Bild für Beitrag: Musik braucht Diskurs | Ein Gespräch mit Jan Klare

Musik braucht Diskurs

Ein Gespräch mit Jan Klare

Münster, 23.01.2022
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Wohin wird alles einmal führen? Wer sind wir überhaupt und Warum das alles? Die Texte und Slogans im neuen Dorf-Album „Protest Possible“ nehmen es kraftvoll mit solchen Fragen auf. 15 Jahre nach Gründung dieses improvisierenden Kollektivs wird nach vorne geblickt – dies wurde auch im Interview mit dem Bandleader Jan Klare deutlich.

Wie war die neue Erfahrung mit „The Dorf“, ein durchkomponiertes Konzeptalbum zu produzieren, wie es "Protest Possible" ja geworden ist?

Es war schon manchmal extrem. „The Dorf“ ist als Band nicht dazu gemacht, viele Noten zu spielen. Volle Notenständer sind für uns totaler Stress und eigentlich artfremd. Hinzu kam ein aufwändiger Produktionsprozess: Am Anfang stand die Überlegung, wen wollen wir die Lyrics schreiben lassen. Ich habe mir Tipps geben lassen und zugleich auf eine ausgewogene Verteilung der Geschlechterrollen Wert gelegt. In den Proben mussten wir dann vieles einzeln einspielen - zum Teil jeweils im Homestudio. Es war eine langwierige Sache, bis alles gemischt war. Manche echte Dorf-Fans waren dann erstmal extrem irritiert.

Früher hatte ich das Bild, dass viele aus der Szene im Ruhrgebiet kommen und etwas in die Band hineintragen. Da ist natürlich etwas dran. Aber eine andere Dynamik erscheint mir heute viel bestimmender und das bestätigen mir auch immer wieder diverse Musikerinnen und Musiker die bei euch mitmachen: Die Sozialisation durch das Mitmachen bei „The Dorf“ formt die künstlerische Haltung und hat dabei etwas sehr befreiendes. Sag mal was zu eurer künstlerischen Philosophie!

Es geht mir und uns um eine neue Kanonisierung von Ästhetik. Das, was wir machen ist im Grunde das, was das Bauhaus vor 100 Jahren entwickelte - oder, wie wir es verstehen. Da stehen immer Fragen im Raum: Welche Formen sind zeitgemäß? Welche soziologischen politischen Strömungen sind da und wie spiegeln sie sich wieder? Das Bauhaus Anfang der 1920er Jahre war gewissermaßen ein Rollenmodell für uns. Letztlich ist unser Anliegen eine Formensprache, die der Zeit entspricht. Unsere Diskurse darüber vertiefen sich immer mehr.

War dies auch das Anliegen in eurem Text, den ihr Qualitätsrecherche (verlinkt unter http://www.janklare.de/news/) nennt?

Da ist vor allem der Wunsch, Geschichten anders zu erzählen, als es der Mainstream üblicherweise praktiziert. Wir arbeiten ja grundlegend anders als viele andere – und das stellt sich zu selten öffentlich dar.

Fließen eure Diskussionen über Musik in die unmittelbare künstlerische Arbeit ein?

Wir haben uns in der letzten Zeit in Zoomrunden gegenseitig Platten vorgestellt. Jemand musste sie loben. Ein anderer durfte sie zerreißen. Wir haben uns gegenseitig Rezensionen geschrieben. Solche Diskurse über Musik zeigen uns immer besser die Gesetzmäßigkeiten auf, nach denen „The Dorf“ funktioniert - oder eben nicht funktioniert. Die musikalischen Resultate sind ja auch eine Abfolge von Entscheidungen. Je nachdem, wer auf welche Impulse reagiert und wer neben wem steht. Daraus erwächst mit der Zeit ein kontinuierlicher Sound.

Eure aktuelle Platte ist ja extrem anders geworden als alles vorhergehende. Was ermöglicht solche Erneuerungsschübe?

Um Wiederholungen zu überwinden, muss jeder die eigene innere Haltung immer neu hinterfragen. Es zahlt sich aus, dass wir gerade in der letzten Zeit sehr gezielt geforscht haben.

The Dorf“ ist ja die einzige Deiner Bands, in der Du nicht selber spielst. Wie definierst Du Deine Rolle als Bandleader?

Vor allem als Spiegel von allem, was kommt. Es gibt so viele Verbindlichkeiten und unterschiedliche Grade an Interaktion. Ich freue mich, dass viele Menschen das, was mir machen, sehr ernst nehmen. Das zeigt auch die Reaktion bei vielen Gigs. Aber wir möchten die wichtigen Fragen immer neu verhandeln: Wie beurteilen wir unsere eigene Musik? Wo liegt die Deutungshoheit? Es ist eine permanent stattfindende Geschichte. Solche Diskussionen generieren ein Ergebnis, das nicht wäre, wenn wir nicht darüber diskutieren würden.

Um das Dorf herum haben sich in den vielen Einzelprojekten der Mitglieder neue kreative Außenposten entwickelt. Kann man hier von einem organischen Prozess reden?

Das streben wir an - und ich glaube, uns gelingt dies auch immer mehr, wenn ich an die vielen Bands, die aus diesem Prozess entstanden sind, denke.

Die Vielfalt an künstlerischen Ansätzen sucht ihresgleichen. Da kann wohl kaum ein anderes Label für aktuelle Musik mithalten, ist manchmal mein Eindruck. Nehmen wir als Beispiel von vielen das neue Release „La Nuée“, welches ganz erstaunliche Klangerfahrungen bietet. Zugleich ist diese Platte durch ihre belgische Beteiligung eine internationale Produktion. Ist dies ein Beispiel für solche Synergieeffekte?

Der Saxofonist Johannes Eimermacher war 10 Jahre lang im Dorf, dann ist er nach Brüssel gegangen, wo er andere Musiker für dieses Trioprojekt (sind glaub ich 5 oder 6 Leute - kein Trio) begeistern konnte. Genau in dieser Hinsicht möchten wir künftig noch mehr Fokus auf die Schärfung unseres Profils legen.

Was unternehmt ihr noch, um das Profil weiter zu schärfen?

Ein Schritt in dieser Richtung wird in diesem Jahr sein, dass wir anfangen, uns gegenseitig zu produzieren. Auch hier geht es wieder darum, miteinander über Musik zu reden. Wir wollen uns künftig beim Aufnehmen gegenseitig betreuen. Wir wollen eine Vertiefung dessen, was die einzelnen Leute machen und uns damit auch international positionieren. Mittlerweile sind 80 Leute durch die Band gelaufen. Die hohe Kunst dabei ist, sozusagen eine Basisfamilie als Kontinuum aufrecht zu erhalten und immer wieder über die Musik zu reden. Und jede Chance nutzen, immer einen Schritt weiter zu gehen. Die Gründung unseres Labels war ein wichtiger Schritt in diese Richtung - ebenso ist die Regelmäßigkeit von Auftritten und eines Festivals ein wichtiges Element.

Ich habe bei euch das Bild eines Baums, der sich immer weiter verästelt. Verkörpert „The Dorf“ und sein Umland eine Antithese zu den immer kurzlebiger werdenden Projekten in der Szene und auf dem Musikmarkt?

Wir alle sind heute mit Gesetzmäßigkeiten konfrontiert, die fast schon physikalisch wirken. Die Digitalisierungsschübe bringen immer mehr Rotation in die Gesellschaft und auch in die Musikszene. Viele Faktoren heizen den Kessel immer weiter auf und ständig kommen immer neue Leute auf sehr hohem Niveau ins Spiel. Zugleich binden sich Menschen immer weniger, auch nicht in Bands und hauen stattdessen mit immer neuen Leuten was anderes raus. Das ist eine sehr zeitgemäße Sache. In dieser Hinsicht sind wir schon bewusst sehr antizyklisch aufgestellt.

Was hat sich bei Euch personell verändert in den letzten 15 Jahren?

Man merkt, dass viele Leute nach Berlin abwandern und auch viele nach Köln. Köln hat aber nicht das gleiche Potenzial, um etwas zu entwickeln wie Berlin. Köln ist sehr überheizt und zugleich etwas konformistisch geworden. Damit will ich nicht in Abrede stellen, dass es in Köln auch super exponerte Typen gibt, die geile Sachen machen. Letztlich kommt man nicht umhin, in möglichst vielen Szenen Kontakte zu knüpfen. Ich denke, die kommenden Generationen werden noch weniger an einem Wohnort kleben bleiben.

Bleibt der Standort Ruhrgebiet unverrückbar für The Dorf?

Auf jeden Fall, zumindest in den nächsten paar Jahren.

In Deinem Aufsatz ist von Spiritualität die Rede, eben als Gegenpol zu den Marktmechanismen und der Beherrschung durch das Technische. Bietet „The Dorf“ einen Zufluchtsraum in dieser Hinsicht?

Spiritualität ist wichtig. Vor allem angesichts der heute üblichen, meist stark institutionalisierten jazz-professionalisierten Herkunft vieler Musikerinnen und Musiker. Sie alle haben ordentlich ihr Handwerk studiert und gelernt, jede Herausforderung zu meistern, um in jeder Band, die auf dem Markt ist, mitspielen zu können. Das ist an sich ja ein sehr kapitalistisches Prinzip. Wir verkaufen unsere Arbeitskraft und dazu gehört auch, dass man sich seit 20 Jahren über Selbstvermarktung einen Kopf macht. Da ist es wirklich längst überfällig, darüber zu reden, dass die Musik mehr ist als ein Alltagsgeschäft, weil man sie so elementar braucht wie die Luft zum Atmen.

Ist es schwieriger geworden, diesen Zustand zu erreichen?

Ich würde sagen, ja. So wie Du dein Instrument lernen kannst, lernt du, Konzepte zu kopieren. Die Reproduktion von neuen Trends ist extrem aufgeheizt - gerade im Jazzsektor, so dass man einfach voll damit beschäftigt ist, am Puls der Zeit zu bleiben. Die Frage nach Spiritualität ist ja nicht nur auf die Jazzszene bezogen. Wir leben in einer Welt, die auf alles nur Preisschilder macht und so tut, als könnte man ohne Begriffe wie Schönheit, Erfüllung, Freude, Glück und Liebe leben. Als ginge es nur darum, eine Eigentumswohnung finanzieren zu können.

Damit sind wir ja wieder beim Thema der aktuellen Platte „Yes No Protest Possible“ angekommen.

Ja und es und verschärft sich noch weiter. Die Schere zwischen Arm und reich (gross- oder kleinschreibung?) driftet immer weiter auseinander. Deswegen ist es überfällig, Protest in der Musik auszudrücken. Die Texte versuchen, dies auf den Punkt zu bringen.

Suche