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Respekt vor einer großen Aufgabe

Reiner Michalke blickt zurück und nach vorn

Köln, 25.09.2016
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Patrick Essex

Verantwortlich ein Festival zu leiten, heißt gemäß dem Credo von Reiner Michalke, dass man sich selber eingestehen muss, „kleiner als das Festival selbst zu sein“. Nicht mehr kleiner als das Festival selbst waren zum Schluss die lokalpolitischen Querelen, die letztlich keine konsequente und nachhaltige Programmplanung mehr ermöglichte. Bestätigt sich damit Reiner Michalkes Einschätzung, dass „aktuelle, improvisierte, experimentelle und abenteuerliche“ Musik wohl doch nur in den Metropolen stattfinden kann - und in einer kleinen Stadt am Niederrhein künftig nicht mehr so viele Überlebenschancen hat? Im Interview hielt der Programm-Macher aus Leidenschaft Rückschau, aber blickte auch mit neuen Projekten nach vorn.

Wie bewertest Du Deine Zeit als künstlerischer Leiter des Moers-Festivals in der Rückschau?

Im Großen und Ganzen blicke ich mit einer gewissen Zufriedenheit auf das vergangene Jahrzehnt in Moers zurück. Man muss dazu vielleicht wissen, dass Moers für mich als Festivalmacher immer das große Vorbild war. Als wir 1978 das „1. Kölner Jazz Haus Festival“ veranstaltet haben, da war ich 21 Jahre alt, haben wir versucht, das Konzept „Moers“ mit unseren Mitteln zu kopieren. Also Musik zu zeigen, die abseits des Mainstreams neue Wege geht, niemals stehen bleibt und sich selbst hohen Risiken aussetzt. Als ich dann gefragt wurde, dieses große Festival zu leiten, hatte ich einen gehörigen Respekt vor dieser Aufgabe.

Siehst Du in Deiner Arbeit an der Festivalprogrammierung einen Entwicklungsprozess? Von den „Energiereibungen“ der frühen 70er zur aktuellen Musik von heute? Wo gibt es heutige „Energiereibungen“?

Das Festivalprogramm habe ich versucht immer an der Frage auszurichten, was produzieren die Musikerinnen und Musiker auf der ganzen Welt an neuen, spannenden Ideen. Und wie kann ich dieses Schaffen möglichst zeitnah in einem Festivalkontext präsentieren. In diesem Sinne hat sich auch das Programm meines Vorgängers in Moers jedes Jahr verändert. Das habe ich versucht aufzugreifen und auch zum Leitmotiv meiner Programmplanung zu machen.

Welche Erfahrungen haben Dir diese 11 Jahre vermittelt?

Tatsächlich wurde es jedes Jahr einfacher, das Programm zu machen. Meine Recherche-Systeme, wenn man sie so bezeichnen kann, wurden immer präziser und mir wurde auch immer mehr von außen zugetragen. Letztlich war es aber das Vertrauen des Publikums, das mir die Arbeit so erleichtert hat. Die Leute wollen in Moers nicht das sehen, was sie woanders auch sehen können. Sie wollen immer wieder überrascht und vor neue Konzepte gestellt werden.

Gibt es Dinge, die Du Dir 2006 anders vorgestellt hattest?

Eigentlich nicht. Es war gut immer – das heißt bis heute – einen großen Respekt vor der Aufgabe zu haben und sich eine gewisse Demut zu erhalten. In dem Wissen, dass das Ereignis immer größer ist, als man selbst.

Hattest Du die Vision, den Dauerkonflikt Festivalmacher vs Lokalpolitik (den Hennen schon austrug) harmonisieren zu können?

Ja. Dieses Ziel habe ich bis zum allerletzten Tag verfolgt. Und ich bin dabei auch sehr weit über meine Schmerzgrenze hinausgegangen. Ich musste mir dann aber irgendwann eigestehen, in diesem Punkt gescheitert zu sein.

Was gab den endgültigen, konkreten Anlass zu Deinem Abschied aus der künstlerischen Leitung?

Ich will hier jetzt nicht allzu sehr in die Details gehen und auch nicht nachtreten, sondern es vielleicht so zusammenfassen: die Gegner des Festivals vor Ort wurden immer stärker, und die Beschützer immer schwächer. Und ich hatte mir vorgenommen den Zeitpunkt zum Aufhören zu erwischen, an dem das Festival noch stark ist. Und ich glaube, das ist mir gelungen.

Und wo hingegen siehst Du bessere Handlungsalternativen verwirklicht?

Das ist schwer zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen. Dafür liegt meine Demission in Moers noch zu nah. Ich glaube, dass die Musik über die wir reden, also aktuelle, improvisierte, experimentelle und abenteuerliche Musik, eine Musik der Metropolen ist. Nur hier kann sie sich weiterentwickeln und ihre besten Ergebnisse bringen. Dass man so eine Musik auch in ländlichen Gebieten in einem, Festivalkontext zeigen kann, steht außer Frage. Aber es bleibt eine schwere Aufgabe, Kunst, die nicht auf den ersten Blick populären Ansprüchen genügt, außerhalb der Metropolen zu vermitteln.

Was wird es neues im Stadtgarten geben? Viel die Rede ist ja im Moment von einem künftigen Europäischen Zentrum für Improvisierte Musik.

Tatsächlich gibt es im Stadtgarten eine ganz neue Aufbruchsstimmung, die unmittelbar mit den Perspektiven zu tun hat, die sich mit dem neuen Zentrum verbinden. Eigentlich ist es noch etwas zu früh, darüber im Einzelnen zu berichten. Aber ich denke so gegen Ende des Jahres werden wir so weit sein, unsere ersten konkreten Pläne der Öffentlichkeit vorstellen zu können.

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