Bild für Beitrag: TRADITION UND MODERNE VERBINDEN | Interview mit der Saxophonistin Kristina Brodersen
Bild für Beitrag: TRADITION UND MODERNE VERBINDEN | Interview mit der Saxophonistin Kristina Brodersen
Bild für Beitrag: TRADITION UND MODERNE VERBINDEN | Interview mit der Saxophonistin Kristina Brodersen
Bild für Beitrag: TRADITION UND MODERNE VERBINDEN | Interview mit der Saxophonistin Kristina Brodersen

TRADITION UND MODERNE VERBINDEN

Interview mit der Saxophonistin Kristina Brodersen

Köln, 01.06.2025
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam

Uwe Bräutigam hat in seiner Radiosendung Jazz and beyond mit der Saxophonistin und Komponistin Kristina Brodersen über ihr neues Album On & On, ihre Band Kristina 4, ihre Lehrzeit mit Lee Konitz, ihre Liebe zu Lennie Tristano und ihr Leben zwischen Musik und Familie gesprochen.

Kristina lebt mit ihrem Ehemann dem Pianisten Tobias Weindorf und ihren zwei Söhnen in Köln.  

 Hallo Kristina! Ich freue mich, dass du zu Jazz and beyond ins Studio gekommen bist und dass wir deine Musik hören werden, vor allen Dingen natürlich dein aktuelles Album On & On, aber vorher  möchte ich einen älteres Stück Frida Kahlo spielen und würde ich gerne wissen, was dich bewogen hat diesen Titel zu wählen?

 Kristina: Ich habe das Stück einfach erst einmal komponiert und relativ häufig ist es bei mir so, dass ich dann erst über Titel nachdenke. Es ist selten, dass ich den Titel zuerst habe. Ich hatte in dieser Zeit gerade die Biografie von Frida Kahlo gelesen, die mich sehr inspirierte und die vielen Farben in ihren Bildern haben mich dazu bewogen das Stück auch so zu nennen. Ich habe in dem Stück harmonisch sehr viele Wendungen drin und da habe ich gedacht, ach, das passt ja gut. Im Nachhinein habe ich dann gemerkt, oh, das wird ja jetzt hier eine richtige Frida Kahlo Welle, überall habe ich plötzlich Frida Kahlo gesehen. Manchmal passiert das ja, wenn man sich selber damit beschäftigt, dass man dann erst darauf aufmerksam wird.

 Nun haben wir ein älteres Stück von dir gehört, aber du hast ja gerade dein neues großartiges Album On & On veröffentlicht mit einer wunderbaren Band zusammen.

Kristina: Ja, ich bin sehr froh, dass ich diese Musiker in meiner Band Kristina 4 habe, das ist  Bastian Stein an der Trompete, Silvio Morger am Schlagzeug und Christian Ramond  am Bass. Mit Christian spiele ich in sehr vielen Kombinationen, auch in den anderen Bands mit Tobias zusammen, aber diese spezielle Kombination eben nur Saxophon und Trompete, da bin ich sehr froh, dass Bastian dabei ist, weil wir uns sehr gut ergänzen, also er hört einfach unfassbar gut zu, wenn ich spiele und reagiert wahnsinnig schnell darauf und wir haben, eine ziemlich gute Intonation miteinander und können gut miteinander kommunizieren. Silvio, den kenne ich ja auch schon ewig und das passt super gut zusammen

 Ihr spielt ohne Klavier?

 Kristina: Ja und das war auch meine Idee. Ich habe früher schon, als ich meine ersten Bands gegründet habe, sehr viel im Trio gespielt ohne Harmonieinstrument, weil ich diese Freiheit mochte. Ich bin auch totaler Fan von solchen Sounds auf den alten Platten von Ornette Coleman mit Don Cherry oder auch Joe Lovano mit Dave Douglas.

 Und Gerry Mulligan und Chet Baker.

 Kristina: Ich liebe es so Musik zu machen. Die andere Variante habe ich ja auch mit Tobias [Weindorf] im Quartett mit Klavier, aber ohne habe ich halt mehr Möglichkeiten, es gibt schon mehr Freiheiten improvisatorisch und auch von der kompositorischen Herangehensweise habe ich da mehr Freiheiten bzw. gehe anders heran.

 Ich möchte On & On, das Titelstück gerne spielen. On & On, was bedeutet das?  Du musst immer weitermachen?

 Kristina: Der Titel passt  in der Tat auch zu dem Stück, es hat eine relativ kurze Form und harmonisch ist es so, dass es immer in einem Kreislauf ist, d.h. es geht immer weiter, man hat nicht das Gefühl, oh jetzt bin ich am Ende  angekommen, sondern es geht wieder von vorne los und es gibt keinen Ruhepunkt am Ende, sondern es ist wirklich ein Kreislauf von Harmonien und man hat das Gefühl, dass man das Ende suchen muss.

 Bei deinen Stücken findet sich immer wieder ein direkter  Bezug zur Tradition. Auf fast allen deinen Veröffentlichungen ist Stück, dessen Titel in irgendeiner Weise Bezug zu großen Musikern der Traditionslinie auch hat.

 Kristina: Ich bin auch so zum Jazz gekommen, d.h., als ich angefangen habe Jazz zu hören, habe ich auch wirklich mit dem Traditionellen angefangen. Die erste Platte, die ich mir gekauft habe, war von John Coltrane, da war ich so elf oder zwölf, da habe ich gerade angefangen Saxophon zu spielen. Und damals konnte ich erstmal noch nichts damit anfangen, weil das mir einfach zu modern war, ich wusste nicht, wo ich das einordnen sollte. Aber ich bin dann zu Saxophonisten wie Cannonball Adderley gekommen. Das war am Anfang das, was ich sehr gerne gehört habe oder Phil Woods, da bin ich eigentlich schon in die Tradition eingestiegen, ohne es zu wissen, aber es war das, was mir gut gefallen hat, wo ich dachte, ah, der Sound auf dem Saxophon gefällt mir gut und die Stücke sind ja auch sehr melodisch.

 Auf deinem neuen Album heißt ein Stück In Walked Lee.

 Kristina: Das zeigt meine Liebe zu der Musik von Lee Konitz und Lennie Tristano. Das ist durch Zufall entstanden, weil als ich Teenager einen Workshop in meiner Heimat im Saarland gemacht habe und den hat Lee Konitz geleitet, so habe ich ihn kennen gelernt. Ich saß mit 17 SaxophonistIinnen in einer Runde und er hat jede/n von uns spielen lassen und ich hatte noch überhaupt keine Erfahrung mit Improvisation. Wir mussten auswendig spielen und die anderen haben dann alle Standards gespielt, wie All The Things you are, aber ich kannte noch kaum Stücke und dann habe ich einen Calypso von Sonny Rollins gespielt und das war sehr lustig, weil Lee Konitz dann mit eingestiegen ist und auch dazu improvisiert hat. So bin ich zum ersten Mal mit Lee Konitz in Kontakt gekommen und habe dann angefangen, mir auch seine Platten anzuhören. Und  über die alten, traditionellen Platten, bin ich an seine Musik gekommen und die hat mir sehr gut gefallen und so bin ich mit den Jahren immer tiefer eingestiegen und hatte dann auch zum Glück die Möglichkeit, immer wieder mal einen Workshop mit ihm zu machen und auch Unterricht zu bekommen.

 Lee hat ja eine Zeit lang hier in Köln auch gewohnt.

 Kristina: Er hat sogar sehr lange in hier Köln in der Innenstadt gewohnt und das war natürlich für mich ein Glück, dann ich bin durch Zufall auch in Köln gelandet. Dann waren wir ganz oft Eis essen und Kaffee trinken und er hat mir seine Herangehensweise und seine Ideen über Musik erzählt und das hat mich natürlich immer sehr inspiriert.

 Wenn ich an Traditionen denke, dann erinnere ich mich an Wolfgang `Wölfi` Engstfeld aus Düsseldorf, mit dem ich groß geworden bin. Als Düsseldorfer war das die Musik, die wir vom ersten Interesse an Jazz immer gehört haben. Wolfgang Engstfeld , Peter Weiss , später dann Reiner Witzel , die zweite Generation. Du hast auch mit Wölfi zusammen studiert oder zusammen gearbeitet?

 Kristina: Wolfgang Engstfeld war mein  Lehrer in der Hochschule in den letzten beiden Jahren. Ich liebe seine Kompositionen total und er ist ja auch jemand gewesen, der so fantastisch Tradition und Moderne in seinem Spiel zusammengebracht hat und auch eine eigene Stimme hatte, das fand ich sehr inspirierend. Am Anfang war ich bei Frank Gratkowski, das war auch super, also ganz unterschiedliche Typen, aber das hat mir im Studium schon sehr geholfen, dass ich bei solchen tollen Saxophonisten Unterricht haben konnte.

 Bei dem Titel In Walked Lee fällt jedem Jazzkenner natürlich sofort In Walked Bud ein. Ein Standart von Thelonious  Monk, den er im Laufe seiner Karriere mehrmals aufgenommen hat, 1968, das letzte Mal auf dem Album Underground, sogar mit Gesang. Du hast den Titel ja nicht umsonst gewählt.

 Kristina: Ne, also tatsächlich basiert In Walked Lee auch auf In Walked Bud, also die  Changes sind genau gleich und das war auch die Idee des Ganzen, weil ja Lee auch aus dieser Cool-Jazz-Tradition kommt, nicht kommt, sondern sie mit erfunden hat und Lenny Tristano als ihr Begründer hatte auch über alte Standards oder eben auch neuere Standards andere Linien geschrieben. Und genau das habe ich auch gemacht, es ist eine andere Tonart und ich habe über In Walked Bud, dann eben diese Linie geschrieben und das Stück erinnerte mich an eine Situation mit Lee, wir hatten ihn zu unserer Hochzeit eingeladen und ich dachte, kommt er oder kommt er nicht. Es war nicht klar bis zu letzten Minute, weil er immer so viel unterwegs war. Und dann kam er in die Kirche und ich habe gedacht, oh wie krass, er kommt. Und so war das für mich der passende Titel.

 Übrigens In Walked Bud ist ebenfalls ursprünglich ein alter Standard, nämlich von Irvin Berlin, Blue Sky, den Thelonious Monk damals ebenso veränderte, indem er die Akkordprogression übernahm und andere Linien dazu geschrieben hat. Also In Walked Lee ist schon die dritte Generation.

 Kristina: Oh Wahnsinn, das wusste ich tatsächlich nicht. Also ich kenne Blue Sky, aber diese Verbindung kannte ich gar nicht.

 Kristina, du lebst in einem Familienzusammenhang, der ja auch ziemlich fordernd ist. Du hast zwei Söhne, du bist in einer Musikerfamilie, dein Mann macht auch Musik. Wie kriegt man das zusammen?

Kristina: Eigentlich kriege ich es oft nicht zusammen und das ist vielleicht auch unsere Möglichkeit. Also Tobias ist ja Pianist und meine Kinder machen auch Musik, sie machen auch beide Sport und es ist immer sehr viel Organisation. Also ich sage immer, wenn ich jemanden hätte, der für mich die Organisation übernehmen würde, hätte ich einfach noch wahnsinnig viel mehr Zeit zu üben und zu komponieren. Jede Woche sieht anders aus und wir müssen permanent alles neu absprechen, das ist für mich die größte Herausforderung. Da geht natürlich auch ab und zu mal etwas schief, dass ich eine Woche zu früh zu einer Party gehe, so etwas kann halt passieren, aber so grundsätzlich funktioniert es sehr gut weil alle mitmachen.

Also die Jungs sind auch total offen und machen beide schon Musik. Der Größere Fin spielt Geige und der Kleinere, Luke, spielt Schlagzeug. Und wir haben sie einfach auch von Anfang an immer überall hin mitgeschleppt und wenn es halt zu spät ist, dann musste man natürlich unsere Babysitter fragen, aber ansonsten ist das eine schöne herausfordernde Situation.

 Ich habe ja schon überlegt, Hausaufgaben nachsehen, dann schnell mal was komponieren und dann einkaufen gehen. Oder wie macht du das?

Kristina:  Ja, also manchmal ist es wirklich so verrückt. Manchmal habe ich auch richtig Zeit, die ich mir dann ganz bewusst nehme, aber das muss man, vorher absprechen. Aber ganz viele Dinge passieren wirklich zwischendurch. Also wir schauen immer, wir haben früher immer gesagt 1-1, 2-2, das war immer unser Mindestübungspensum am Tag. Wenn es sehr chaotisch war oder sehr viele Termine, schauen wir, dass wir einfach beide immer so ein Pensum an unserem Instrument haben. Ich brauche das und Tobias braucht das auch, dann bin ich viel ausgeglichener, dann habe ich für alles andere viel mehr Power und bin viel offener. Wenn ich das nicht habe, dann merke ich nach 3-4 Tagen, da werde ich sehr unausgeglichen, da fehlt mir was. Und so mache ich das dann so, dass ich, wenn ich improvisiere, mich oft aufnehme, im Zug kann ich mir das dann mal anhören.

Manchmal habe ich auch so kurze Fragmente als Ideen für ein neues Stück und damit ich das dann auch später wieder aufgreifen kann, mache ich einfach eine schnelle Sprachaufnahme beim Üben. Wenn in der Musikschule dann mein Schüler nicht kommt, dann setze ich mich ans Klavier und mache weiter.

 In der Musikschule, in der du Saxophon unterrichtest?

 Kristina: Genau, das ist ein Wuppertal in der Bergischen Musikschule und da habe ich dann auch immer ein Klavier vor Ort und ich komponiere oft am Klavier und da entstehen dann tatsächlich auch oft Stücke, weil ich dann auch die Tür zu habe und komplette Ruhe habe. Zu Hause ist es schwieriger, die komplette Ruhe zu bekommen.

 Du hast ein Stück auf dem Album, das heißt Glasperlenspiel. Das erinnert natürlich an Hermann Hesse. War Hermann Hesse für dich eine Inspirationsquelle?

 Kristina: In diesem Fall nicht. Ich hatte tatsächlich so eine Phase, Anfang 20. Da habe ich einige Bücher gelesen von Hermann Hesse,  Unterm Rad, Glasperlenspiel u.a.. Aber in diesem Fall war es nicht so. Während der Pandemie gab es ja oft Möglichkeiten, dass man eine Förderung bekam. Ich hatte die Idee, Kunst und Musik zu verbinden, das hat mich immer schon interessiert, das kommt auch bei Frida Kahlo zum Ausdruck. Und ich hatte die Möglichkeit an Orten der Kunst, also der bildenden Kunst, Musik zu komponieren und zu schauen, wie inspiriert mich das? Und bei dem Titel  Glasperlenspiel war ich im Sommer in der Völklinger Hütte, die ist nicht weit von meinem Geburtsort Saarlouis entfernt. Und das ist mittlerweile auch ein Ort der Kultur, früher war das ein Ort, wo Stahl hergestellt wurde. Dort traf ich auf eine sehr nette Frau, die hat mir eine Führung gegeben und hat gesagt, okay, jetzt lasse ich dich hier alleine. Und so saß da zwischen den ganzen Maschinen und habe angefangen zu improvisieren und zu komponieren. Und irgendwie kam ich dann auf den Titel Glasperlenspiel, weil dort so viel in Bewegung war in diesem Werk, diese Maschinen, die immer rund liefen. Das war Zufall, dass es auch ein Hesse Titel war.

Wir kommen jetzt zu Musik von einem Musiker, mit dem du auch zusammen spielst, zu Peter Weiss . Ein Urgestein der Jazz-Szene, besonders natürlich der Düsseldorfer Szene.

Kristina: Peter ist für mich auch ein wahnsinniger Schlagzeuger und ein wahnsinnig netter Mensch. Und immer wenn ich mit ihm spiele, dann hat er viele Geschichten parat von früher. Er kennt unfassbar viel Musik. Es ist immer eine Freude, mit ihm zu spielen. Und ich lerne jedes Mal auch etwas und bekomme immer neue Tipps. Also es ist echt einfach nur eine Win-Win-Situation für mich.

Damit möchte ich mich auch von dir verabschieden. Liebe Kristina, vielen Dank, dass du zu Jazz and beyond ins Studio gekommen bist.

Kristina: Ja, vielen Dank für die Einladung. Habe ich mich sehr gefreut.

Das Interview wurde am 25.5.25 bei Radio 674fm live gesendet und ist leicht gekürzt.

Das Album: Kristina 4 - On & On  bei Jazzwerkstatt

 www.kristinabrodersen.de

 www.jazzwerkstatt.eu

Bild für Beitrag: TRADITION UND MODERNE VERBINDEN | Interview mit der Saxophonistin Kristina Brodersen
Bild für Beitrag: TRADITION UND MODERNE VERBINDEN | Interview mit der Saxophonistin Kristina Brodersen
Bild für Beitrag: TRADITION UND MODERNE VERBINDEN | Interview mit der Saxophonistin Kristina Brodersen
Suche