Nicht mehr im eigenen Saft schmoren
electronic ID vereint musikalische Lager
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Musik weiterentwickeln heißt, Schwellenangst vor dem Unbekannten zu überwinden. Für den in Köln lebenden Pianisten und Leiter des Gegenwartsmusik-Ensemble „electronic ID“ Felix Knoblauch ist das Ziel erreicht, wenn Hörer auf Konzerten neue Erfahrungen mit nach Hause nehmen. Das heißt vor allem auch: „Wir bauen verstärkt improvisierende Elemente in unsere Konzepte ein, zumal bei uns auch Jazzer mitspielen. Ein Schlüsselwerk für diese gegenseitige Befruchtung ist die Komposition „Hello“, die beim Jazz against the Machine-Festival der Kölner Musikhochschule aufgeführt wurde. Hier gibt es keine Notation im üblichen Sinne, dafür Piktogramme, die der Fantasie zum Ausgestalten mehr Freiräume lassen. Verblüffend war zu beobachten, dass die Anhänger der verschiedenen künstlerischen Lage ganz unterschiedliche Herangehensweisen pflegen. „Interpreten der Neuen Musik gehen hiermit ganz anders um, als die Jazzer mit ihren hohen improvisatorischen Fähigkeit. Aber im Endergebnis war es eine Gewinn für beide Seiten.“
Seit 2014 machen sich im Ensemble „electronic ID“ junge Künstler für den interdisziplinären Zusammenschluss der musikalischen Lager stark, geht es doch darum, die Neue und vor allem Neueste (!) Musik mit der improvisatorischen Freiheit des Jazz, aber auch der aktuellen Popkultur zu vereinen.
Die Liveauftritte des unabhängigen Ensembles, das sich im Umfeld der Musikhochschulen Köln und Essen bildete, kehren akademischen Zirkeln, in denen die Neue Musik nicht selten um sich selber kreist, frech den Rücken. Bei Konzerten etwa im Rahmen der Reihe „Tripclubbing“ im Kölner Stadtgarten werden Uraufführungen von DJ-Sets umrahmt. Auch appelliert die späte Uhrzeit des Konzertbeginns ans junge Clubgänger-Publikum. Interpreten, Komponisten und Zuhörer rangieren hier auch altersmäßig auf Augenhöhe. Viele der aktuell (ur-)aufgeführten Werke setzen auf visuelle Komponenten. Manche Aufführungen erzeugen eine surreale Atmosphäre durch Videoeinspielungen oder merkwürdige „Regieanweisung“, etwa, dass sich die Spieler so bewegungslos wie möglich zu verhalten haben. So etwas darf dann ruhig auch mal Situationskomik erzeugen.
Felix Knoblauch freut sich über solche neue Erfahrungen, die in Köln nicht zuletzt durch eine gute Vernetzung der Freien Szene im Rahmen von ON und des Netzwerks Neue Musik möglich wurden. „Es ist immer spannend, in neue Kontexte hinein zu wachsen“ , so der künstlerischer Leiter.
Electronic ID steht vorbildhaft für eine hoffnungsvolle Tendenz, als Musiker nicht länger im eigenen Saft einer auf sich selbst bezogenen Szene schmoren zu wollen. Jahrzehnte nach den prominenten „Übervätern“ wie Karlheinz Stockhausen suchen junge, experimentierwillige Musiker die Klänge fürs 21. Jahrhundert. Die arrivierte Neue Musik ist für die Generation des digitalen Zeitalters längst schon wieder Steinzeit: „Ob eine Musik 30 oder schon 300 Jahre alt ist, es ist in jedem Fall Historie. Wir wollen das Heute musikalisch abbilden“ bemerkt Felix Knoblauch augenzwinkernd. Nicht ohne noch einen kritischen Seitenhieb auf viele Kollegen und den Studier-Betrieb im ganzen loswerden: „Ich bin manchmal erschüttert, dass viele Studierende die ganzen aktuellen Möglichkeiten kaum im Blick haben. Aber das sehe ich bei vielen Lehrenden auch so.“
Bislang ist das Kollektiv electronic ID noch ein rein idealistisches Projekt. Geprobt und geforscht wird regelmäßig in den Räumen der Kölner Musikhochschule, aber dies hängt immer von den gerade verfügbaren Kapazitäten ab. Da muss ein unabhängiges Ensemble natürlich oft hinten an stehen. Auf jeden Fall tun diese jungen interdisziplinären Musikvermittler gut daran, so bald wie möglich einen Verein zu gründen: „Dann stellen wir eine juristische Person dar und können auch anders auftreten, um unseren Zielen besser gerecht zu werden.“