Bild für Beitrag: Musik der Zukunft | Stefan Schultze auf dem Moers Festival
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Musik der Zukunft

Stefan Schultze auf dem Moers Festival

Moers, 29.05.2024
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam

Der Komponist und Pianist Stefan Schultze gab auf dem Moers Festival zwei Konzertauftritte und Workshops. Seine Musik, die er auf einem Flügel spielte und die von einem selbst spielenden Player Klavier und virtuell per MIDI Komponenten hervorgebracht wurde, gewährte dem Publikum einen Blick in die Möglichkeiten zukünftiger Musikproduktionen. Bei allen technischen Finessen, präsentierte Stefan Schultze vor allem eine mitreißende, komplexe und überraschende Musik, die vom Publikum mit viel Applaus bedacht wurde.

Vom LochkartenKlavier zu KI beeinflusster Musik

Das Konzert auf dem Moers Festival wirkte wie ein gewöhnliches Solo Pianokonzert, bei dem Stefan Schultze elektronische Mittel einsetzte. Auf der Bühne standen aber zwei Pianos. Auf dem einen spielte Stefan und das andere spielte ohne ihn. Es handelte sich um ein selbst spielendes Player Piano, eine Musikmaschine, die es schon seit 1896 gibt und die ursprünglich einmal mit Lochkarten Walzen gesteuert wurde.

Wegen ihrer mäßigen Qualität wurden die Player Pianos wenig beachtet. Erst mit den Kompositionen von Conlon Nancarrow Ende der 40er Jahre sollte sich dies langsam ändern. Der US-Amerikaner Nancarrow war ursprünglich Jazz Trompeter und tourte 1936 in Europa. 1937 schloss er sich den Internationalen Brigaden in Spanien an und kämpfte dort gegen den faschistischen Putsch von General Franco. Nach der Niederlage der Republikaner ging er schwer verletzt zurück in die USA. Als linker Spanienkämpfer wurde er während der McCarthy Ära in den USA verfolgt und ging nach Mexiko ins Exil. Dort kaufte er sich ein Player Piano und eine Maschine um die Lochstreifen zu stanzen und begann für das Player Piano zu komponieren. Seine Kompositionen übertrug er direkt auf die Lochstreifen. In den 60er Jahren wurde John Cage auf ihn aufmerksam und produzierte mit Merce Cunningham einige "Studies" die auch 1976 veröffentlicht wurden. Der ungarische Komponist György Ligeti förderte Nancarrow und durch seine Vermittlung konnte dieser seine Musik in Europa live vorstellen. In Nancarrows Todesjahr 1997 erfolgte zum ersten Mal die Aufführung seines Gesamtwerkes auf der Musik Triennale in Köln. Von den Anfängen der Musik von Nancarrow für Player Piano bis zu seiner umfassenden Würdigung dauerte es 50 Jahre.

Mittlerweile sind die Player Pianos mit zeitgemäßer Technik versehen. Sie werden heute über MIDI (Musical Instrument Digital Interface) gesteuert, ein technischer Standart, der eine digitale Kommunikation mit unterschiedlichen Musikinstrumenten, Computern und damit verbundenen Audiogeräten zum Produzieren, Aufnehmen und Wiedergeben von Musik möglich macht.

Heute kann auf dem Player Piano eine riesige Menge an Tönen gespeichert werden. Stefan Schultze hat auf dem Player Piano z.B. hunderte von Tonleiter Varianten eingespeist, natürlich neben vielen anderen Musikstücken auch seine eigene Musik, aber auch die Umsetzung des Alphabets in Töne.

Die MIDI Daten können in Echtzeit von einem zusätzlichen Keyboard oder/und von einem KI Programm übertragen und verändert werden. Den Klang des selbst spielenden Klaviers modulierte Stefan, in dem er das Klavier präparierte. An dieser Stelle ist es wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass ein selbst spielendes Player Piano kein elektronischen Klavier ist, sondern es werden mit elektronischen Mitteln die Hämmer des Pianos angesteuert und die schlagen auf die Saiten.

BEEINFLUSST DURCH MUSIK VON LIGETi UND COLTRANE

Stefan Schultze eröffnete das Konzert mit dem Werk "Black MIDI Ballet". Der Titel bezieht sich auf ein Werk um 1920, "Ballet Mecanique" von George Antheil, das für 16 synchron geschaltete Player Pianos konzipiert war. Inspiriert wurde das Werk durch das YouTube Phänomen Black MIDI, das um 2009 in der Gamer- und Anime Szene entstand. Dort wurden riesige Konglomerate von Noten von virtuellen MIDI Pianos übereinander geschichtet.

Obwohl dies Inspirationsquellen waren, war das Besondere an "Black MIDI Ballet" aber, dass Stefan Schultze hier drei Komponenten miteinander verband: einen menschlichen Klavierspieler (der sowohl bei Antheil als auch bei Black MIDI fehlte), ein virtuelles Klavier und ein selbst spielendes Player Piano. Dieses Miteinander und Gegeneinander dieser drei Komponenten machte das Wesen des Stückes aus. Das Werk "Hyperplexia" ist von Musik, wie der von György Ligeti in Poème symphonique and Volumina, inspiriert. Stefan Schultze wechselte hin und her zwischen Pianospiel, dem Präparieren des Pianos, Controlling in Echtzeit und dem Prozess alles zu einer improvisierten Soundcollage zusammenzufügen. Im Werk "Tapetenwechsel" setzte Stefan das selbst spielende Player Piano wie einen Synthesizer ein. Er übertrug Tonleitern, das Alphabet, ASCII Symbole und Genderzeichen in MIDI Signale und kreierte damit Töne und Visuals. Im letzten Stück "On 1 String" lotet Stefan aus, welche kompositorischen Möglichkeiten es mit nur einer Pianosaite gibt, wenn Audio und Video Samples über MIDI dabei kontrolliert werden. Von dieser Ausgangssituation entwickelte sich das Stück dann aber über one string hinaus.

In den Programm Notizen gab Stefan Schultze Einflüsse von folgenden Musiker*innen in seiner Musik an: Conlon Nancarrow, Daphne Oram, George Antheil, György Ligeti, Ivan Wischnegradsky, Jamey Teneny, John Coltrane, Laurie Spiegel, Nicolas Slonimsky, Norman McLaren, Shirasagi Yukki, TheMentor, TheTrustedComputer, Trimpin, Unknown Blackers & Wendy Carlos

DAS KONZERT ALS AUDIOVISUELLES ERLEBNIS

Neben der Musik setzte Stefan Schultze von der Musik generierte Visuals ein, die auf eine große Leinwand über der Bühne projiziert wurden. Die Visuals reagierten auf Rhythmus, Tonhöhe und Länge des Tons und konnten moduliert werden. So erlebte das Publikum die gehörte Musik im wahrsten Sinne des Wortes auch optisch. Aber damit nicht genug, Stefan Schultze hat ein Programm geschrieben mit dem er diesen optischen Signalen eine Dreidimensionalität gab. Unterstützt bei der Entwicklung der Software wurde er von dem Musiker und Elektroniker Frank Grieffenhagen unterstützt, der aktuelles Mitglied der Band Kraftwerk ist und die Visuals der Band kreiert. Dieser optische Aspekt der Musik, wurde noch unterstützt, in dem Stefan zwei Kameras seitlich seines Piano Keyboardes anbrachte.

So konnten seine Anschläge auf dem Klavier als Hintergrund für die in abstrakte Zeichen umgesetzte Töne fungieren. Schon beim Komponieren der Musik hatte Stefan den optischen Aspekt im Hinterkopf und komponierte, die Musik auf bestimmte optische Abläufe hin. Er stellt sich damit in die Tradition von Komponist*innen, wie Norman McLaren, Daphne Oram and Iannis Xenakis. So wurden während des Konzerts die Grenzen zwischen audio- und visueller Erfahrung, zwischen Komponist, Performer und Remixer und zwischen Improvisation und notierter Musik völlig verwischt. Die Visuals wurden sowohl live durch das Pianospiel per MIDI produziert, als auch von einem "Visual Operater" außerhalb der Bühne verändert und bearbeitet.

MUSIK VON MENSCH UND MASCHINE

Alle aufgeführten komplexen Prozesse waren natürlich für das Publikum so gut wie unsichtbar. Wie bei einem Eisberg war nur die Spitze sichtbar und der größte Teil befand sich unter der Oberfläche. Man sah Stefan Schultze Klavier spielen und auf einer Konsole an verschiedenen Reglern drehen. Aber diese spannenden futuristischen Hintergründe zu seiner Musik erläuterte er den Teilnehmer*innen auf seinen Workshops. So durften die Teilnehmer auch ohne Vorkenntnisse an den verschiedenen Reglern drehen und selbst Musik produzieren. Da ich kein Technik Freak und Computer Nerd bin, habe ich wahrscheinlich nur 10% von dem verstanden was Stefan mit viel Geduld und Freundlichkeit weitergab.

Aber das zentrale Thema im Werk von Stefan Schultze wurde sehr deutlich: das Aufeinandertreffen von virtuellen Instrumenten, elektronischen Prozessen und der handgemachten Musik eines Menschen, sehr vereinfacht das Wechselspiel von Mensch und Maschine. Schon in seinem letzten Werk "The Buchla Suite – A Handcrafted Tribute To Morton Subotnik" deutet sich dieses Thema an. Die Musik von Subotnik war rein elektronische Synthesizer Musik, während die Musik vom Stefan Schultze Large Ensemble rein handgemachte Musik ist. Der Faktor Mensch spielt in der Musik von Stefan eine große Rolle. Es geht hier nicht um Musik bei der elektronische Prozesse den Mensch ersetzen sollen, sondern um ein Miteinander und eine Auseinandersetzung von menschlich handgemachter Musik mit elektronisch bzw. KI erzeugter Musik.

Stefan Schultze – Audio Visual Concept, Piano & Composition Falk Grieffenhagen – Software Development
Paul von Chamier – Live Visuals Christian Heck – Live Sound Lorenz Klingebiel – Design

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