Swing Experience - Hommage a Stéphane
Interview mit dem Geiger Sebastian Reimann
TEXT: Dr. Michael Vogt | FOTO: Frank C. Müller
„Grappelli war einfach in jeder Hinsicht herausragend und unverwechselbar.“
Unter dem Motto «Swing experience – Hommage à Stéphane» geht am 2. September 2021 für den Geiger Sebastian Reimann ein langgehegter Wunsch in Erfüllung. Auf Einladung des Jazzclubs Hürth hebt er im Jazzkeller auf der Hermülheimer Straße eine Premiere aus der Taufe: Zusammen mit Manfred Billmann (Piano), Sven Jungbeck (Gitarre) und Max Schaaf (Bass) lässt sich Reimann von der Musik Stéphane Grappellis inspirieren, die der Meisterviolinist in den 1970er Jahren zelebrierte. Das Programm, das in Kürze auch unter dem Titel „Hommage à Stéphane“ auf CD erscheint, will nicht nachahmen, was ohnehin nicht nachzuahmen ist. Es geht Reimann darum, den Spirit, die Energie Grappellis wiederzubeleben. Der Geiger aus Brühl, der neben dem Jazz auch in den Bereichen Klassik, Folk, Tango, Swing sowie Crossover unterwegs ist, sprach im Vorfeld des Konzerts mit dem Jazzclub.
Stéphane Grappelli wird als einer der größten Jazz-Geiger aller Zeiten bezeichnet. Wie kamen Sie zum Projekt «Hommage à Stéphane»?
Mit diesem Konzertprojekt gehe ich gewissermaßen schon seit 20 Jahren schwanger. Umso schöner ist es, dass der Jazzclub auf meine Idee eingegangen ist und es mir ermöglicht, dieses besondere Projekt in die Tat umzusetzen. Denn mit dem Konzert, das den Titel «Hommage à Stéphane» trägt, möchte ich nicht den Grappelli zeigen, den ohnehin jeder kennt und jeder erwartet.
Den Grappelli, der Partner von Django Reinhardt war?
Genau das soll einmal nicht Thema sein, unabhängig davon, wie genial die Zusammenarbeit der beiden Künstler auch war. Die Formation, die Grappelli mit Django gründete, hieß «Quintette du Hot Club de France». Das heißt, sie spielten «hot» und hatten vor allem Up-tempo-Nummern im Repertoire, die mit ihrer rasenden Geschwindigkeit genau im Lebensgefühl der Zeit lagen. Das sieht man auch an anderen Musikstilen der Zeit. Nehmen wir nur einmal «Charleston» oder «Ragtime», die damals populär wurden und ein ungeheuer rasches Tempo vorlegten. Diese Art von Musik atmet kaum einmal Ruhe, verlangt aber auch eine enorme Beherrschung des Instruments. Wenn man Vergleiche anstellt, sieht man, dass sogar Reinhardts Ballade «Nuages» auf Einspielungen der Vorkriegszeit sehr schnell gespielt wird.
Was werden Sie im Konzert und auf der CD stattdessen zeigen?
Den Grappelli, der drei, vier Jahrzehnte, nachdem er mit Reinhardt zusammengearbeitet hatte, erneut auf Welttournee ging – mit einer ganz anderen Musik, die eben so gar nicht nach Gypsy klang. In den 1970er Jahren begann Grappelli, mit berühmten Pianisten zusammenzuarbeiten und wandte sich Stücken des «American Songbooks» zu. Insgesamt wurde sein Stil ruhiger, in der Auseinandersetzung mit Balladen lyrischer, vielleicht sogar schlagerhafter. Nie streifen seine Interpretationen, die durch eine faszinierende Ökonomie der Mittel und ein geradezu atemberaubendes Raffinement gekennzeichnet sind, jedoch den Kitsch. Es ist eine ganz neue Sprache, die Grappelli in dieser Zeit entwickelt – von gehauchten, zarten Tönen, die man kaum hört, bis hin zu breit strömendem, sinnlichem Ausdruck. Faszinierend ist an dieser Sprache vor allem, wie er die Themen spielt, die Geige zum Sprechen bringt, sodass man jede Silbe zu verstehen meint. Natürlich ist das, was Grappelli da macht, nicht nachzuahmen, aber ich will versuchen, diesen Spirit, diese Energie wiederzubeleben. Grappelli selbst hat gesagt, dass er sich an Louis Armstrong orientiert hat. Aber wer sagt eigentlich, dass er damit nicht Satchmos Gesang meinte? (lacht)
Grappelli behauptete, Autodidakt zu sein. Was ist davon zu halten?
Es ist wirklich schwierig, sich das vorzustellen. Ich habe kürzlich noch eine sehr Interessante BBC-Doku zum Thema angesehen und glaube, dass diese Geschichte eindeutig Legendenbildung ist. Grappelli muss Unterricht gehabt haben. Er zeigt zu viele Techniken, die sich bei gleichzeitig wirkenden Geigern finden. Beispielsweise stimmt die Haltung der linken Hand fast gänzlich mit der von Helmut Zacharias oder Fernando Suárez Paz überein, der lange Jahre in Astor Piazzollas «Quinteto Nuevo Tango» spielte.
Zwischen diesen Violinisten kann es aber keine Verbindung gegeben haben.
Das stimmt, aber es ist die gleiche Auffassung der linken Hand. Es kann ja nicht sein, dass ein Argentinier so spielt, wie Grappelli es sich angeblich selbst beigebracht und Zacharias es in seiner klassischen Ausbildung gelernt hat. Natürlich ist es möglich, dass sich Dinge parallel entwickeln, weil man ähnliche Ziele verfolgt, aber es ist schwer vorstellbar. So bleibt uns nur, festzustellen, dass Grappelli sich einen ganz eigenen Stil erarbeitete und einen guten Lehrer gehabt haben muss, den wir zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht kennen.
Grappelli wird von vielen Jazzgeigern förmlich verehrt.
Vollkommen zu Recht, denn er ist einfach in jeder Hinsicht herausragend und unverwechselbar. Das waren andere Geiger natürlich auch. Grappelli hat es darüber hinaus aber geschafft, sich selbst zur Legende zu machen und sich hervorragend zu verkaufen – gerade, als er seine späte Weltkarriere startete. Ich selbst habe es Anfang der 1980er geschafft, ihn live zu hören – das war für mich ein prägendes Erlebnis.
Wo wir von Prägung sprechen: Woher kommt Ihre Liebe zum Jazz?
Ich komme aus einem klassischen Musikhaushalt. Mein Vater war Bratscher im Orchester in Konstanz und mein erstes Vorbild. Übrigens weiß ich nicht mehr, ob ich als Kind faszinierter davon war, dass er so ein Streichinstrument in der Hand hielt, oder davon, dass er zur Premiere einen Frack anhatte. Er sah im Frack einfach so toll aus. Das wollte ich auch irgendwann mal! (lacht) Entsprechend lag ich meiner Mutter schon im Alter von sechs Jahren in den Ohren, sie sollte mir einen solchen Frack nähen, denn ich wollte mit einer Geige als Orchestermusiker verkleidet auf die Fastnacht.
Durften Sie?
Den Frack bekam ich nie und die Geige erst ein Jahr später. Heute ist das ja viel einfacher: Wenn Schüler zu mir kommen, haben sie binnen einer Woche ein passendes, kleines Instrument. Ich musste darauf zwölf Monate warten. Übrigens sind auch meine vier Geschwister musikalisch. Wir haben alle unterschiedliche Instrumente gespielt, sodass wir zu Hause ein kleines Orchester bilden konnten. Wir durften auch früh bei den Proben meines Vaters dabei sein und in erste sinfonische Konzerte gehen – zunächst bis zur Pause, dann bis zum Schluss. Darüber hinaus hatten wir Zugang zu einer hervorragenden Ausbildung. Ich hatte beispielsweise die Chance, bei Karel Akcil Unterricht zu erhalten. Das war der Konzertmeister der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz, in der mein Vater spielte. Ich stieg also gleich ganz oben ein – ein Riesenglück für mich.
Und wie kamen Sie dann zum Jazz?
Das hatte vor allem etwas mit der Plattensammlung meines Vaters zu tun. Da entdeckte ich zunächst einmal große klassische Geiger wie David Oistrach und Yehudi Menuhin, der übrigens wunderbare Platten mit Grappelli gemacht hat, und war fasziniert, wie unterschiedlich man allein schon im klassischen Bereich spielen kann. Aber dann hatte mein Vater da noch eine Sammlung von elf oder zwölf Django-Reinhardt-Platten im Schrank...
...also doch Grappelli!
Klar! Und das, was ich da hörte, haute mich förmlich um. Ich lief sofort zu meinem Vater und fragte ihn, woher ich die Noten bekommen könnte. Er erzählte mir daraufhin, was Jazz ist und dass man diese Musik improvisiert. Ich hatte bis dahin keine Vorstellung davon, dass man auch ohne Noten spielen kann und war sofort Feuer und Flamme.Und dann ging es los?
Schon, wobei das gar nicht so einfach war. Denn es gab in der Zeit hauptsächlich Aufnahmen, keine Lehrer, keine Noten! Ich musste also erst einmal nachforschen und mit ein paar Gypsy-Liebhabern spielen, die ich schließlich ausfindig machen konnte. Später entdeckte ich noch mehr: Irische Geige, amerikanische Fiddle, die ungarischen und rumänischen Traditionen, eine ganze Welt tat sich für mich auf.