Musik und Theater in Köln Vol. 2
gamut inc. inszeniert Karol Capeks „Roboter-Oper“
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Christoph Voy
Jenseits der großen Häuser hat sich in Köln das Comedia-Theater einer engagierten Programmplanung verschrieben: Highlight im Februar war eine aktuelle Produktion des Maschinenmusik-Duos gamut inc., die im Januar uraufgeführt worden ist.
Die Menschen wollten schon seit ihrer Frühzeit besser als ihre Götter werden. Als Gott tot war, strebten sie nach dem Übermenschlichen und haben sich immer neue Apparate konstruiert, die heute, im Spätstadium der Menschheitsgeschichte, nach umfassender Herrschaft streben. Das Berliner Duo „gamut inc“ synchronisiert in diesem Sinne Karel Čapeks Theaterstück aus dem Jahr 1921 mit der Gegenwart und kreiert daraus eine "Roboter-Oper."
Merkwürdige Scheiben rotieren in einem ruhelosen Räderwerk. Die fein ziselierten Muster darauf lassen digitale Codes assoziieren und kurbeln das Kopfkino an: Sind so unsere Datenströme, Produktions- und Verwertungsketten sowie Algorithmen, welche Geldkreisläufe und globale Verteilungsverhältnisse unterwegs? Als im späteren Verlauf des Stücks schemenhafte Menschengesichter auf die Scheiben projiziert werden, stammen diese von der Website „This Person does not exist“. Sie sind komplett per Zufallsgenerator computeranimiert. Ein keiner Regieeinfall am Rande mit verstörend einen aktuellem Bezug.
Marion Wörle und Maciej Śledziecki haben sich seit Jahren die automatisierte Musikerzeugung zum künstlerischen Thema gemacht, was regelmäßig neue, raffinierte Apparaturen in verspielten Inszenierungen hervor bringt. Das aktuelle Stück „RUR“ muss aber ganz ohne retro-futuristische Musikapparate auskommen. Stattdessen nehmen sich Computer und Videoprojektion einer abstrakteren, szenisch-audiovisuellen Bühnen-Dystopie an.
Der kollektive Gleichschritt verträgt keine Träume
Frank Witzels Libretto definiert anhand des Original-Textes das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen Fantasie und Programmierung. Aus diesem Setting gibt es auf der Bühne (Bühnenbild Nina Rhode) kein Entrinnen: Der einsame Wissenschaftler Alquist (Patric Schott) soll als letzter Überlebender auf diesem Planeten einen „neuen“ Menschen konstruieren.Worauf es ankommt, sagt einer der Roboter - der mit schneidendem Countertenor singende Georg A. Bochow: Auf die Unfähigkeit zum Träumen muss Verlass sein, damit das Kollektiv im Gleichschritt marschiert. Helena (Gina May Walter), eine weitere Roboter-Figur, hat diese Regel sabotiert und den neu konstruierten Robotern eine Seele eingepflanzt. Was dazu führte, dass diese sich auflehnten und ihre Schöpfer vernichteten. Was Seele bedeutet, darüber kann weiter spekuliert werden angesichts der fließenden Bewegungen einer gesichtslosen tanzenden Figur. (Choreografie und Tanz Ruben Reniers).
Eine faszinierende Verbingung aus Chorgesang und Liveelektronik
Die Leistung von gamut inc besteht darin, aus diesem komplexen Stoff eine symbolträchtige und sinnliche Erfahrung zu formen und da kommt die Musik ins Spiel: Düstere, an Dark Ambient oder Industrial erinnernde Klangflächen hat Marion Wörle mit großer Meisterschaft kreiert. Sie stehen der ältesten menschlichen Ausdrucksform, dem Chorgesang gegenüber. In den von Maciej Sledziecki bestechend kunstfertig kreierten Partituren hallt der Puls der Maschinen wider. Perkussive, in Mikrointervallen geschichtete Vokalisen verzahnen sich in einem perpetuum mobile, welches sich alte, aber weit in die musikalische Zukunft blickende Verfahren von Isorhythmie zu Nutze macht. Clusterhafte Klangflächen und raffiniert geschichtete Chromatik erinnern an Györgi Ligety - der sich ebenso wie die beiden Berliner Gegenwarts-Protagonisten mit Maschinenmusik beschäftigte und den gamut inc. als einen ihrer Idole betrachten. Mehr noch: Maciej Sledziecki hat die neuen Chorpatituren aus maschinell generierten Prozessen abgeleitet.
Und ja: Die hineinprojizierte Einspielung mit dem RIAS-Kammerchor weckte die Lust auf eine „echte“ Livedarbietung dieser aufregenden, neuen Vokalmusik! Der letzte Aufführungsabend des Stückes in Köln brachte unfreiwillig einen weiteren Aspekt von Künstlichkeit ins Spiel: Sopranistin Gina May Walter war zum Schluss wegen eines positiven Covid-Tests nicht einsatzfähig. Hilfsweise konnte eine Aufnahme ihres Gesangsparts eingebunden werden. Lippenbewegung und Mimik wurden dann eben von einem weiteren „Roboter übernommen“.