Movimento II
Musikalische Radtour an der Erft
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Vera Drewke (Movimento), Michael Zerban (Globe)
Radtour mit Musik, Kunst und Natur
Der Trompeter Matthias Schriefl betonte Im September auf dem New Colours Festival in Gelsenkirchen, dass wir Petrus danken sollten, wir sollten ihm im voraus danken, damit das Wetter zum Konzert dann gut sei. Offensichtlich hatten die Initiatoren der Fahrradkonzerte an der Erft dies bedacht. Am Sonntag dem 25. September schien die Sonne, es war ein wunderschöner Spätsommertag. Am Tag vorher war es grau und regnerisch, am Tag nachher war von morgens bis abends Dauerregen.
Das Wetter ist natürlich ein wichtiger Faktor, wenn sich ca. 150 Fahrradfahrer*innen auf eine musikalische Radtour begeben, die 26 km lang meist durch die grüne Flusslandschaft der Erft zu kleinen Musikkonzerten führt. Sechs Konzerte, die an ausgesucht schönen Orten im niederrheinischen Erftkreis stattfanden. So genossen die Teilnehmer*innen nicht nur die Musik, sonder auch die Niederrheinlandschaft und kleine Perlen der Architektur und Kunst.
Ein echtes Gesamtkunstwerk. Das oben schon erwähnte New Colours Festival hatte einen ähnlichen Ansatz, die Konzerte fanden an besonderen Orten in Gelsenkirchen statt, so hörte man nicht nur spannende Musik, sondern lernte auch Baudenkmäler und Kunstateliers kennen. Das Konzept von Movimento ging noch einen Schritt weiter und führt das Publikum durch eine Flusslandschaft zu den Orten der Kultur.
Dies war die 2. Radtour, Movimento I führte 14 Tage vorher von Schloß Benrath aus am Rhein entlang.
Ausgangspunkt von Movimento II war Grevenbroich und die Zehntscheune Elsen. Im sonnenbeschienen Hof wurden die Eintrittskarten gegen Badges eingetauscht und es gab Gelegenheit einen Kaffee zu trinken. Im inneren der Zehntscheune erwartete die Teilnehmer*innen mit dem ersten Konzert gleich ein Höhepunkt der Tour. Das junge Ensemble Cembaless forderte mit temperamentvoller Musik der Renaissance und des Barock auf Laute, Viola da Gamba, Blockflöten, Trommel und mit Gesang das Publikum auf das Leben zu genießen, da es nun mal vergänglich sei, wie es das Lied Passcalia della vita von Stefano Landi ausdrückt. Aber das Besondere am Ensemble Cembaless war der ungewöhnliche Einsatz von unterschiedlichen Trommeln aus Persien und Portugal. Der Kölner Percussionist mit iranischen Wurzeln Syavash Rastani ist Teil des Ensembles Cembaless. Syavash Rastani, der in verschiedenen Kölner Bands in unterschiedlichen Genres spielt, ist ein virtuoser Percussionist. Ich habe ihn 2019 im Kölner Loft mit dem Sitarspieler Hindol Deb und seinem Programm Medieval Raga kennen gelernt.
Neben seinem gefühlvollen Einsatz der persischen Tombuk oder von Rahmentrommeln in der alten Musik, spielte er auch ein längeres Solostück persischer Sufimusik auf der großen Rahmentrommel, das die Zuhörer*innen in die Welt der tanzenden Derwische entführte.
So brillierte das Ensemble Cembaless nicht nur mit mitreißender alter Musik, sondern bot auch einen gelungenen Dialog unterschiedlicher Kulturen. Mit solch einem Einstieg waren alle Teilnehmer*innen bestens motiviert für die weitere Tour. Die Wegstrecke war hervorragend gekennzeichnet, ein Navi wurde hier nicht gebraucht.
Auch die nächste Musik in der Villa Erckens im Stadtpark Grevenbroich bot eine große stilistische Bandbreite. Das junge Düsseldorfer Hornquartett, bei dem das Waldhorn zu seiner Ehre kam,spielte neben alte Musik auch neues Jazziges.
Am nächsten Konzertort in Wevlinghoven gab es gleich zwei kleine Konzerte. Das preisgekrönte A-Capella-Ensemble Quartonal sang im Martinus Forum selbst arrangierte Lieder, von altem Volksliedern bis zu modernen Popsongs, wie George Michaels Faith. In der Martinus Kirche gab es ein Konzert mit ungewöhnlicher Besetzung, Orgel und Saxophon. Musik zeitgenössischer Komponisten, die das Publikum in verschiedene Länder führte, mit André Caplet nach Frankreich, mit Robert Jones nach Wales oder mit Denis Bedard nach Kanada. Für das leibliche Wohl sorgte ein Foodtruck im Hof des Martinus Forums. Die nächste Station der Tour war nicht der Musik sondern der Kunst gewidmet, die Museumsinsel Hombroich.
Nach Kunst und Natur in Hombroich gab es ein fantastisches Konzert in St. Pauls in Weckhoven. Der Kirchenraum aus aufgefaltetem Beton allein wäre ein Besuch wert gewesen. Viviana Chassot bespielte diesen Raum mit Musik von Bach auf ihrem Akkordeon. Dies war ein weiteres Highlight der Tour. Das Akkordeon ist für Viviane Chassot ein Tasteninstrument mit einem Balg und dieser Balg stehe für Luft und Atem. So gehe sie an die Musik von Bach heran. Ihre Bachinterpretationen waren schier großartig. In jedem Werk arbeitete sie bestimmte Aspekte heraus. In zwei Sätzen aus dem Italienischen Konzert lag bei dem Allegro Satz, der feine Wechsel der Melodiestimmen im Mittelpunkt und der Andante Satz, erinnerte sie an das Pochen des Herzens.
Im Schloss Reuchenberg erlebte das Publikum dann rein elektronische Musik auf einem Theremin gespielt. Da das Instrument nicht berührt wird, sondern durch Eingriffe in das elektromagnetische Feld funktioniert, wirkt das Spiel wie von Geisterhand.
Die Abschlussveranstaltung im Neusser Hafen in der Bazzar Café Eventhalle in mitten von historischen Kaffeemaschinen war ein Solidaritätskonzert für die Ukraine, ein Statement für den Frieden. Für dieses Abschlusskonzert entwickelten Musiker*innen aus der Ukraine gemeinsam mit Mitglieder*innen der Deutsschen Kammerakademie Neuss am Rhein ein Programm, das die Vielfalt der ukrainischen Musik in den Mittelpunkt stellte. Ein schöner Abschluss eines erfüllten Tages voller schöner Eindrücke von Musik, Kunst und Natur.
Neuer Veranstaltungsort: Shakespeare Theater Globe in Neuss
Die musikalische Radtouren Movimento fanden im Rahmen des Festival Alte Musik Knechtsteden statt. Aber diese Touren, deren Konzerte weit über den Bereich der Alten Musik hinausgingen, waren nicht das einzige neue Format. Die musikalischen Fahrradtouren fanden nun zum zweiten Mal statt. Dieses Jahr zum ersten Mal wurde das Globe, der Nachbau des Shakespeare Theaters in Neuss, in das Festival mit einbezogen. Unter dem Titel Globe Baroque wurde die Serenata Il giardino d´amore, eine Art Taschenoper, mit einer kleinen dramatischen Szene aus der Mythologie, von Alessandro Scarlatti (1660-1725) aufgeführt. Ein Spiel um die Liebe von Venus und Adonis, bei der die Natur, der Wald, die Bäche, die Luft und die Vögel zu Zeugen der Sehnsucht angerufen wurde. Erst als die Liebenden zueinander fanden erwachte die Natur und wurde zu einem Garten der Liebe – Giardino d´amore. Die Serenata ist für Sopran- und Altstimme, Trompete, Sopranino-Blockflöte, Streicher und Basso continuo instrumentiert. Die italienische Sopranistin Roberta Mameli spielt den Adonis und der catalanische Countertenor Xavier Sabata spielt die Venus, eine Cross Gender Besetzung, die getragen hat. Die musikalische Leitung lag bei Dorothee Oberlinger, die das von ihr gegründete Kölner Ensemble 1700 leitete und die Blockflötenpartien meisterhaft spielte. Auch ihr Ensemble mit dem Konzertmeister Jonas Zschenderlein zeigte eine großartige Leistung.
Der strahlende Star des Abends war die Sängerin Roberta Mameli, die nicht nur mit ihrem Gesang bestach, sondern eine großartige Bühnenpräsenz mit ihren Bewegungen und Gebärden zeigte. Die Gebärdenkunst war neben der Musik ein wichtiger Teil der Aufführung. Regisseur Nils Niemann hat mit Dorothee Oberlinger speziell die Gebärden der Sängerin und des Sängers nach den Regeln der barocken Gestik einstudiert.
Es bleibt zu wünschen, dass nach dieser überwältigenden Aufführung, die das Publikum mit tosendem Applaus belohnte, auch nächstes Jahr das Format Globe Baroque wieder einen Platz im Festival hat.
Verborgene Wirklichkeiten
Neben diesen beiden neuen Formaten, bildeten die Konzerte in der Klosterbasilika natürlich den Mittelpunkt des Festival Alte Musik Knechtsteden, dieses Jahr unter dem Motto:Verborgene Wirklichkeiten. Ein Beispiel sei das Konzert Händel in Rom, eins von elf Konzerten.
Als Alessandro Scarlatti sich auf dem Höhepunkt seiner Berühmtheit befand, besuchte 1706 der 21jährige Händel Rom. Sein musikalischer Wettstreit mit Sarlatti machte ihn auf einenSchlag berühmt. Der Wettbewerb ging unentschieden aus, Scarlatti siegte am Cembalo und Händel an der Orgel. Es war eine gute Idee die beiden Musiker auf einem Konzert wieder zusammenzuführen. Das Konzert begann mit Alessandro Scarlattis Messa di S. Cecilia, der Schutzpatronin der Musik gewidmet und endete mit Händels Dixit Dominus (HMW 232). Dazwischen wurde Agostino Steffanis (1554-1728) Stabat Mater gespielt. Etwas aus der Jahreszeit gefallen, Passionsmusik im September. Das Kriterium für die Auswahl war historischer Natur. Das Werk wurde in der Zeit komponiert, als Händel sich in Rom befand. Die Rheinische Kantorei und Das kleine Konzert unter Leitung von Edzard Burchardssetzten Musik hervorragend um.
Das Festival Alter Musik Knechtsteden hat auch nach Jahrzehnten seines Bestehens nichts von seiner Strahlkraft eingebüsst. Die neuen Formate stehen dem Festival ebenso gut, wie die kleinen Ausflüge in neuere musikalische Genres, die das Festival bereichern ohne sein zentrales Anliegen zu verwässern.