnis.

hilde: open – höchst raffinierte freie Improvisation mit kammermusikalisch-klassischen Anspruch.

Handsome Couple: Musik für ein imaginäres Tanzstück – eine konkrete Auseinandersetzung mit der aktuellen Krise und dem Verlust intersubjektiver Körperlichkeit.

Wie muss man sich den Ablauf bei Umland Records vorstellen von einer Idee bis zur Veröffentlichung?

Das lässt sich relativ schnell beantworten: Wir bekommen Anfragen von den KünstlerInnen, die etwas auf Umland veröffentlichen möchten und entscheiden dann zu dritt, was wir herausbringen und was nicht. Das ist relativ subjektiv, aber notwendig, da wir schon früh entschieden haben, zu dritt 100%ig hinter jeder Veröffentlichung stehen zu müssen. Das bedeutet, dass wir manchmal längere Pausen zwischen den Platten machen und manchmal mehrere auf einmal erscheinen. Wir versuchen das soweit möglich zu bündeln, auch inhaltlich, aber das Schöne ist, dass wir dabei völlig frei sind und entsprechend auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der KünstlerInnen eingehen können, zumal wir keine Deadlines oder Kontingente erfüllen müssen. So könnte es beispielsweise passieren, dass sich eine Veröffentlichung verzögert, weil in letzter Minute entschieden wurde, den Mix nochmal zu überarbeiten. Wenn die KünstlerInnen diese Entscheidung treffen, unterstützen wir sie dabei und verschieben unseren Plan, weil die Qualität der Platte dann einfach Priorität hat. Manchmal machen wir aber auch Vorschläge wie mit der Veröffentlichung noch ein wenig zu warten, damit zwei zueinander passende Platten besser beworben werden können, so dass Alle etwas davon haben. Wir probieren da viel und werten regelmäßig aus, was gut funktioniert und was man verbessern kann. Auch das ist ein Vorteil, wenn man alle Prozesse in der eigenen Hand hat.

Welche Reaktionen erfahrt ihr von eurem Publikum auf die Alben, die ja häufig von Live-Auftritten stammen?

Wir haben eine kleine, aber SEHR feine Stammhörer- und Kundschaft, mit der wir regelmäßig im Austausch sind. Normalerweise läuft das häufig über die Konzerte, in den letzten Monaten natürlich verstärkt über Social Media und direkten Mailverkehr, aber wir haben auch Formate entwickelt, die einen unmittelbaren Austausch trotz Corona hin und wieder möglich gemacht haben. So gab es im Rahmen der Veröffentlichung von „Futura Bold“ eine exklusive Online-Veranstaltung (und weitere „Easter Eggs“) für Alle, die das Album auf Risiko vorbestellt hatten, ohne überhaupt zu wissen, wann und wie es erscheint. Wir freuen uns sehr, dass die Platten in diesem Kreis und darüber hinaus so gut rezipiert werden, und noch mehr über konstruktive Kritik, die uns auch gelegentlich erreicht. Das klingt so ein wenig abgedroschen, aber diese Auseinandersetzung ist uns wichtig, denn es geht ja nicht nur darum, möglichst viele Platten in eine Black Box zu verkaufen, sondern gemeinsam etwas Größeres zu schaffen. So verstehen wir den Begriff von „Szene“, die wir hier im Ruhrgebiet, bzw. im auch darüber hinauswachsenden Umland absolut realisiert sehen.

Abgesehen davon müssen wir eine Sache korrigieren: Die wenigsten Alben im Katalog sind Live-Mitschnitte, fast alle sind im Studio produziert worden, auch wenn ein großer Teil der Musik sicherlich nicht durchkomponiert, sondern improvisiert wurde, wenn auch unter wohlüberlegten konzeptuellen Vorgaben.

Helfen die Alben bei Veranstaltern, Live-Auftritte zu ermöglichen?

Eher weniger, um ehrlich zu sein. Wobei sich das selten so 1-zu-1 sagen lässt. Wahrscheinlich gibt es heutzutage praktisch keine Veranstalter mehr, die Bands nur aufgrund einer CD buchen, dafür ist der „Markt“, wenn man ihn denn so nennen möchte, einfach viel zu übersättigt. Wir hoffen aber, dass sich das „Umland“ langfristig als eine Art Qualitätssiegel durchsetzt und in dieser Hinsicht vielleicht einen Beitrag leistet, der das Booking für die KünstlerInnen auf unserem Label etwas vereinfacht, hier und da sogar Türen überhaupt erst aufstoßen kann.

Was erschwert die Arbeit bei eurem Label?

Eigentlich nichts – klingt jetzt so platt, aber es ist einfach ein riesiger Haufen Arbeit, den wir halt bewältigen müssen und das gern machen. Im Großen und Ganzen läuft es ziemlich gut, worüber wir extrem froh und auch ein wenig stolz sind. Natürlich stoßen wir immer wieder an Grenzen, aber wir sind alle Drei nicht die Typen, die dann den Kopf in den Sand stecken oder sich lange darüber beklagen, wie schwierig das Alles ist, sondern die Ärmel hochkrempeln und uns an die Arbeit machen.

Was könnte helfen?

Mehr mediale Aufmerksamkeit, ganz klar. Tatsächlich kommt es uns oft so vor, als ob sich die größeren Medienrepräsentanten im Bereich Jazz mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit auf die beiden Zentren in Deutschland, Köln und Berlin, konzentrieren und darüber hinaus kaum etwas zur Kenntnis nehmen. Sicherlich haben diese Städte viel größere Szenen als das Ruhrgebiet, keine Frage, aber daraus einen Exklusivitätsanspruch abzuleiten, erscheint uns zunehmend fragwürdig. Zu oft wirkt es auf uns wie Ignoranz und Bequemlichkeit, die Berichterstattung nicht weiter zu fassen. Zumal die Szenen ja längst nicht mehr hermetisch voneinander funktionieren. Auch hier reicht ein kurzer Blick in den Umland-Katalog der letzten zwei Jahre – vertreten sind neben dem „Kernumland“ herausragende ProtagonistInnen der Szenen Berlins, Kölns, New Yorks usw.

Das ist aber kein Genörgel, sondern eine Beobachtung, die wir mit vielen KollegInnen teilen und eine Diskussion, die einen eigenen Artikel wert wäre.

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