Bild für Beitrag: Renaud Garcia-Fons | Unterrichtsbeobachtungen und ein Interview
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Renaud Garcia-Fons

Unterrichtsbeobachtungen und ein Interview

Herne, 06.12.2013
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Ingo Marmulla

Musikschule Herne - 11.00 Uhr am frühen Morgen. In der Aula befinden sich neben dem Meister selbst circa 15 Bassisten mit ihren Kontrabässen: Ein ungewöhnlich beeindruckender Anblick zu so früher Stunde.

In seiner zurückhaltenden Art erklärt Garcia-Fons den Ablauf. Es sind zwei Teile vorgesehen. Zunächst will er eines seiner Stücke vortragen, in dem die wichtigsten Elemente und Techniken seiner Spielweise vertreten sind. Danach sollen die „Studierenden“ Gelegenheit haben, Fragen zu stellen.
Nach einer Pause der zweite Teil. Alle Bassisten haben Gelegenheit haben etwas vorzustellen. Garcia-Fons gibt Hilfestellungen und Tipps. Vorweg etwas zur Bogenhaltung. Er spiele ausschließlich mit der sogenannten französischen Variante, er könne ja nur über seine Spielweise lehren.

Das Erste, was für alle Teilnehmer von größter Wichtigkeit zu sein scheint, ist sein rhythmischer Umgang mit dem Bogen. Über eine Stunde geht es um diese Technik. Er nennt diese ihm eigene Technik: Pizz d’Arco - Pizzicato des Bogens. Immer wieder zeigt er, wie man den Bogen entsprechend locker halten kann. Der Anschlagswinkel, die Ziehgeschwindigkeit, die Arm- und Handhaltung, alles wird demonstriert und bei den Teilnehmern korrigiert. Dabei geht es auch darum, wie ein Bass beschaffen sein muss, mit dem man diese Technik anwenden kann. Low-Tension ist das Zauberwort. Wer ein ähnliches Instrument wie er in Paris kaufen will, sollte schon mal drei Jahre Bauzeit einkalkulieren und einen fünfstelligen Betrag ansparen.

Bevor es in die Pause und zu den bestellten Pizzen geht, erklärt er noch sein Lagenspiel und seine besondere Daumenstellung der linken Hand. Immer geht es ihm um Lockerheit, um ein anstrengungsloses Spiel. „Übe langsam, wenn du schnell spielen willst. Übe mit Metronom, variiere deine Akzente beim Tremolo, setze gezielte Vibrati ein, verwende Ornamente, um die Zieltöne herauszustellen...“

So hatte ich, als wir in den Flur der Musikschule ausweichen, um das Interview in Ruhe führen zu können, schon eine Menge über das Kontrabassspiel gelernt.

I.M. | Vielleicht könntest Du uns etwas über deine musikalische Ausbildung und Entwicklung erzählen. Gestern hörte ich Dich zum ersten Mal live und nahm dabei die vielen orientalischen und arabischen Elemente in deiner Musik wahr. Als ich musikalisch heranwuchs, hörte ich die Beatles und Jimi Hendrix, und das hat mich total beeindruckt und für die weitere Entwicklung stark geprägt. In welcher musikalischen Atmosphäre bist du aufgewachsen, und wie bist du zu diesen orientalischen Ausdruckformen gekommen?

R.G-F. | Schon als kleiner Junge hörte ich gleichzeitig unterschiedliche Musikstile: Klassische Musik, Flamenco (durch meine Eltern), alle Arten von Popmusik, mediterrane Musik: wie katalonische Musik, italienische Musik, auch Jazz- und Rockmusik, die sehr wichtig war. Mein älterer Bruder hatte alle neu erschienen Schallplatten, ich meine die neueste Beatles-Platte, das neue Who- oder Pink Floyd-Album. Ich war wirklich an allen unterschiedlichen Musikrichtungen interessiert. Mit 12 oder 13 Jahren begann ich in einer Rock bzw. Rockjazz-Band zu spielen. Ich spielte ein wenig E-Gitarre und E-Bass, aber mit 16 entdeckte ich den Kontrabass. Aber schon vorher war mir klar, dass ich ein professioneller Musiker werden wollte. Das war schon ganz klar. Und nachdem ich unter anderem bei François Rabbath studiert hatte, begann ich außereuropäische Musik zu hören, am Anfang besonders indische Musik. Besonders zwei Instrumente hatten es mir angetan: Sarangi, ein indisches Streichinstrument und Sarod, ein weiteres Saiteninstrument. Damals nahm ich auch Unterricht in indischer Musik hatte Unterricht auf der Vina. Zudem traf ich Musiker aus Marokko, dem Irak, aus Algerien ... So entdeckte ich diese Welt für meinen Kopf und meine Finger. Und Tag um Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr konnte sich dieser Einfluss in mir entfalten.

I.M. | Gestern hast du ein Stück über Santiago de Compostela gespielt. Und da hörte ich barocke Einflüsse. Auch diese Musik scheinst du besonders zu mögen.

R.G-F. | Ja, absolut! Es ist eine meiner Lieblingsmusiken. Weißt Du, die Barockharmonien sind die Grundlage von fast allen harmonischen Musikstilen: von Südamerikanischer Musik, von Jazz und von allen anderen Entwicklungen harmonischer Musik. Und alle Ursprünge dieser Musik finden sich in der Barockmusik. Diese Musik ist ja so umfassend. Da gibt es Johann Sebastian Bach, den ich bewundere und dessen Stücke ich immer wieder so für mich übe, das ist einfach wichtig für die Musik aber auch für die Improvisationstechnik, es ist eine wahre Quelle der Inspiration. Die Barockmusik ist sehr umfassend: italienische, spanische, französische Komponisten, englische Komponisten, Purcell oder Händel, eine fantastische Musik!

I.M. | Du sagtest, dass du immer wieder Bach spielst. Bach war ein Komponist, der sehr spirituell gedacht und komponiert hat. Ist dieser Zusammenhang auch in Deiner Musik zu finden? Gibt es da auch spirituelle oder religiöse Momente?

R.G-F. | Meine Musik ist nicht im strengen Sinne religiös. Aber im Sinne von Spiritualität schon, da sollte es in der Musik schon eine Verbindung geben. Im Orient ist die Musik traditionell eine Sprache. Und einige Meister sagen, die Musik ist eine Sprache, eine Brücke zurück zum Ursprung. Für mich persönlich ist die Musik andererseits aber auch ein Beruf. Aber natürlich entdecke ich in der Musik Möglichkeiten des Ausdrucks, Musik ist mehr als nur die Töne.

I.M. | Und Musik bringt Menschen zusammen ...

R.G-F. | Ja, Musik bringt die Menschen zusammen. Also in allen Traditionen: Blues und Jazz, was auch immer, und das sagen viele ernsthafte Musiker: Musik hat etwas mit dem Ursprung des Menschen zu tun.

I.M. | Eine ganz andere Frage, die ich Dir stellen möchte, betrifft die Taktarten. Die Orientalische und indische Musik kennt Taktarten wie 7/8 oder 5/8 und weitere sehr komplizierte Rhythmen. Diese Metrik ist auch ein wichtiger Baustein Deiner Musik.

R.G-F. | Ja, man muss die Musik erkunden. Im Abendland haben wir normaler Weise den 4/4 Takt, oder den 3/4 Takt (Walzer), 6/8, die Gigue. Aber in anderen Kulturen gibt es unterschiedliche Rhythmen. Es war sehr wichtig für mich, mein traditionelles Konzept zu erweitern und zu öffnen. 7/8 und 9/8 ... Also alles das ist interessant, wenn es mit Musik gefüllt ist! Ich suche nicht die Komplexität um ihrer selbst Willen. 7/8 sind gut, wenn es Sinn macht, wenn Du eine gute Idee hast und damit eine Geschichte erzählen kannst, mit 7/8. Natürlich, wenn Du einen 13/8 Takt nimmst, das kann schon interessant sein... Aber das für sich allein genommen ist für mich nicht das Wichtige in der Musik.

I.M. | Du spielst sehr oft auf Jazzfestivals. Spielst Du auch manchmal in einem „traditionellen“ Jazz-Kontext, oder bewegst Du Dich eher in Deinem eigenen Musikkosmos?

R.G-F. | Im Prinzip spiele ich mit unterschiedlichen Musikern. Aber ich verlange auch eine Solistische Rolle für den Bass, wie für alle anderen Instrumente. Es wollen viele Menschen mit mir zusammen spielen, und im Grunde bin ich da ganz offen. Ich spiele gerne in unterschiedlichem Kontext, und ich habe sehr viele unterschiedliche Musiker getroffen, u.a. Paquito d’Rivera, Marc Ducret, Cheb Mami, Musiker des Flamenco, Jazzmusiker, Barockinstrumentalisten ... Ich bin offen für unterschiedliche Wege. Gestern hast Du mich mit meinem Soloprogramm gehört, aber das ist nur der eine Teil meiner musikalischen Tätigkeit.

I.M. | Eine letzte, nicht ganz Ernst gemeinte Frage an Dich persönlich. Ich bin zwar kein Bassist, aber als ich Dich gestern gesehen und gehört habe, dachte ich nur: Mein Gott! Wie ist das nur möglich? Wie wirst Du damit der fertig, dass du mit Deiner Perfektion wahrscheinlich sehr viele Bassisten frustrierst?

R.G-F. | Weißt Du, seit ich anfing, Kontrabass zu spielen, bestand mein Ziel nicht in einer festgelegten Weise, das Instrument zu erlernen. Ich meine, für mich war der Kontrabass kein Jazzinstrument und auch kein Begleitinstrument. Er wurde für mich sehr schnell zu einem universalen Instrument. Das ist und war schon immer mein Traum. Das ist für mich auch der Grund, nach neuen Techniken zu suchen. Und ich glaube, Bassisten sollten diese vielen Möglichkeiten des Instrumentes entdecken! Und so versuche ich auch heute wieder, diese vielen Möglichkeiten aufzuzeigen.

I.M. | Renaud, ich bedanke mich für dieses sehr interessante Gespräch.

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