Sendung Jazz and beyond
Interview mit Christina Fuchs auf Radio 674fm
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Aus Anlass des 100. Jahrestages des Weltfrauentages am 8. März gab es im Internetradio 674fm ein Special: Frauen in Jazz and beyond mit Uwe Bräutigam. In dieser Sendung wurden nur Stücke gespielt von Instrumentalistinnen und Sängerinnen. Zu Gast im Studio war die in Köln lebende Musikerin Christina Fuchs. Direkt vor dem Gespräch lief Caecilie Norby Sisters in Jazz mit dem Stück Do I Move You von Nina Simone. Anknüpfend daran begann das Gespräch.
Auf dem Ystad Sweden International Jazzfestival spielte 2019 Caecilie Norby mit dem Frauen Pojekt Sister in Jazz. Diese Frauenprojekte haben seit einigen Jahren einen festen Platz auf dem Ystad Jazz Festival. Aber bereits vor fast 30 Jahren gab es NRW schon eine Frauen Big Band, The United Women`s Orchestra. Eine der Gründerinnen dieser Big Band ist heute bei uns im Studio in der Sendung Frauen in Jazz and beyond zu Gast : Christina Fuchs, Klarinettistin, Saxophonistin, Komponistin, Arrangeurin und Big Band Leiterin.
Hallo Christina, ich freue mich, dass Du bei uns im Studio heute zu Gast bist.
Christina Fuchs: Hallo, ich freue mich hier zu sein.
Du hast mit dem United Women`s Orchestra ein Stück deutsche Jazz Geschichte mitgeschrieben. Wie kam es zur Gründung des United Women`s Orchestra?
Christina Fuchs:Ja, das ist in der Tat schon lange her. Aber immerhin von 1992 bis 2009, also 17 Jahre hat die Big Band existiert. Es war seinerzeit ein Pool von Jazz Musikerinnen aus Deutschland und auch den angrenzenden Niederlanden. Anfang der 90er stellte ich mir die Frage, wo sind denn all die Musikerinnen? Es war ein Projekt gemeinsam mit Hazel Leach, eine englische Komponistin und Arrangeurin,auch eine Saxophonistin, die in den Niederlanden lebte, weil sie in Arnheim unterrichtete. Wir haben uns zusammengetan und haben gesagt: Wir sammeln die Musikerinnen jetzt in ganz Deutschland ein und schauen was wir auf die Beine stellen können. Das war die Grundidee. Es war der Beginn einer langen Freundschaft, wir waren eine verschworene Gemeinschaft. Es war ein tolles Projekt. Alles hat natürlich so seine Zeit und die war dann 2009 vorbei.
Ein tolles Pionierprojekt. Du hast aus dem Album The Blue One des United Women`s Orchestra das Stück Lydisch Blau ausgewählt. Kannst Du etwas zum Stück sagen? Lydisch, bezieht sich das auf die Lydische Tonleiter?
Christina Fuchs: Ja, es ist die Vorliebe für die lydische Skala, aber gleichzeitig auch für die Farbe Blau. Ich war in dieser Zeit sehr fasziniert von Yves Klein und das Zelebrieren der leuchtenden Aquamarinblauen Farbe. Diese beiden Dinge kamen zusammen.
Diese Band, das United Women`s Orchestra war für mich sehr wichtig. Sie hat für mich den Boden bereitet für orchestrales Komponieren. Dieses Stück ist 1999 entstanden, auch das Album ist 1999 herausgekommen. Das war für mich auch persönlich eine wichtige Zeit. Ich bin damals ein Jahr nach New York gegangen um Komposition bei Maria Schneider zu studieren, in dem renommierten Composer Programm. Das war super spannend. Ich wollt es auch wissen und konnte es sofort anwenden bei der eigenen Band. Und wenn man für die eigenen Leute schreibt, die man kennt, dann ist das großartig.
Aktuell leitest Du zusammen mit Caroline Thon das FuchsThon Orchestra, wieder eine Big Band. Aber wer nun glaubt, Du seist auf Großformationen fest gebucht, die oder der täuscht sich. Du bist noch in einer Reihe anderer, kleinerer Ensembles unterwegs. Einige davon werden wir in der Sendung vorstellen und Musik davon spielen. Eine Formation ist KontraSax, die kleinste und intimste, ein Duo mit der Bassistin Romy Herzberg, ein echtes Gegenstück zu einer Big Band. KontraSax gibt es schon seit über 30 Jahren. So etwas ist unserer schnell lebigen Welt eher ungewöhnlich. Was hält euch zusammen?
Christina Fuchs: Ja, das ist wirklich wahr. Wir haben letztes Jahr unser 30jähriges Jubiläum mit einem tollen Konzert gefeiert. Man muss sich wirklich gut verstehen, sich schätzen, respektieren, miteinander wachsen können und sich so lassen können, wie man ist. Das ist uns beiden gut gelungen, man wird dann auch zu Freundinnen. Am Anfang war Romy nur eine Kollegin, aber wir sind einfach zusammengewachsen. Dieses blinde Verstehen, was dann entsteht, ist nicht zu ersetzen, auch nicht durch Virtuosität. Das ist ein Wert, den man sich mit der Zeit erspielen muss. Ich bin damit sehr glücklich. Ich bin auch ein Typ, der so gestrickt ist, ich bin Langstreckenläuferin. Ich möchte das erfahren. Ich möchte eine lange Zeit mit Leuten zusammenarbeiten und sehen, was sich daraus entwickelt, wie das wachsen kann und wie man sich verständigt. Musik ist Kommunikation. Das zelebriere ich mit Romy Herzberg seit 30 Jahren.
Du hast auch von Kontrasax Musik mitgebracht, mit einem seltsamen Titel.
Christina Fuchs: Das Stück hat den kruden Arbeitstitel HM 2. Ich habe damals mit Romy Herzberg viele Sachen gemacht, unter anderem auch Literaturvertonungen. Das HM bezieht sich auf die Schriftstellerin Herta Müller und auf den Text: Der Mensch ist ein Fasan auf der Welt. Wer Herta Müller kennt, weiß, dass ihre Literatur harter Stoff sein kann, aber so fantastisch geschrieben, dass es sich geradezu anbietet Musik dazu zu machen. Zu dieser “harten“ Literatur brauchte es Musik, die einem wieder etwas Humor ins Gesicht zaubert. So entstand dieses Stück. Dieses Stück ist allerdings kein Duo. Es ist zum 25. Jubiläum entstanden: KontraSax & Friends mit Georg Ruby am Piano und Florian Stadler am Akkordion.
Du hast noch andere langlebige Projekte. Das No Tango Quartet besteht auch schon fast seit 20 Jahren. Wer und was verbirgt sich hinter diesem Quartett?
Christina Fuchs: Das No Tango Quartet ist auch ein Herzensprojekt von mir. Ich wollte meine alte Kollegin Ulla Oster am Kontrabass und Florian Stadler unbedingt dabeihaben und Christoph Hillmann , ein fantastischer Schlagzeuger, der sehr melodisch spielt. Diese Truppe habe ich mit bedacht so ausgewählt, weil ich genau das haben wollte. Ich wollte mit einem Harmonie Instrument experimentieren, das nicht Klavier oder Gitarre ist. Das Akkordeon ist ein atmendes Instrument, ein zweiter Bläser und gleichzeitig ein atmendes Klavier. Das war die Ausgangssituation, die haben wir ausgelotet über drei Alben hinweg und einmal noch mit einem Streichquartett erweitert. Diese Band existiert immer noch. Durch Corona hat sie pausiert. Aber ich hoffe wir nehmen unsere Tätigkeit bald wieder auf.
Das Musikstück, das Du mit gebracht hast trägt ebenfalls einen seltsamen Titel: Scoul Tarasp.
Christina Fuchs: Scoul Tarasp ist ein Ort in der Schweiz, im Unterengadin. Ein Ort den ich sehr liebe, weil ich dort mehrere Residences verbracht habe. Ein Ort, wo man seine Ruhe hat und arbeiten kann. Dieser Ort wird in dem Stück musikalisch beschrieben.
Christina, wir kommen nun zu einer Komposition von Dir, die ich ganz besonders mag: Poschti. Ich habe sie zum ersten Mal auf dem Multiphonics Festival im Stadtgarten gehört, Du warst dort Composer in Residence.
Christina Fuchs: Wir haben es eben schon als Scoul Tarasp gehört, das war die Version für Quartett. Dann habe ich es für das Multiphonics Festival umgeschrieben für Klarinettenquartett und Rhythmusgruppe. Das war fantastisch, leider ist diese Aufnahme verschollen. Weil ich das Stück sehr mag, habe ich es auch für Big Band arrangiert. Poschti habe ich es ich dann umbenannt, weil es besser passt, da es dem Schweizer Postbus gewidmet ist. Der Postbus gibt an jeder Serpentine ein Dreiklang Signal, einen A-Dur Dreiklang. Vor meinem Fenster war ein Hang, an dem der Bus hochfuhr und alle 20 Minuten hörte ich den A-Dur Dreiklang. Ich habe meinen inneren Widerstand irgendwann aufgegeben und mir gesagt, ich schreibe ein Stück mit diesem A-Dur Dreiklang. Man hört es dem Stück nicht mehr an, aber es ist eigentlich ursprünglich aus diesem Dreiklang gebaut. Ich habe es dann so umgeschrieben, dass es eine lange Busfahrt wurde. Das Stück wurde von der WDR Big Band 2014 in Gütersloh live eingespielt, anlässlich der Verleihung des WDR Jazzpreises für Komposition. das war eine sehr große Anerkennung für mich. Ich habe mich total gefreut und die WDR Big Band hat das Stück auch sehr gut umgesetzt. Die CD dazu ist erst fünf Jahre später herausgekommen, mit dem Titel Newton`s Cradle. Aber es ist ja nie zu spät, die Musik wird nicht schlecht.
Wir haben Dich vorhin schon mit Florian Stadler im No Tango Quartet und mit KontraSax & Friends gehört. Du hast mit Florian Stadler noch ein weiteres gemeinsames Projekt: Flux. 2018 habt ihr auch ein Album mit dem Titel Calliope herausgebracht.
Christina Fuchs: Florian Stadler ist auch ein Begleiter auf meinem Weg, schon seit 20 Jahren. Er ist ein großartiger Musiker. Wir haben uns aus dem No Tango Quartet ausgekoppelt, weil man als Duo einfach viel beweglicher ist und feiner sein kann. Wir haben das auf dieser Spielwiese ausgelebt. Calliope, so heißt das Album und auch ein Stück, ist ein winziger Kolibri Vogel. Wenn man so klein ist muss man andere Strategien haben, wie man Energie erzeugen kann. Das ist die Metapher für dieses Duo und auch für dieses Stück.
Jetzt hast Du einen Einblick in Dein breitgefächertes musikalisches Schaffen gegeben. Dein wichtigstes aktuelles Projekt, das FuchsThon Orchestra, das Du zusammen mit Caroline Thon als weibliche Doppelspitze leitest, fehlt noch. Ich hatte das Glück euer erstes Konzert im Kölner Stadtgarten zu erleben. Eine beeindruckende Versammlung von großartigen Musikerinnen und Musikern und zwei Frauen, die neue Wege im Bereich Big Band gehen wollen.
Christina Fuchs: Das FuchsThon Orchestra ist tatsächlich das neueste Projekt. Caroline Thon und ich haben das Projekt gestartet. Wir haben uns zusammengetan, weil Teamwork besser ist als Einzelkämpfertum. So ein großes Orchester macht soviel Arbeit, dass man es nicht allein schaffen kann. So haben wir gesagt, wir tun uns zusammen und sammeln die Szene in Köln ein und stellen etwas auf die Beine. Wir versuchen einen neuen Sound zu kreieren unter Einbeziehung von Elektronik. Wir haben die wunderbare Elektronikerin Eva Pöpplein in der Band. Caroline und ich haben perspektivisch im Kopf orchestraler zu schreiben, die Big Band, wie man sie so im Kopf hat, weit hinter uns zu lassen und stattdessen in Soundlandschaften zu gehen und sie mit der Elektronik in gutem Miteinander zu kultivieren. Wir haben uns offen gelassen wo wir landen werden, vielleicht in der Neuen Musik, wir wollen es immer weiterentwickeln. Die Band ist super drauf und will den Weg auch mit uns gehen. Trotz Corona machen wir das, auch wenn es zurzeit sehr schwer ist. Wir haben gerade Ende Februar eine Video Produktion gemacht, unter großem Aufwand und täglichem Testen. Aber wir haben es durchgezogen, das Ergebnis kommt hoffentlich Anfang April. Da kann man auch die Arbeit vom letzten Jahr auch noch sehen, die etwas untergegangen ist durch die Pandemie.
Du hast Deine Komposition Iceland mitgebracht.
Christina Fuchs: Das sind alles aktuelle Kompositionen, die das aufgreifen, was gerade stattfindet. Die Klimakrise war und ist ein Thema. Friday for Future war 2019 gerade voll am Start, völlig zurecht, ich bin damit ganz d`accord. Gleichzeitig ging eine Meldung um die Welt, dass in Island tatsächlich ein Gletscher endgültig gestorben ist, d.h. endgültig verschwunden ist und diese Entwicklung geht weiter. Island ist für mich ein Sehnsuchtsort, ein Land der Gletscher und des Eises. Ich habe mir vorgestellt, wenn in 150 Jahren dort keine Gletscher mehr sind. Was macht das mit solch einem Land? So kam ich zu dem Stück Iceland. Dort hört man auch Originaltöne von Greta Thunberg.
Am Beginn des Stückes hört man Geräusche, Knistern, u.a.
Christina Fuchs: Es ist das Eis, das schmilzt. die Gletscher die kalben, Geräusche der Natur, total faszinierend.
Damit möchte ich mich von Dir verabschieden und mich bedanken, dass Du Einblicke in Deine Musik gegeben hast. Kannst Du zum Abschluss schon Ausblicke auf die nächsten Events geben.
Christina Fuchs: Für das FuchsThon Orchestra schreiben wir für das neue Programm Reloaded 2, dass wir am 27.8. hoffentlich im Stadtgarten auch live vorstellen können. Wenn live nicht möglich ist, wird es ein Livestream. Flux wird es schon nächsten Samstag um 20 Uhr als Livestream der In Situ Art Society in Bonn geben. Findet man auf der In Situ Homepage oder auch auf meiner Homepage. Dann möchte ich noch das Soniq Kollektiv erwähnen, das sich in den letzten fünf Jahren als ein ganz fruchtbarer Teil meiner Arbeit herauskristallisiert hat, die ich gerne weiterführen möchte. Im Austausch mit anderen internationalen Musikern und Komponisten, mit ganz verschiedenen Genres. Soniq, das sind Ramesh Shotam, Jarry Singla und ich. Wir sind der Kern und wir laden uns Leute ein. Das nächste Projekt heiß New Folksongs mit norwegischen Musikern. Wir werden dort Volkslieder neu bearbeiten, von Kölner Seite wird auch Filippa Goyo dabei sein, die ich sehr schätze und aus dem Fuchsthon Orchestra kenne und weiß, sie passt da wunderbar hinein. Musik ist Kommunikation und das werde ich auch Zukunft so weitermachen.
Vielen Dank für die Einladung, hat total Spaß gemacht.
Die nächste Sendung von Jazz and beyond läuft am 28. März um 11 Uhr auf Internetradio 674fm. Zu Gast ist der Gitarrist José Díaz de León.