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NEUE MUSIKALISCHE RÄUME ÖFFNEN

Interview mit dem Schlagzeuger Jens Düppe

Köln, 15.06.2025
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam

Jens Düppe, Schlagzeuger, Komponist und Bandleader ist einer der profiliertesten Musiker der deutschen Jazz-Szene. Er hat ein fantastisches Album neu am Start. Uwe Bräutigam hat mit ihm über das Album, seine Band und den Kompositionsprozess gesprochen.

Wir haben ja auch deine früheren Alben bei Jazz and beyond vorgestellt. Bei dem letzten Album warst du auch hier als Gast.

Jens Düppe: Ja, ja, bei The Beat war ich live hier mit dabei.

Wenn ich deine Alben höre, dann haben sie natürlich irgendwo einen gemeinsamen Charakter. Aber das neue Album klingt doch sehr anders als das Album davor.

Jens Düppe: Du hast natürlich Recht, dass sich die Musik entwickelt. Vor allem, wenn ich mit meinem Quartett schon 12, 13, 14, vielleicht 15 Jahre zusammenarbeite, ist das eigentlich klar. Man entwickelt sich als Musiker, als Persönlichkeit. Das hat natürlich Einfluss auf die Musik. Man hat mehr Musik gespielt, auch mit anderen. Und die Welt verändert sich und deshalb verändert sich auch die Musik immer. Mein allererstes Album, das wir damals auf Sardinien aufgenommen haben, vor 15 Jahren, das war noch eher songhaft, dann ging es weiter Richtung Konzeptalben, Dancing Beauty und The Beat. Also diese letzte Platte The Beat, mit der ich auch hier war, die war auch schon ein Konzeptalbum. Das neue Album ISM  ist das vierte Album des Quartetts und da habe ich mich getraut, was schon länger bei mir im Kopf herumspukte, die Band zu erweitern mit einem weiteren Klang. Und dieser Klang ist ein alter Freund, ein Musikerkollege aus Italien, der Tenorsaxophonist Francesco Bearzatti. Wir verstehen uns einfach wahnsinnig gut. Ich hatte ihn schon immer wieder mal eingeladen für Projekte  und habe mich jetzt getraut, ihn auf dieses Album als Gast einzuladen. Wobei Gast ist etwas untertrieben, da er doch beinahe alle Stücke mitspielt und unsere größere Tour, die wir im Mai hatten, die haben wir auch im Quintett gespielt. Das ist wahrscheinlich die stärkste Veränderung. Ich wollte einen anderen Klang, und da ist das Nahe liegende, dass ich den Klang verändere durch dieses Tenorsaxophon. Ich habe noch eine andere Idee umgesetzt, die mir während des Kompositionsprozesses kam. Ich habe für immer wieder wechselnde Besetzungen komponiert. Auf dem Album ist es so, dass wir im Quintett spielen, wir spielen aber auch im Quartett. Und da fehlt dann immer jemand anderes von uns Fünfen. Oder wir spielen im Trio, da gibt es zum Beispiel ein Klaviertrio, aber es gibt auch ein Trio, Schlagzeug mit Elektronik und den zwei Bläsern. Das ist dann eine ganz andere Triofarbe. Ich wollte für mich und natürlich auch für alle anderen verschiedene musikalische Räume öffnen. Als Schlagzeuger habe ich in jeder Musik eine Spezialrolle, weil ich als Schlagzeuger selten pausiere. Ein Trompeter spielt und setzt aus, wenn ein Klaviersolo dran ist. Aber als Schlagzeuger ist man immer busy. Und es hat  mir gefallen, dass ich durch diese verschiedenen Besetzungen unterschiedliche Arten zu spielen habe. Ich muss verschiedene Räume füllen und auf ganz unterschiedlich mit dem Schlagzeug agieren. Und das hat sehr gut funktioniert. Die zwei Punkte, dass jetzt noch jemand mitspielt zusätzlich zum Quartett und die verschiedenen Besetzungen, das sind die Hauptunterschiede und die machen in der Summe, dass es wirklich ganz anders klingt, als die Alben davor.

Ja, ich fand das mit den verschiedenen Besetzungen ganz spannend bei eurem Live-Konzert. Da gab es ja auch ein Stück, wo du gar nicht mitgespielt hast.

Das ist die logische Konsequenz, dass ich mich auch einmal selber als Klangfarbe, als Schlagzeuger, herausnehme. Das ist bei dem Stück Sunday People passiert.

Wir wollen den Titel Headspin hören.

Jens Düppe: Das ist ein sehr schönes Stück, um die Band vorzustellen. Und auch noch einmal zu zeigen, wie ich versucht habe, bei dem Album Dinge anders zu machen. Es fängt erst einmal mit einem meditativen Schlagzeug-Solo an. Meditativ in dem Sinne, dass es relativ lang ist für eine Intro und nur vom Klavier begleitet wird. Von Lars Duppler, er spielt Klavier in der Band. Dann ist vielleicht auch noch besonders, dass es dann in das Trompetensolo geht. Frederik Köster spielt bei mir Trompete. Noch ohne Bassbegleitung geht es in ein Klaviersolo. Dann kommt endlich Christian Ramond am Bass und baut das Fundament dazu. Dann geht die Musik auf. Ja, also einen Bass braucht es schon untenherum. Das trägt das Ganze dann und kann mich dazu hinreißen lassen, dass die Musik dann fliegt. Und im Klaviersolo arbeiten wir mit dem Tempo, das ist öfter auch live so. Das Tempo muss ja nicht immer gleich bleiben. So lernt man es zwar im Studium, das Tempo halten, am Schluss vom Stück. Wir haben im Studium genau auf das Metronom geschaut, ob das Tempo sich verändert hat, schneller oder langsamer geworden ist. Aber wir werden da einfach viel schneller. Und dann wieder eine Besonderheit, jedenfalls für mich, es kommt ein zweites Trompetensolo in einem Stück. Das ist in einer anderen Farbe. Im ersten Solo fehlt der Bass, jetzt ist der Bass mit dabei. Und dann gehen wir wieder in das alte Tempo zurück.

Ihr seid ja nun wirklich sehr lange zusammen, was spürbar ist in der Musik. Besonders live sieht man, wie ihr fast traumwandlerisch zusammen spielt. Gibt es da ein Rezept, ein Geheimnis, wie es gelingt, dass man so lange zusammen bleibt?  Das sind ja nun alles Leute, die auch eigene Bands haben, die Solisten sind.

Jens Düppe: Alle in der Band sind Bandleader. Selbst der Bassist Christian Ramond macht immer wieder eigene Projekte. Was ist das Geheimnis überhaupt für eine Konstellation im Leben, die länger besteht? Das kann man vielleicht über die Musik hinaus beantworten, also praktisch beyond. Es muss halt  immer frisch bleiben. Es muss immer neuer Input reinkommen. Man muss sich vor allem einfach menschlich gut verstehen. Sich sehr gut verstehen und Lust darauf haben, immer wieder viel Zeit miteinander zu verbringen. Nicht nur auf der Bühne, sondern halt auch vor der Bühne, im Auto oder im Hotel oder auf Reisen. Und das klappt wunderbar. Dazu eine kleine Anekdote, die eigentlich alles sagt. Wir reisen oft zu viert in meinem VW Passat, da passt alles rein. Der Kontrabass passt hinten rein und die Beckentasche und jeder hat noch einen kleinen Koffer. Aber es gab schon Momente, wo es etwas zu klein schien und die Fahrt lang war. Wenn man z.B. nach Österreich mit dem Auto fährt. Dann hatte ich angeboten, dass einer im Zug fährt. Aber da gab es Widerspruch. Lieber wollten alle ein bisschen leicht gequetscht im Auto sitzen, weil man dann halt zusammen ist, sich Geschichten erzählen und Quatsch machen kann. Das ist das Gefühl, das Bandfeeling im Moment immer noch oder immer mehr vielleicht. Und das ist schon toll. Dafür bin ich dankbar. Ein bisschen Erfolg muss man dann auch haben. Das schweißt dann natürlich letztendlich auch zusammen. Aber das haben wir ja auch ein bisschen.

Ein bisschen ist gut. Ihr wurdet richtig gefeiert in der Düsseldorfer Jazzschmiede. Also in Düsseldorf seid ihr ja richtige Stars. Kommen wir zum nächsten Titel: Piece for Peace.

Jens Düppe: Jetzt haben wir ihn endlich gehört, Francesco Bearzatti am Tenorsaxophon. Und was bei dem Stück auch ganz schön zu hören ist, dass Trompete und Saxophon oft quasi zu einem neuen Instrument verschmelzen. Die beiden Bläser sind sich manchmal in ihren musikalischen Aktionen so einig oder ticken so ähnlich. Das war auch meine Idee, als ich Francesco mit ins Quintett geholt habe. Dass es ab und zu doch, obwohl wir zu fünft spielen, so klingt, als wären nur vier Akteure auf der Bühne oder in der Musik,  weil Frederik und Francesco ähnlich agieren und manchmal zu einem Sound verschmelzen. Und hat man sehr schön gehört bei dem Stück Piece for Peace. Es war ein sehr ruhiges Stück, obwohl es im Quintett nie so ganz ruhig bleibt. Vor allem live ist es immer noch einmal anders und etwas aufgewühlter. Die inspirative Vorlage von diesem Stück, ein Stück eines ganz tollen Pianisten, der für mich wichtig war, den ich oft und gerne gehört habe, auch im Studium, ist Bill Evans. Der hat dieses für mich ganz besondere Stück komponiert, ein Solo-Stück für Klavier, Peace Piece. Dieses Stück hat so eine besondere Tiefe und Ruhe. Das hat mich immer fasziniert. Und, etwas von dieser Ruhe und von dieser Tiefe habe ich versucht in meinem Piece for Peace einzufangen.

DAS OFFENE SPIEL VON JACK DEJOHNETTE WAR FÜR MICH WICHTIG

Es ist jetzt angemessen, auch ein Stück von Bill Evans spielen. Allerdings nicht dieses Stück, sondern ein anderes Stück: You’re Gonna Hear From MeBill Evans hatte ja unterschiedliche Schlagzeuger und Bassisten. Und hier war Jack DeJohnette der Schlagzeuger und Eddie Gomez ist am Bass. Hat Jack für dich auch eine Bedeutung gehabt?

Jens Düppe: Ich habe ganz ehrlicherweise kurz gebraucht, weil man bei Bill Evans eher an Paul Motian denkt oder an ganz andere Besetzungen. Bill Evans hat immer Schlagzeuger gehabt, die ein offenes Jazz-Swing-Spiel anbieten. Also Paul Motian ist da ein super Beispiel. Aber Jack DeJohnette ist mindestens ein genauso gutes Beispiel, weil er auf eine ähnliche Art, zwar in dem Jazz-Ideom von Straight Ahead Jazz spielt, aber mit einer ganz offenen Art. Und damit meine ich, dass er oft diese Patterns einfach aufbricht. Eine Hi-Hat beim Schlagzeug, das sind die zwei Becken, die machen immer so »tzt« und die spielt der Schlagzeuger mit dem linken Fuß. Das ist vielleicht sogar so ein Markenzeichen von Jack DeJohnette. Oft geht die Hi-Hat immer durch, in einem regelmäßigen Rhythmus. Und Jack DeJohnette war einer der bekannten Schlagzeuger, die mit dem linken Fuß gemacht haben, was sie wollten. Das heißt dieser »tzt«-Klang, der kam nicht immer auf den erwarteten Zählzeiten, sondern er kam irgendwann einmal. Natürlich kennt man Jack DeJohnette über das Keith Jarrett Trio und da habe ich ihn auch kennen gelernt. Er war ganz wichtig in meiner Karriere. Ich habe ihn viel transkribiert. Da gibt es Tribute, das ist eine Doppel-CD, da habe ich All The Things You Are, transkribiert.Und dann sieht man, dass zum Beispiel der linke Fuß von Jack DeJohnette macht, was er will. Ich möchte jetzt Jack DeJohnette nicht auf seinen linken Fuß reduzieren.  Aber dieses offene Spiel war für mich ganz wichtig. Ich habe auch viel Oscar Peterson-Trio gehört und viel Orgel-Jazz mit Groove, Jimmy Smith usw. Das waren meine Anfänge, als ich angefangen habe, Jazz richtig zu studieren. Bevor ich in Holland war, bin ich noch in Weimar gelandet, zwei Jahre. Da bin ich mich wirklich mit den Roots beschäftigt, mit Bebop und Swing, mit Count Basie usw. Das sind meine Wurzeln, da komme ich her.

Jack DeJohnette ist ja auch ein ganz guter Komponist.

Jens Düppe: Und Pianist.

Richtig, er kommt eigentlich vom Piano. Er hat sogar als Pianist Platten aufgenommen, bevor er Schlagzeuger wurde.  Aber er ist auch ein ernstzunehmender Komponist, von dem gesagt wird, dass er einer der Schlagzeuger ist, der als Komponist nicht als Schlagzeuger erkennbar ist.

Jens Düppe: Dahin habe ich es noch nicht geschafft, muss ich ganz ehrlich sagen. In Besprechungen der Presse heißt es öfter, wenn der Schlagzeuger den Dirigentenstab in die Hand nimmt, damit ist natürlich gemeint, wenn er komponiert und Bandleader ist, dann klingt die Musik immer noch einmal anders. Bei mir wird oft darauf hingewiesen ,dass es anders klingt, weil ich ein Schlagzeuger bin.

ICH DENKE BEIM KOMPONIEREN NICHT IMMER VOM SCHLAGZEUG AUS

Mir ist aufgefallen bei deinem ersten Stück, dass du komponiert hast und auch immer wieder live spielst, da ist es noch sehr deutlich, das du ein Schlagzeuger bist, da ist das Schlagzeug noch sehr, sehr prominent. Und natürlich spürt man bei dir, dieses super rhythmische Gespür und die rhythmischen Feinheiten, die du immer in deinen Sachen drin hast. Aber insgesamt bist du jemand, der nicht das Schlagzeug in den Mittelpunkt drückt, sondern du komponierst wirklich für eine Band und das hört man sehr gut heraus. Auch wenn die Presse sagt, man hört, dass du ein Schlagzeuger ist, der komponiert hat.

Jens Düppe: Ja, du hast Recht, ich müsste die Sachen noch mal genau lesen, wie genau es gemeint ist. Weil, ich selten von einem Schlagzeug-Groove ausgehe. Wobei ich unterstellen würde, dass die meisten Jazz-Schlagzeuger und Jazz-Schlagzeugerinnen, nicht unbedingt von einem Groove ausgehen, sondern vielleicht von einer rhythmischen Idee, von einem Pattern.Aber es ist mir als komponierendem Schlagzeuger durchaus schon passiert,  nicht bei diesem Album, aber bei Vorgängeralben, dass die Musik fertig war, weil ich am Klavier angefangen habe, irgendein kleines Pattern oder ein Riff zu komponieren oder eine Idee für eine Struktur hatte. Und ganz zum Schluss geht es darum, was macht jetzt das Schlagzeug und ich habe erstmal Probleme, meinen Platz zu finden. Gut, das würde jetzt dafür sprechen, dass ich nicht direkt vom Schlagzeug aus denke.

MIT SCHLAGZEUG UND MIDI KEYBOARD

Ich möchte noch ein Stück von dir spielen See You Again. Das letzte Stück auf dem wirklich gelungenen neuen Album ISM, das bei ENJA Deutschlandfunk erschienen ist.

Jens Düppe: Diese letzte Stelle in See You Again  ist noch einmal ganz schön, um zu hören und zu verdeutlichen, wie die zwei Bläser sich so einig sind beim Spielen, wie sie manchmal in einem Klang verschmelzen. Du hattest mich, Uwe, eingangs gefragt, was denn hier alles noch so anders ist bei diesem Album. Jetzt im Laufe der letzten 30 Minuten, fallen mir selber noch mehr Dinge ein, die auch noch anders sind. Es ist doch eine ganze Menge, was ich anscheinend verändert habe. Hier ist am Anfang des Stückes ein Keyboard-Sound dabei, den ich spiele. Ich habe da so ein kleines MIDI-Keyboard, das dann auf eine Trommel passt. Und damit spiele ich die Arpeggios mit der linken Hand und mit der rechten Hand spiele ich Schlagzeug. Damit breche ich auch in dem Moment noch einmal den Klang des Albums. Das erste Stück heißt Hello, das letzte See You Again, das ist diese Klammer. Da breche ich zum Schluss dann noch einmal einwenig den Sound. Obwohl ich das davor auch schon einmal mache, mit dem gleichen Klang, der aber verzerrt gespielt wird und ein bisschen nach einer E-Gitarre klingt. In dem Stück Hit It, da habe ich auch so einen elektronischen Klang. Der ist hier ganz zu Anfang von dem Stück eine ziemliche Überraschung für die meisten.

Besorgt euch das Album und besucht die Live-Konzerte, die sich wirklich lohnen. Unterstützt die Künstler, das ist so wichtig. Wo spielt ihr demnächst?

Jens Düppe:  Im Quintett geht es leider erst weiter im Herbst, also im November.

Da sind wir vor allem in Süddeutschland, da sind wir dann in Karlsruhe und wir sind in Neuburg an der Donau. Da schneidet der Brudersender von euch, der BR, unser Konzert mit. Naja, steht alles auf meiner Webseite, da kann man schauen. Ein einzelnes Konzert gibt es noch in Engelskirchen, das ist ganz in der Gegend von Köln, am 11. Juli und das steht auch auf meiner Webseite.

Vielen Dank Jens und alles Gute.

jensdueppe.de

Das Interview wurde live am 8.6.25 bei Jazz and beyond auf Radio 674fm https://674.fm gesendentet und ist leicht gekürzt.

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