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Tourtagebuch

Corean Style : ensemble FisFüz in Südkorea

Köln, 30.10.2015
TEXT: Annette Maye | FOTO: Hatori Naoshi

Annette Maye , Jazz und Weltmusik Klarinettistin aus Köln war mit ensemble FisFüs in Südkorea. Ihr Tourtagebuch gibt spannende Einblicke in den Alltag der Musiker on the road in einer fremden Kultur..

Wir, das deutsch-türkische Trio „ensemble FisFüz“ ( Annette Maye - Klarinetten/ Gürkan Balkan – Oud, Gitarre, Gesang/ Murat Coskun - Percussion) sind nach Seoul eingeladen. Große Freude! Unser, seit einigen Jahren bestehender, Austausch mit den Musikern des südkoreanischen Percussion-Ensemble „Noreum Machi“ geht weiter. Schon 2014 durften wir eine Woche in Soeul verbringen, hatten dort Workshops und ein Konzert gegeben. Was uns wohl diesmal erwartet?

Die Tage im Vorfeld der Reise sind hektisch. Zwei Tage vor dem Abflug erfahren wir, dass unser Perkussionist akut erkrankt ist und nicht mit nach Seoul reisen kann. Panik baut sich auf – wie absolvieren wir unsere drei Auftritte in Südkorea? Wer wird unseren Perkussionisten ad hoc vertreten? Im Übrigen stecke ich noch in den Endzügen meines Klarinettenfestivals „Multiphonics Festival“, das noch bis zum 4. Oktober dauert. Stress pur.

Montag 05. Oktober 2015

Ich komme am Tag des Abfluges um zwei Uhr früh vom Multiphonics Festival nach Hause. Bisher ist noch immer unklar, wer mitfliegt. Endlich um kurz vor zehn erreicht mich Murats Email, dass er einen Vertreter gefunden hat, den in Rom beheimateten Rahmentrommler Paolo Rossetti. Uff, Erleichterung. Zumindest haben wir nun eine spielfähige Truppe zusammen. Und gleichzeitig Skepsis, ob alles gut klappen wird. Ich hatte mich eigentlich auf entspannte Gigs in der vertrauten Originalbesetzung gefreut. Aber für solche Gedanken bleibt keine Zeit mehr. Um 15 Uhr geht es von Köln los, eine knappe Stunde dauert es mit dem ICE nach Frankfurt. Dann folgt ein 12stündiger Direktflug nach Seoul. In Frankfurt ist wahnsinnig viel los, aber zum Gück laufen Check-in und Gepäckabgabe reibungslos. Trotz der Probleme, die wir schon bei Touren erlebt haben, bringen wir die Oud und auch die Klarinetten im Handgepäck unter – eine weitere Hürde ist genommen! Denn mit dem Oud-Koffer gibt es regelmäßig „Zirkus“ beim Check-in.

Paolo Rossetti wird etwas später am Tag von Rom aus abfliegen. Ich schlafe viel während des Fluges, schaffe nicht einmal einen Film zu gucken, bin erschöpft von den letzten 10 Tagen Multiphonics Festival.

Dienstag 06. Oktober 2015

Pünktlich um 12:20 Uhr Ortszeit landen wir in Seoul. In Deutschland ist es erst 5:20 Uhr. Zwei Musiker unseres koreanischen Gastgeber-Ensembles „Noreum Machi“, der Bandleader Juhong Kim und seine Kollegin Hyun-ju Oh, holen uns ab und spendieren mir erstmal einen heißen „Café Americano“. Sie selbst haben gerade eine dreiwöchige Europatour hinter sich und sind erst wenige Stunden zuvor auf dem Seoul Airport gelandet. Wir alle sind groggy, aber glücklich uns wiederzusehen. Unser Hostel liegt nur 1 Minute vom Noreum Machi-Studio entfernt, unser Proberaum und Treffpunkt in den nächsten Tagen. Bevor wir in unsere Zimmer können, werden wir in das Band-Büro gebeten, um dort bei Räucherstäbchen und gutem chinesischem Tee auf Bodenkissen sitzend ein bisschen zu entspannen. Unsere Einzelzimmer im Hostel sind klein aber modern eingerichtet und mit einer lustigen All-In-One Badezimmereinrichtung - das Badezimmer stellt zugleich den Duschraum dar.

Ab jetzt werden wir täglich 2-3 Mal zum Essen eingeladen. Was für ein herrliches Leben! Diese intensive Gastfreundschaft gehört in Korea dazu.

Abends am Studio lernen wir auch Paolo aus Rom kennen, der für die nächsten 10 Tage mit uns im Trio spielen wird. Gemeinsam mit Noreum Machi besuchen wir ein traditionell koreanisches Speiselokale und essen dort „Bulgogi“ aus einem wokartigen, gasbeheizten Topf: Schweinefleisch mit Gemüse und Glasnudeln, Reis und den typischen koreanischen Kimtschi (in Chillimarinade eingelegte Kohlblätter). Das alles wird mit einer süßlich-scharfen Sauce auf ein großes, in der flachen Hand liegendes Salatblatt gelegt, eingerollt und in den Mund geschoben... köstlich! Howon, einer der Perkussionisten, zeigt mir wie es geht, und bald wird unser anfangs noch ungelenker Umgang mit Salatblatt und Stäbchen von den Koreanern sogar gelobt.

Abends abslovieren wir mit ensemble FisFüz eine zweistündige, eher müde aber notwendige Probe für den Open Air-Auftritt am folgenden Tag im „Sejong Center for the Performing Arts“. Übrigens werden wir auf Schritt und Tritt von unseren Gastgebern gefilmt. Noreum Machi dokumentiert unseren Aufenthalt, für sich selbst, für die Sponsoren, und auch für uns.

Endlich gegen zehn Uhr abends lasse ich mich entkräftet ins große, recht harte aber doch bequeme Bett fallen.

Mittwoch 07. Oktober 2015

Noch nicht an die neue Zeitzone gewöhnt, wache ich um 6:15 Uhr auf. Heute ist das erste Konzert. Bei den beiden weiteren Konzerten werden wir noch mit vielen anderen Musikern auf der Bühne zusammentreffen: mit den fünf Musikern von Noreum Machi, zwei persischen Kollegen aus Isfahan an den Rahmentrommeln und drei Derwisch-Tänzern aus Istanbul.

Das Wetter in Seoul ist angenehm warm und sonnig, frühherbstlich und mild. Wir werden mit dem Band-Bus zum Sejong Center gefahren. Uns wird gesagt, dass jeder koreanische Musiker davon träume, dort einmal aufzutreten. Wir treten allerdings nicht im Konzertsaal sondern Open Air auf dem Vorplatz auf. Vor uns sitzen viele interessierte Zuhörer unter kleinen Sonnenschirmchen. Der Platz ist friedlich und vom umliegenden Autoverkehr bekommt man hier kaum etwas mit. Dem Publikum gefällt unsere 40minütige Performance sehr gut. Es wird geklatscht und gejohlt. Wir fühlen uns hier willkommen.

Nachdem wir am Abend zu einem Barbecue mit Bier im Garten eines kleinen Seouler Kunstzentrums eingeladen sind, besuchen Paolo und ich als Zuhörer den Showcase von Noreum Machi im Rahmen einer WOMEX-Veranstaltung. Der Showcase findet im coolen Keller-Club des Kunstzentrums statt. Hier treffen sich an diesem Abend viele Festivalveranstalter aus aller Welt, um drei „der besten“ koreanischen Musikensembles zu hören und zu buchen. Neben unseren Freunden treten noch zwei Musikerinnen an traditionellen Blas- und Zupfinstrumenten sowie eine „Rockband“ auf, die traditionelle koreanische Instrumente durch Soundeffekte klanglich verfremdet und mit einer E-Gitarre ergänzt. Bei der Rockband bin ich gegen Ende der Veranstaltung schon wieder so müde, dass ich unter dem Dröhnen der elektrisch verstärkten Instrumente im Sitzen einnicke.

Mir gefällt letztlich Noreum Machi von den drei Musikgruppen am besten, weil sie Tradition, kraftvolle Virtuosität, Humor, brillante Technik, a capella-Mouthpercussion und insgesamt einfach eine hochprofessionelle, abwechslungsreiche Show auf die Bühne gebracht haben. Es wird an diesem Abend viel Bier getrunken - die Koreaner lieben Bier über alles und brauen auch selbst sehr gutes Bier.

Donnerstag 08. Oktober 2015

Zum Frühstücken gehen wir mit dem ensemble FisFüz heute in die „American Breakfast Bar“, weil das Frühstück im Hostel sehr karg ist, dazu ein dünner Kaffee, der sich nur entfernt am Geruch als solcher identifizieren lässt. Doch leider startet mit dem heutigen Auswärts-Frühstück auch eine zweitägige Magenverstimmung. Wahrscheinlich war der Orangensaft mit Leitungswasser gemischt, dessen bakterielle Zusammensetzung meinem Bauch nicht gefällt. Bei der anschließenden Probe bekomme ich mittelschwere Magenkrämpfe, mit Lopedium bekämpfe ich die weiteren Symptome. Immerhin ist es nicht so schlimm, als dass ich nicht mitproben könnte. Von Hyun-ju bekomme ich eine phantastische Handmassage mit Akupressur, sie findet den schmerzhaften Punkt für den Magenbereich zwischen Daumen und Zeigefinger und drückt ihn mit ihren sehr zierlichen Fingern unerwartet fest. Es klingt verrückt, aber ihre zehnminütige Druckmassage an meinen Händen hilft! Sobald ich aufstehe, gluckst und bewegt sich mein Magen, da ist etwas in Gang gesetzt worden.

Am Nachmittag treffen Mohsen und Maryam, unsere Freunde aus Isfahan/Iran ein. Wir kennen sie von gemeinsamen Auftritten auf dem Tamburi Mundi Festival, das unser Perkussionist Murat in Freiburg seit 10 Jahren leitet. Ich bin froh, die beiden zu sehen, gemeinsam waren wir schon in 2014 eine Woche in Seoul. Verglichen mit den Musikern von Noreum Machi spricht Maryam gut Englisch. Mit den koreanischen Musikern ist die Verständigung etwas mühsam und dauert aufgrund der Sprachbarrieren etwas länger. Aber immerhin, es funktioniert und wir mögen uns gegenseitig sehr.

Am Nachmittag proben wir für das Konzert im „Seoul National Theater“ am kommenden Mittwoch: Mohsen und Maryam, ensemble FisFüz, Noreum Machi und die drei ebenfalls heute angereisten Tänzer aus der Türkei Engin, Metin und Ibrahim. Noreum Machi schreiben während der Probe Ablaufpläne auf die Rückseiten ihrer alten abgelaufenen Plakate. Wir legen auch die Titel und Programmfolgen jeder Gruppierung für das Konzert am übernächsten Tag im Nordosten des Landes fest, wo wir - und dies ist neu und aufregend für mich - in einem buddhistischen Tempel im Gebirge spielen werden. Während unserer gemeinsamen Probenarbeit stelle ich fest, dass „FisFüz“ hier „Pisa Pusa“ und die Sufi-Tänzer von Juhong Kim „Spi Dancer“ genannt werden, was uns Nichtkoreanern immer wieder ein Schmunzeln entlockt. Die türkischen Sufitänzer sprechen leider kaum Englisch und kommunizieren während der Probe ausschließlich mit meinem Oud-Kollegen Gürkan. Er übersetzt mir dann alles ins Deutsche und ich übersetze es für die Koreaner ins Englische. Ganz schön kompliziert!

Wir proben das zweiteilige traditionell koreanische „Sinawi“-Stück, in dem das Paradies besungen wird, in unserer Version übernimmt das Mr. Kim. Das Stück ist auf Wunsch der Gastgeber laut, energetisch und lässt keine feinen leisen Töne zu. Es stecken verschiedene Fünftonskalen darin und ich teile mir den einen oder anderen Solopart mit meinem Kollegen Youngjun, der das traditionelle Doppelrohrinstrument „Taepyeongso“ mit großer Virtuosität spielt. Taepyeongso ist eine koreanische Schalmei aus schwarzem Holz mit Metalltrichter und auch sehr laut. Dieses Instrument lässt verschiedene Tonarten zu und wird meist pentatonisch gespielt.

Freitag 09. Oktober 2015

Nach einer weiteren Probe lässt sich sagen, dass wir uns trotz einiger Sprachbarrieren musikalisch verstehen. Juhong Kim, von seiner Band meist Mr. Kim oder Master Kim genannt, ist den anderen Musikern von Noreum Machi neben seiner Bandleader-Rolle auch Lehrer und Vorbild. Er ist der Älteste und hat einen großen Wissens- und Erfahrungsschatz im Bereich der koreanischen Musik.

Unser Plan ist, zwei Nächte in einem buddhistischen Kloster im Nordosten zu übernachten und am nächsten Tag das Tempelkonzert zu spielen. Die Fahrt dorthin dauert etwa 3 Stunden. Ein Zwischenstopp führt uns in eine stark belebte Autobahn-Raststätte. Sie erinnert mit ihren bunten Lichtern und Händlern, die neben batteriebetriebenen Plüschtieren auch Elektronik und Keramik verkaufen, fast an eine kleine Kirmes. Als wir nach weiteren 90 Minuten Autofahrt irgendwo im Nirgendwo landen, wird uns gesagt, dass der „Temple Stay“ für heute Nacht leider nicht klappt. Einige von uns werden in einem Landgasthof untergebracht. Zwei der Zimmer sind „corean style“ eingerichtet: Es gibt keine Möbel und kein Bett, sondern eine Futonmatratze, die auf dem Boden ausgebreitet wird, dazu eine Bettdecke und zwei Kissen, die mit irgendwelchen Plastikteilchen gefüllt sind (wahrscheinlich stopfte man ursprünglich die Kissen mit trockenen Früchten oder ähnlichem). Die Kissen erweisen sich als sehr bequem, und auch auf der Bodenmatte schlafe ich überraschend gut. Vor den Zimmern befindet sich eine langgestreckte Terrasse, auf der man nur mit Socken oder Hauspantoffeln gehen darf. Die Schuhe bleiben draußen, wie in allen Innenräumen, die wir bisher betraten, seien es Restaurants oder das Noreum Machi-Studio. Ich schlüpfe nur allzu gern in die rosarot-metallicfarbenen Plastik-Damenpantoffeln, die vor dem Zimmer bereitgestellt sind. Im Bad gibt es heißes fließendes Wasser, das macht glücklich, denn draußen ist es 10-12 Grad kälter als in Seoul. Die Zimmer haben Fußbodenheizung, toll! Hier gibt es kein Internet (ansonsten gibt es in Südkorea an vielen Orten freies WLAN), was ich als recht erholsam empfinde, nach dem ganzen Festival- und Reisestress. Man ist also für ein paar Stunden ganz auf sich selbst zurückgeworfen und das tut gut. Meine Magenbeschwerden haben sich verflüchtigt, nachdem ich 2 Tage auf scharfes Essen verzichtet habe. Vor dem Einschlafen nehme ich zwar noch wahr, wie sich die drei Tänzer nebenan unterhalten - die Wände hier sind dünn wie Papier - schlafe jedoch schnell tief ein.

Samstag 10. Oktober 2015

Ein morgendlicher Spaziergang führt mich an Rübenfeldern, Gewächshäusern und Chili-Beeten entlang. Bäuerinnen rasten auf einem der Felder, wahrscheinlich arbeiten sie schon seit einigen Stunden. Um zehn Uhr gehen alle gemeinsam frühstücken. Das koreanische Frühstück ist vegetarisch und beinhaltet ein Spiegelei, Spinat, Kohl, weiteres Gemüse, Reis und eine köstliche scharfe Chilipaste. Alles wird miteinander verrührt und schmeckt wirklich lecker. Ich liebe die koreanischen Speisen!

Anschließend geht es zum Tempel, durch herbstlich gefärbte Wälder und Felder hindurch. Mr. Kim erzählt mir im Auto über das traditionelle Lied „Arirang“, das so etwas wie eine koreanische Nationalhymne ist und sieben bis acht unterschiedliche regionale Ausprägungen in der Melodieführung hat. Kim scheint wirklich ein Meister zu sein, er kennt sehr viele Lieder und kennt sich gut aus in der Musiktradition seiner Heimat.

Direkt hinter dem historischen Eingangstor des Tempels ist schon die große Open Air Bühne zu sehen. Na danke, bei der Kälte Open Air spielen... denken wir uns. Obwohl die Sonne scheint, brauche ich Fleece-Pullover und Winterjacke sowie ein Halstuch um nicht zu frieren. Die Bühne steht mitten auf dem Hauptplatz gegenüber einer sitzenden Buddha-Statue und einem Turm. Leider (oder zum Glück?) fängt es schon beim Aufbau der Instrumente und Mikrophone zu tröpfeln an und aus dem Tröpfeln wird schließlich ein Regenguss. Wir retten uns und unsere Instrumente in ein Tempelgebäude hinter der Bühne, das glücklicherweise Fußbodenheizung hat. Der Regen hört nicht auf, so wird kurzerhand entschieden, das Konzert in ein großes Tempelgebäude zu verlegen. Die Organisatoren von Noreum Machi sind nun nervös und sehr angespannt, mehr als verständlich angesichts der kurzfristigen Umlegung. Mit einstündiger Verspätung beginnt unser Konzert. Viele der Zuhörer haben geduldig ausgeharrt und so ist das Konzert sehr gut besucht. Den Anfang macht unser ensemble FisFüz mit einer 20minütigen Aufführung, darunter zwei osmanische Stücke, zu denen die Derwische lautlos zu tanzen beginnen. Jeder hat eine Hand zum Himmel, die andere zum Boden hin geöffnet. Das wirkt unter den Augen des großen Buddhas und der tausenden kleinen Buddha-Statuetten an den Wänden des Tempels unglaublich schön. Besonders schwebend erscheint mir der Tanz von Metin. Sein Gesicht strahlt Ruhe und Hingabe zugleich aus, während er sich dreht. Beim Sema-Tanz ist der Sufitänzer ein Vermittler zwischen der göttlichen und der irdischen Welt.

Dann folgen die weiteren Ensembles und schließlich am Ende das gemeinsame Stück „Sinawi“, bei dem wir mitsingen, im „call and response“-Wechsel mit Mr. Kim, und es gibt wilde Solo-Improvisationen jedes einzelnen Musikers.

Die Nacht im Tempel gestaltet sich abenteuerlich. In einer kleinen Kammer hinter zwei kleinen Lammellen-Flügeltürchen und zwei Papier-Schiebetüren wartet auf Maryam und mich ein kleines bodenbeheiztes Räumchen mit Futonmatratzen. Diese Räume sind für Tempelbesucher gedacht. Viele Koreaner verbringen einmal oder mehrmals im Leben einige Tage in einem buddhistischen Tempel, beten und besinnen sich, befreien sich hier vom stressgeladenen Alltag und tanken Energie. Männer und Frauen schlafen im Tempel strikt getrennt, und so dürfen auch unsere persischen Freunde, die Eheleute Mohsen und Maryam, nicht gemeinsam in einem Raum schlafen.

Leider wache ich um halb vier Uhr morgens auf. Gegen vier Uhr höre ich einen singenden Mönch über das Gelände gehen, auf ein Holzbrett schlagend, ruft er die Menschen zum Frühgebet. Später folgt dann ein Geläute auf einem sehr lange nachklingenden Gong ganz in der Nähe. Um fünf Uhr stehe auf, mache einen kleinen Spaziergang im Morgengrauen und fotografiere. Aus einem großen Tempelraum klingt tranceartiger Mönchsgesang, immer wieder werden vier Töne in derselben Abfolge gesungen. Aus Respekt traue mich nicht in das Gebäude hinein, da alle Türen geschlossen sind und ich nicht weiß, ob Nicht-Buddhisten zugelassen sind. Später sagt man mir, ich hätte da doch ruhig hineingehen dürfen.

Nach 20 Minuten sind meine Hände leider quasi schon Eiszapfen, und so nehme ich im Frauenwaschraum erst einmal eine heiße wohltuende Dusche. Unter den neugierig verstohlenen Blicken einiger Koreanerinnen kämme ich meine Haare. Zuweilen fühle ich mich hier schon ein bisschen wie eine Exotin.

Sonntag 11. Oktober 2015

Dieser Tag vergeht ausschließlich mit der Autofahrt zurück in die Hauptstadt. Wir brauchen mehr als fünf Stunden, denn die Autobahn ist von Wochenend-Rückkehrern verstopft. Stop and go, stop and go. Seongghi, eine der beiden Noreum Machi-Managerinnen fährt unseren Wagen geduldig und ruhig, und von ihr erfahre ich mehr über die Arbeit und das Leben in Südkorea, über das zerrüttete Verhältnis zu Nordkorea und über die Unberechenbarkeit des nach Meinung der Südkoreaner viel zu jungen Herrschers im Norden, Kim Jong Un.

Nach weiteren 90 Minuten, die wir im Seouler Stadtverkehr verlieren, bringen wir endlich unser Gepäck und unsere Instrumente ins Hostel. Danach werden wir zum Abendessen geführt, anschließend dattele ich noch etwas am Laptop herum und falle schließlich wieder einmal wie ein Stein ins Bett.

Montag 12. Oktober 2015

Zum ersten Mal seit Tagen und Wochen schlafe ich aus, gehe erst gegen 10:15 Uhr zum minimalistischen Frühstück ins Café, wo ich zu meiner Freude wieder den beiden jungen Hunden des Café-Betreibers begegne. Sie sind noch kein Jahr alt, einer ganz weiß, der andere schwarz mit zwei weißen Fleckchen über den Augen, beide total niedlich und verspielt. Hier treffe ich auf Paolo, und wir unterhalten uns angeregt über Gott und die Welt, er zeigt mir Fotos seiner Familie.

Der erste Termin heute ist das Treffen um 12 Uhr am Studio - zum gemeinsamen Mittagessen. Herrlich entspannt! Ich genieße das in vollen Zügen, denn meine letzten Wochen mit dem Multiphonics Festival in Köln, Frankfurt und Stuttgart haben nie mehr als 5 Stunden Schlaf pro Nacht zugelassen, meine Tage waren randvoll mit Aufgaben. Erst um 13 Uhr geht es heute an die Arbeit, nämlich Proben bis 17:30 Uhr für das große Abschlusskonzert im National Theater. Juhong Kim liebt es, Ablaufpläne zu schreiben um sie dann während der Probe ständig wieder abzuändern. Wir bleiben gelassen. Master Kim führt Regie, sein Wort gilt und niemand von Noreum Machi würde diese Autorität jemals anzweifeln. Das Ensemble ist hierarchisch gegliedert. Mr. Kims rechte Hand ist Hyjun-ju, die einzige Frau im Ensemble, eine kraftvolle Trommlerin, die mit Leib und Seele bei der Sache ist.

Wir arrangieren gemeinsam das Stück „Sinawi“ neu – jetzt ist zusätzlich noch die „Gayagum“-Spielerin (Gayagum ist ein traditionelles Saiteninstrument) namens Sima dabei, die uns als die beste Instrumentalistin auf diesem traditionellen 12 Saiten-Instrument sowohl in Nord- als auch in Südkorea vorgestellt wurde. Sie bekommt nun auch einen Solopart in unserem Arrangement. Sima erweist sich wirklich als eine hervorragende Spielerin ihres Instrumentes!

Meister Kim hat an meinen Klarinetten offensichtlich einen Narren gefressen, denn er gibt mir heute viele Soloparts und hat mir ein paar Tage vorher gesagt, wie wichtig ihm das Blasinstrument als Gegenpol zur übermächtigen Perkussion sei und dass er die Klarinetten als Bereicherung für das Projekt empfinde. Immerhin gibt es in diesem Stück sieben Perkussionisten. Beim Klarinettensolo am Ende des Stücks brechen die Koreaner im Proberaum in spontanen Beifall aus, was mich freut und überrascht – was habe ich denn nun beim Improvisieren so anders gemacht als in den Tagen und Proben zuvor? Wahrscheinlich erfreuen sich die Musiker an meinen rhythmischen Triller-Tiraden. Ich versuche mich skalenmäßig an der Taepyeongso zu orientieren, hin und wieder füge ich der Skala ein paar eigene zusätzliche Töne hinzu. Etwas künstlerische Freiheit muss schon sein, denn es ist ja eine musikalische Begegnung zwischen unterschiedlichen Kulturen.

Engin und Ibrahim, zwei der drei Sufi-Tänzer sind heute Morgen nach Istanbul zurückgeflogen. Für das Konzert im Theater. bleibt nur Metin Erkus noch bei uns.

Dienstag 13. Oktober 2015

Um 6 Uhr morgens bin ich wach, immerhin später als an den anderen Tagen. Allmählich habe ich mich an die hiesige Zeitzone angepasst. Dumm, dass ich schon in zwei Tagen wieder zurück nach Europa muss. Die morgendliche Zeit bis zum Frühstück nutze ich zur Buchlektüre von Thomas Manns „Buddenbrooks“. Ich genieße die Ruhe, denn soviel Zeit zum Lesen hatte ich monatelang nicht. Gegen Mittag steht Generalprobe und Soundcheck im National Theater an. Ich bin gespannt ob Mr. Kim heute wieder etwas abändert. Die Autofahrt zum Theater dauert aufgrund der verstopften Straßen der 10-Millionen-Stadt eine ganze Stunde, aber die Strecke ist schön und führt uns am Hangang, dem breiten Fluß und der Lebensader der Stadt entlang. Entlang auch am Viertel Gangnam, dem der Millionenschlager „Gangnam Style“ seinen Namen verdankt. Passend zur Situation drehen die beiden Koreaner vorne im Auto das Lied in voller Lautstärke an, und das gesamte Team setzt an zur gemeinsamen Hand-Dance-Choreografie, sehr lustig! Urkomisch (oder auch befremdlich?) müssen wir Ausländer hier auf unsere koreanischen Gastgeber im Auto wirken, so wie wir auf das Lied abfahren und Ballermann-artig „heeeey sexy lady“ und „wopam Gangnam Style“ mitgröhlen. Im Theater verbringen wir zwei Stunden mit Warten, und der folgende Soundcheck wird zu einer Erfahrung der besonderen Art. Ist der Instrumentensound endlich gut eingestellt, wird vom Techniker wieder daran gedreht und etwas verstellt. Meine Bitte nach einem weiteren Mikrofon für den tiefen Bereich der Bassklarinette scheint hier ein halber Staatsakt zu werden, es dauert unendlich lange, bis der Techniker meinen notwendigen Wunsch erfüllt. Als endlich alle Mikrofone eingestellt sind, klingt es aber toll, zumindest auf der Bühne. Mr. Kim wirkt heute müde und etwas überarbeitet, lässt sich dennoch das Zepter nicht aus der Hand nehmen und bestimmt gerne mal eigenmächtig die Sitzpositionen der Musiker, auch wenn diese nicht immer ganz optimal sind. In der Kantine des Theaters versuche ich ihn später aufzumuntern, nenne ihn Mr. Kimtschi (wie der scharf eingelegte Kohl), das findet er lustig, und ich als Gast, der ihn schon von früheren Begegnungen in Deutschland und Seoul her kennt, darf mir solche platten Kalauerscherze wohl erlauben.

Von Taeho, einem der Noreum Machi-Trommler, lerne ich das koreanische Wort gomasumnida das bedeutet danke, und wird hier lieber gemocht als das chinesischstämmige Wort für Danke. Gomasumnida bedeutet wenn ich es richtig verstanden habe wörtlich „Du liebst die Mutter/den Bären“, denn der Bär gilt als Urmutter der Koreaner. Schön, dass mir Taeho etwas von seiner Kultur erzählt. Insgesamt erscheinen uns die Koreaner, recht traditionell, falls man das nach wenigen Tagen so allgemein sagen kann. Nach der Rückkehr zum Studio/Hostel gönnen sich Gürkan, Metin, Mohsen, Maryam und ich noch ein paar Bierchen auf der Wiese im nahegelegenen Park. Der Park ist sehr sauber, kein Hundedreck, kein Müll, sogar Schilder mit Rauchverbot sind hier überall angebracht. Seit kurzem ist das Rauchen auf öffentlicher Straße in vielen Gegenden Seouls verboten. Wird man trotzdem erwischt, drohen Strafen, sogar Gefängnis. Sehr drakonisch. Trotzdem rauchen meine Kollegen hier, nirgendwo ist Polizei zu sehen und am Vorabend hat sie hier auch keiner erwischt. Ihre Sucht ist wohl größer als die Angst.

Mittwoch 14. Oktober 2015

Heute ist der Abschlusstag. Um 12 Uhr treffen wir uns am Studio und fahren zum Theater. Am Theater packen Noreum Machi viele Kisten mit Proviant aus, Getränke, eine Riesenkiste voller Sandwiches, Tee, Kaffee, Obst, Süßigkeiten usw.. Für unser leibliches Wohl haben unsere Freunde reichlich vorgesorgt, sehr professionell und sehr nett. Denn obwohl wir ab 13 Uhr bis Ende des Konzerts im Theater sein werden, wird kaum Zeit sein um in der Kantine zu essen. Warum wir so früh am Theater sein sollten, wird mir erst klar, als ein Fernsehteam seine Kameras im Saal installiert. Wir sollen für Promotionszwecke und fürs TV einmal am Nachmittag die komplette Konzertshow in Bühnenkleidung vor der Kamera abspielen. Daneben sind auch Interviews mit uns Musikern geplant.

Mr. Kim lässt es sich nicht nehmen, auch jetzt noch am Tag des Konzertes letzte Veränderungen am Sinawi-Stück vorzunehmen, z.B. das Oud-Solo herauszunehmen, was Gürkan natürlich nicht sehr beglückt. Für uns ist schwer nachvollziehbar, nach welchen ästhetischen Gesichtspunkten Mr. Kim Entscheidungen trifft und die Solisten auswählt. Alle haben hier Soli, nur Gürkan nicht. Ich vermute, dass Mr. Kim die Oud, dieses wunderschöne Instrument, als zu leise und zu fein für das Sinawi-Stück erachtet. Wie gesagt, in Korea liebt man es kraftvoll und deftig in der Musik. Der Sufitänzer äußert sich nach dem Kamera-Durchlauf etwas unwirsch über seine Einsätze im Programm. Offensichtlich befremdet es ihn, seinen drehenden Tanz auch zu lauten koreanischen Rhythmen zu vollführen. Ich dagegen denke, dass gerade darin der eigentliche Reiz unseres gemeinsamen Projektes liegt, es ist schließlich eine interkulturelle künstlerische Begegnung. Vor dem Konzert bilden wir auf Betreiben Mr. Kims hin einen Kreis, jeder legt seine Hand in die Mitte des Kreises. Nach einem Coutdown wird gemeinsam das Wort schiwal (oder so ähnlich) gerufen und dabei nehmen alle die Hände hoch. Das Wort schiwal bedeutet „Energie“.

Das Konzert wird zum Erfolg, und es sind einige hundert Menschen gekommen um dieses einmalige Aufeinandertreffen verschiedener Musikkulturen zu hören und zu sehen. Sie füllen den Saal und applaudieren begeistert nach unserem gemeinsamen rhythmischen Introstück „Talangadum“, einer Mischung aus Silbensprache und Perkussion/Klatschen, mit dem wir von einem Seiteneingang her nach vorne auf die Fläche vor der Bühne eingezogen sind. Dann folgen 20 Minuten nur mit unserem ensemble FisFüz. Wir haben eine Eigenkomposition, ein traditionelles Istanbuler Gesangsstück und zwei osmanische Kompositionen ausgewählt, zu denen sich der Sufitänzer hinzugesellt. Die Musik mit dem Tanz gefällt dem Publikum sehr. Anfeuernde Zwischenrufe gibt es beim nachfolgenden Auftritt von Noreum Machi, die den Saal zum Kochen bringen. Ja, drei synchron trommelnde Musiker auf der Bühne, die wie ein Einziger klingen und so zu 100 % exakt zusammenspielen, das ist einfach beeindruckend! Das ist körperliche und mentale Höchstleistung. Auch das Perkussionstrio von Mohsen, Paolo und Mr. Kim, das sie mit landeseigenen Gesängen begleiten, wird ein Renner. Dazu kommt der schwebende Sema-Tanz von Metin, den ich nur im kleinen Bildschirm in der Garderobe verfolge, aber der selbst auf diesem winzigen Bildschirm leicht und fast überirdisch wirkt. Unser Sinawi-Stück bringt die Leute dann vollkommen außer Rand und Band, und so gibt es noch eine Zugabe und wir beenden das Konzert wiederum mit dem Stück „Talangadum“, diesmal anders arrangiert und mit instrumentalen Zwischenteilen. Es gibt nach dem Konzert viel Lob für alle Musiker. Ein Musikethnologe und Professor für Musikwissenschaft in Seoul sagt uns sogar hinterher, dies sei das beste Kooperations-Konzert gewesen, das er je in Südkorea gehört hätte. Na dann!

Zur After Show Party führt man uns in eine kleine gemütliche Bar. Es wird viel gesungen und gelacht, auf Koreanisch, Persisch, Japanisch und Türkisch, es werden Toaste auf Koreanisch ausgesprochen, und das alles bei drei unterschiedlich zubereiteten Arten von Hähnchen und dem schmackhaften koreanischen Bier namens „Max“. Am Ende winken wir alle zusammen in die Kamera, um Murat Coskun, unserem abwesenden FisFüz-Perkussionisten und Mitinitiator dieses Projektes, zu danken und ihm hallo, prost und gute Besserung zuzurufen.

Donnerstag 15. Oktober 2015

Es ist der Tag, an dem Gürkan und ich nach Frankfurt zurückreisen. Um 8:30 Uhr werden wir von der Managerin Casey abgeholt, einer Koreanerin, die in Boston und New York aufgewachsen ist. Zuvor verabschiede ich mich von den beiden kleinen Hunden und dem Cafébetreiber. Gemeinsam geht es mit der U-Bahn weit hinaus zum Flughafen. Beim Check In gibt es ein Problem mit dem Oud-Koffer. Die beiden Damen von Asiana-Airlines akzeptieren ihn nicht als Handgepäck. Sie werden erst nachgiebiger, als Gürkan den Koffer öffnet und ihnen das fragile Instrument zeigt. Casey tut ihr übriges und überredet die Angestellten auf Koreanisch. Die Handgepäckfächer sind wie erwartet so groß und geräumig, dass fast zwei Oud-Koffer hineingepasst hätten, und so lässt man uns endlich in Frieden. Der Rückflug verläuft zum Glück sehr ruhig, und ich genieße den Science Fiction Film „Interstellar“, der mich sogar auf dem Kleinbildschirm beeindruckt. Ein letztes Mal auf dieser Reise wähle ich im Essensmenü „corean style“ aus und schiebe das Rinder-Bulgogi, eingerollt mit Reis und Sauce auf Salat- und Kohlblättern genüsslich in den Mund. Auch wenn mir der „corean style“ beim Essen und auch sonst in diesen zehn Tagen das eine oder andere kleine Rätsel aufgegeben hat - ich werde ihn ganz bestimmt vermissen. See you next year in Seoul, hoffentlich!

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