Musik braucht authentische Gefühle
Gespräch mit dem Saxofonisten Bernd Delbrügge
TEXT: Dr. Michael Vogt |
Der Saxofonist Bernd Delbrügge und seine Band gehören zu den Gästen bei der kommenden Hürther Jazznacht. Michael Vogt traf den Musiker zu einem ausgiebigen Hintergrundgespräch.
Die 26. Hürther Jazznacht steht nach der erfolgreichen Neukonzeption des Formats durch Harald Haenßgen, Organisator und Vorstandsmitglied des Jazzclubs Hürth e.V., diesmal ganz im Zeichen des Saxofons. Zu den Formationen, die am 14. Oktober 2023 im Hürther Bürgerhaus auftreten, gehört neben der schwäbischen Marching Band „Vier Männer von Welt“, dem jungen Quintett „Appaloosa“, der Latin-Jazz-Formation „Portofino“ und dem „Saxophonquartett Hannover“ auch die „Delbruegge Band“ rund um Bandleader Bernd Delbrügge.
Delbrügge erregte auch außerhalb der Jazz-Szene Aufmerksamkeit, als er in der Corona-Pandemie begann, auf einer Bank im Köln-Vogelsanger Biesterfeld für die Menschen zu spielen. Im Fach Saxofon wurde er von Andreas Kaling , Roger Hanschel und Wollie Kaiser ausgebildet. Ensemble- und Big-Band-Unterricht erhielt Delbrügge bei Michael Villmow und Jiggs Wigham. Nach einem Aufenthalt in Berlin erfüllte er sich in seiner Wahlheimat Köln den Traum von der Soulmusik. Seine zwölfköpfige Formation „SOULCATS“ brachte es zur Studioband der „RTL Nachtshow“. „Kölns bekanntester Saxofonist“, wie Delbrügge von einer Kölner Zeitung genannt wurde, arbeitete mit so unterschiedlichen Künstlern und Bands wie Nina Hagen, Dr. Feelgood, BAP, Bobby Byrd oder Guildo Horn zusammen. Er hat ein Programm mit Ingolf Lück und unternimmt mit den „floorJIVERS“ Ausflüge in die elektronische Musik. Die „Delbruegge Band“ besteht aus Bernd Delbrügge (Saxofon, Gesang) Gert Kapo (Piano, Wurlitzer-E-Piano, Hammond-B3-Orgel), Gero Gellert (Kontrabass, E-Bass) und Dirk Ferdinand (Schlagzeug, Percussion). Die Formation spielt Musik im Spannungsfeld von Duke Ellington, Tom Waits und Clärchens Ballhaus mit einem Schuss Edgar Wallace – nostalgische, aber nicht antiquierte Streifzüge durch die amerikanische Musikgeschichte im Schummerlicht einer deutschen Nachtbar. Die jüngste Veröffentlichung der Band auf Vinyl ist das Album „Analogue Souls“, das bei Westpark Music erschienen ist.
Im Vorfeld des Auftritts der „Delbruegge Band“ in Hürth sprach Bernd Delbrügge über seine Liebe zum Saxofon, gute Musik, Jazz in Deutschland und das, was das Publikum bei der Hürther Jazznacht erwartet, für die der Vorverkauf (koelnticket.de) bereits begonnen hat.
Herr Delbrügge, die Jazznacht 2023 steht ganz im Zeichen des Saxofons. Kaum ein anderes Instrument assoziiert man so stark mit dem Jazz. Erdacht wurde es aber ursprünglich mit einer ganz anderen Absicht.
Adolphe Sax erfand das Instrument für Militärkapellen, in denen Klarinetten viel zu leise waren, um sich durchzusetzen. Deswegen wollte er ein Instrument bauen, das einen ähnlichen Tonumfang hat und ähnlich funktioniert, aber deutlich lauter ist.
Viele Saxofonisten spielen auch Klarinette. Wie ähnlich sind sich die beiden Instrumente?
Die Grifftechnik ist ähnlich, die Klarinette ist in der Theorie aber etwas anspruchsvoller zu spielen. Darüber hinaus transponiert sie auch anders, wenn sie überblasen wird. Ich habe mich allerdings nie wirklich damit beschäftigt, da ich immer nur Tenorsaxofon spielen wollte.
In der Klassik wurde das Saxofon nie ganz heimisch, obwohl Berlioz und Ravel es eingesetzt haben. Dafür eroberte es sich eine andere Musikwelt und wurde zum Jazz-Instrument schlechthin.
Das fing in den 1920er Jahren mit großen Pionieren des Jazz-Saxofonspiels wie Coleman Hawkins an. Im Übrigen ist das ein Stil, der mich seit früher Kindheit fasziniert und begleitet. Mein Vater, der Jahrgang 1911 war, hörte keine Marschmusik oder ähnliches. Stattdessen hatte er LPs von Sydney Bechet und Coleman Hawkins im Plattenschrank stehen. Ich war vollkommen begeistert und musste einfach mehr darüber erfahren. Was ist das für ein Instrument? Wie nennt man diese Musik? Ach, Jazz? Geil!
Das bedeutet, dass Sie schon als Kind von diesen frühen Saxofon-Legenden geprägt wurden.
Ich stehe bis heute auf diesen frühen Sound, mein Lieblingssaxofonist war und ist Lester Young. Er vertritt eine musikalische Richtung, die heute an deutschen Musikhochschulen vernachlässigt wird. Seine Tonbildung, seine Lyrik, die Art und Weise, wie er Akkorde ausspielte, all das ist großartig. Er war ein wirklich außergewöhnlicher Musiker. Mit Lester Young fing alles an. Nun ja, nicht ganz. (lacht) Da gab es nämlich noch Coleman Hawkins, der mit seinem fetten Sound das Tenorsaxofon in den 1920er Jahren als Jazz-Instrument etabliert hat. Ein Wahnsinnsmusiker. Das ist auch die Zeit, in der sich das „Duke Ellington Orchestra“ in seiner Urformation zusammengefunden hat. Und dann gibt es natürlich noch Satchmo, wir dürfen Louis Armstrong nicht vergessen! Aber auch Soul-Saxofonisten wie King Curtis und Junior Walker haben mich geprägt. Und natürlich habe ich auch viel John Coltrane gehört.
Es ist die Zeit, in der die Jazzorchester immer größer werden, Jazz und Tanzmusik synonym verstanden werden und das Saxofon den Vorteil hat, sich gut durchsetzen zu können.
Ich kann einfach lauter als jede Geige! (lacht)
Spielen Sie vor allem auf dem Tenorsaxofon?
Ich habe noch ein gebogenes Sopransaxofon, aber das habe ich ein Jahr nicht mehr gespielt. Das Tenorsaxofon ist mein Instrument. Früherhabe ich auchviel Baritonsaxofon gespielt, irgendwann aber einfach keine Lust mehr gehabt, dieses schwere Ding durch die Gegend zu schleppen.
Der frühe Jazz ist Ihre Inspiration. Musikalisch sind Sie aber viel breiter aufgestellt. Sie spielen in unglaublich vielen Projekten und mit unterschiedlichen Künstlern.
Für mich ist klar: Jede Musik ist gut, wenn sie gut gespielt wird! Es gibt bei weitem nicht nur Jazz. Ich stehe auch auf Punk-Bands. Die Sex Pistols, um nur ein Beispiel zu nennen, sind genial! Wobei die Sex Pistols nicht wirklich gut spielen konnten. Deswegen sollte ich vielleicht lieber sagen: Jede Musik, die authentische Gefühle transportiert, ist gute Musik. Emotionen sind mir wichtig. Deswegen fand ich die Sex Pistols eine Hammer-Band. Sie waren hochemotional, obwohl sie keine virtuosen Musiker waren. Aber das, was sie wollten und bewegte, brachten sie authentisch rüber! Man muss Musik auch immer in ihrem historisch-soziologischen Kontext betrachten.
Was bedeutet für Sie authentisch? Was versuchen Sie mit dem Instrument rüberzubringen?
Authentisch sind Musiker, die ihr Instrument mit dem Klang ihres Herzens spielen. Als ich ungefähr fünfzehn Jahre alt war, hörte ich nachts zum ersten Mal auf BFBS „Led Zeppelin“. „Squeeze me, babe, till the juice runs down my leg…“ – das war „The Lemon Song“ und definitiv etwas anderes, als das, was Peter Alexander und Roy Black im sedativen deutschen TV sangen. Ich hatte damals noch keine Ahnung von Sex, aber mir war klar, dass diese Musik unbedingt etwas damit zu tun haben musste!
Später erweiterte ich mit Freunden meinen musikalischen Horizont und entdeckte Howling Wolf, Muddy Waters, John Lee Hooker, Ray Charles, Buddy Guy, Etta James, James Brown, Aretha Franklin und viele andere. Was mich an ihnen faszinierte, war die Authentizität ihrer Musik. So wollte ich auch Musik machen
.Das Saxofon ist ein Instrument, das eine ungeheure Palette an Ausdrucksformen hat – vom zärtlichen Säuseln bis hin zum spitzen Kreischen… Ist das auch etwas, was Sie fasziniert hat?
Sagen wir es so: Ein Pianist ist gezwungen, hinter seinem Instrument zu sitzen, das hat etwas Statisches. Ein Gitarrist ist immerhin mit seinem Instrument mobil. Der Saxofonist hat darüber hinaus abernochviele andere körperliche Ausdrucksmöglichkeiten, die z.B. mit dem Atem zu tun haben. Das hat mich enorm angezogen und vielleicht damit zu tun, dass ich einen Sprachfehler habe: Ich stottere. Durch das Saxofon habe ich zu einer besseren Atemtechnik gefunden. Deswegen ist die Musik sicher auch eine Form der Selbsttherapie für mich.
Wann begannen Sie, auf dem Saxofon zu spielen?
Im Alter von 20 Jahren……
so spät?
Das ist spät, aber beim Saxofon geht das gerade noch so. Es war damals aber auch nicht die beste Zeit, um ein Instrument zu lernen, ganz anders als heute, wo es sehr viel mehr musikdidaktische Angebote gibt.
Und wo begannen Sie?
In Köln gab es damals ganz neu einen Studiengang für Popularmusik und Jazz. Anfang der Achtzigerjahre fing das alles erst an, und Köln hatte eine Vorreiterrolle in Deutschland. Für mich war es der Beginn eines langen, harten Weges. Man muss sich reinhängen. Üben hilft! Und das tue ich bis heute, jeden Tag… gerade eben noch, bevor wir angefangen haben, miteinander zu sprechen.
Heute gibt es ein breites Angebot für Jazzstudenten.
In der Tat. Jedes Jahr wird ein ganzer Jahrgang professioneller Musiker von den Hochschulen auf den Markt gespuckt. Die stehen dann vor dem Dilemma: Saxofon spielen kann ich, aber was fange ich jetzt damit an?
Das ist eine wiederkehrende Klage: Der Staat habe ein hervorragendes Netz an Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen, heißt es. Eine durchdachte Förderung der Jazz-Szene, in der die ganzen Musiker arbeiten könnten, die aus den Hochschulen kommen, fände aber nicht statt.
Das stimmt auch. Man sieht es am besten im direkten Vergleich mit der Klassik. Der Bruder einer Freundin ist professioneller Cellist in einem renommierten Orchester. Er und seine Kollegen erhielten über die gesamte Corona-Zeit zu einhundert Prozent Kurzarbeitsgeld. Sie wurden einfach weiter bezahlt. Währenddessen mussten frei arbeitenden Musiker wie ich viele Anträge stellen, um irgendwie überleben zu können.
Bei den Musikern in den Bigbands der Rundfunkanstalten dürfte es aber doch anders ausgesehen haben.
Die bekommen als angestellte Musiker feste Gehälter. Bei uns Freien war das vollkommen anders. Als im Frühjahr 2020 die Corona-Krise über uns kam, hatten wir alle von einem Tag auf den anderen nichts mehr zu tun, wir waren ohne Einkommen. Was macht man in einer solchen Situation? Also habe ich beschlossen, mich noch einmal intensiv ums Instrument zu kümmern. So bin ich jeden Tag ins Biesterfeld gefahren und habe auf einer Parkbank geübt und gespielt. Auf dieser Parkbank sind mir viele musikalische Ideen gekommen. Es war, als wäre eine Schleuse aufgegangen.
Als mich dann auch noch die Frau verlassen hat, habe ich mir gesagt: Jetzt musst du irgendetwas tun, sonst wirst du rotweinabhängig oder verrückt oder beides … (lacht). Ich habe mir ein digitales Aufnahmegerät gekauft und alle Ideen, die ich auf der Parkbank entwickelt habe, aufgenommen. All das habe ich zu Hause sortiert, geschnitten und überarbeitet. So sind die ersten Demo-Aufnahmen zu unserem neuen Album entstanden. Eigentlich als eine Art Selbstbehauptungsreflex auf die Corona-Krise, aber auch aus dem Wunsch heraus, etwas Neues zu schaffen. Ich habe endlich wiederdie Musik kreiert, die mir selbst am meisten Spaß macht. Und die hat zum Glück auch meiner Band gefallen. Wir haben die Titel arrangiert, sind ins Aufnahmestudio gegangen und haben damit „Analogue Souls“ aufgenommen.
Mit dem Programm des Albums kommen Sie und Ihre Band auch zur Hürther Jazznacht. Was erwartet das Publikum, analoge Musik, die in den Seelen der Zuhörer etwas zum Schwingen bringen möchte?
Ein paar Jazz-Standards sind im Programm, ein wenig Neo-Soul, sonst aber vor allem Nummern, die für „Analogue Souls“ entstanden sind. Ich singe übrigens auch auf dem Album, das wir komplett analog mit einer Telefunken-Bandmaschine von 1973 aufgenommen und mit zwei Senkelmaschinen von Telefunken gemastert haben – analoger kann man Musik nicht aufnehmen. Total Old School!
Dazu passt, dass das Album nur als LP erhältlich ist.
Ich habe viele Jahre in meiner Electric-Lounge-Formation „floorJIVERS“ gespielt, mit der ich auch drei Alben herausgebracht habe. Die sind allesamt digital produziert. Irgendwann hatte ich aber das Bedürfnis, wieder mit einem richtigen Schlagzeuger zu arbeiten, mit einem Kontrabass, und einemPianisten… Genau das habe ich mit „Analogue Souls“ getan. Selbst das Wurlitzer-E-Piano und die Hammond-B3-Orgel, die den Sound des Albums prägen, sind ja eigentlich analoge Klangerzeuger. Für das Album haben wir großartige Presserezensionen bekommen. Im offiziellen Handel ist es nahezu vergriffen. Wer Interesse hat, kann jedoch über unsere Webseite delbruegge-band.de/shop noch die letzten Exemplare erhalten. Für die Hüter des heiligen deutschen Jazz-Grals ist unsere Musik aber wohl schon zu sehr Pop, sonst würden wir vielleicht auch auf dem einen oder anderen Jazzfestival mehr spielen. Umso mehr freuen wir uns auf die Hürther Jazznacht.
Gilt das in der deutschen Kulturszene nicht allgemein? Alles, was Spaß macht, ist per se verdächtig.(Lacht laut) Ja, genau. Und ich wollte immer Spaß haben beim Musikmachen. Leider gibt es in Deutschland eine furchtbare Intellektualisierung der Jazzmusik.
Mit anderen Worten: Die Leute, die kommen, um Sie auf der Jazznacht zu hören, dürfen hemmungslos Spaß haben?
Ja, wir liefern ihnen schöne Melodien und coole Grooves! Wir haben Spaß beim Spielen und lassen unser Publikum daran Teil haben!
Herr Delbrügge, vielen Dank für das Gespräch!