"Meine Inspiration kommt aus vielen Ecken!"
Interview mit dem Bassisten Moritz Götzen
TEXT: Uwe Bräutigam |
Das Moritz Götzen Trio spielte ein denkwürdiges Konzert beim New Colours Festival 2022. Erweitert um den Cellisten Veit Steinmann hat das Trio soeben das neue Album “Liliths Kirche“ veröffentlicht. Das war ein guter Grund, den Bandleader und Bassisten Moritz Götzen in die Sendung “Jazz and beyond“ auf Radio 674fm mit Uwe Bräutigam einzuladen und mit ihm über sein Trio, seine musikalischen Einflüsse und das neue Album zu sprechen.
Hallo Moritz, schön, dass du zu uns in die Sendung gekommen bist. Du spielst in deinem Moritz Götzen Trio mit Julia Brüssel an der Geige, die wir aus der Band Hilde kennen, und mit Jonas Hemmersbach an der E-Gitarre, dessen Musik auch schon bei Jazz and beyond lief. Woher kennt ihr euch?
Jonas kenne ich von einer Session in Arnheim. Ich habe zwei Jahre in Enschede in den Niederlanden studiert und habe auch mit einigen Bands aus der Region gespielt. Dann hatten wir im Club Stella by Starlight in Arnheim eine Session eröffnet und dort haben wir uns kennengelernt. Eineinhalb Jahre später hat er mich angerufen und gefragt, ob wir nicht miteinander jammen wollen. Dann habe ich Gigs in seiner Band gespielt und so hat es sich dann ergeben.
Du spielst ja auch fest in der Jonas Hemmersbach Band Kontrabass.
Ja, auch mit Jonas Hemmersbach haben wir vor kurzem ein Album veröffentlicht.
Und wie hast du Julia Brüssel kennengelernt?
Ich bin schon seit langer Zeit ein großer Fan von Jazz Geige, aber gleichzeitig sehr picky bei den GeigerInnen, die ich gut finde. Habe immer schon Ausschau gehalten nach guten GeigerInnen, mit denen wir mal zusammenarbeiten könnten. Und dann hat Julia auf der Abschlussprüfung eines Kollegen von mir, dem Posaunisten Moritz Anthes, gespielt, auf der ich auch dabei war. Dort haben wir uns unterhalten und ich habe sie zum Jammen eingeladen. Der Rest ist Geschichte.
Das Album “Liliths Kirche“ kommt am 10.11. heraus, aber ihr habt schon ein Schmankerl als Single herausgebracht.
Ganz im Sinne des modernen Zeitgeists haben wir am 13.10. das Stück “Aquarius“ herausgebracht. Das habe ich für eine Freundin geschrieben. Wenn ich Stücke schreibe, dann habe ich manchmal die spontane Idee, dass es für diese oder jene Person gut passen könnte und mache mir aber gar keine großen Gedanken darüber. Wenn ich dann vielleicht ein Jahr später etwas genauer analysiere stelle ich oft fest, dass es aus diesem oder jenem Grund zu der Person passt. “Aquarius“ ist für eine sehr lebendige Person geschrieben, bei der man nie weiß, was ihre nächste Reaktion ist.
Du hast “Aquarius“ selbst geschrieben, schreibst du alle Stücke für euer Trio?
Ich bin der Einzige, der für die Band komponiert. Wir spielen aber auch ab und zu Stücke von anderen KomponistenInnen.
Wie läuft das ab? Du schreibst etwas und alle spielen es dann oder gibst du ein paar Ideen vor und alle arbeiten dann gemeinsam daran?
Das kommt darauf an, wie konkret meine eigene Vorstellung davon ist, wie das Stück klingen soll. Manchmal habe ich eine genaue Idee, wie der Sound sein soll, dann wird das Stück zumindest so geprobt. Manchmal schreibe ich auch Stücke, wo ich mir noch nicht sicher bin, wie es in die Klangfarbe der Band umgesetzt werden kann. Dann arbeiten wir zusammen daran und probieren unterschiedliche Sachen aus. Ich habe es am liebsten, dass jedes Mal, wenn ein Stück live gespielt wird, es eine andere Geschichte ist und wenn die Band so viele Optionen offen hat, dass man je nach Situation in andere Richtungen gehen kann. Wenn wir ein Stück in bestimmter Weise geprobt haben, heißt das noch nicht, dass es auch live oder im Studio so abläuft. Das finde ich eine sehr schöne Arbeitsweise.
Ein weiteres Stück aus dem neuen Album heißt Melrosa. Was verbirgt sich dahinter?
Das habe ich auch für eine Freundin geschrieben und Melrosa war ihr Spitzname. Eigentlich ist es eine der wenigen noch existierenden deutschen Apfelsorten. Diese Freundin singt im Chor und hat mich zu einem Chorkonzert eingeladen. Ein Melodiefragment eines Vokalstückes ist mir im Kopf geblieben, ich habe es zu Hause aufgeschrieben und herumprobiert, was man damit machen kann. Das Stück “Melrosa“ ist das, was dabei herausgekommen ist.
Moritz, was sind deine musikalischen Inspirationsquellen?
Die kommen tatsächlich aus sehr vielen Ecken. Aufgewachsen bin ich mit Punk und Rock. Ich habe mit E-Bass angefangen und von Rage Against The Machine, Incubus, Red Hot Chillie Peppers usw. Inspiration bezogen. Bin aber durch Klavierunterricht mit klassischer Musik in Berührung gekommen. Über meine Eltern habe 70th Rock kennengelernt. Irgendwann habe ich aufgehört nach Stilistik zu unterscheiden, sondern nur noch nach guter und schlechter Musik. Ich ziehe sehr viel aus Folklore und aus klassischen Komponisten, die wiederum Volksmusik aufgreifen, z.B. Schostakowitsch mag ich sehr gerne. Ich singe in einem Kirchenchor und so kommt aus alter Musik viel Einfluss. Natürlich kommt auch viel von den alten Jazzgrößen, die ich auch durch das Studium kennenlernte. Ich habe sehr viel skandinavischen Jazz gehört. Meine Inspiration kommt also aus sehr vielen Ecken. Bei den Bassisten habe ich besonders die mit Verbindungen zu Europa gehört, wie George Mraz oder Miroslav Vitus, die auch aus dem klassischen Kontext kommen und dann als Quereinsteiger in den Jazz kamen. Aber ich habe auch viele der amerikanischen Old School Leute gehört.
Also einen breiten Background, es ist mittlerweile bei vielen, besonders jungen Bands so, dass nicht nur das Great American Songbook da ist, sondern viele weitere Einflüsse wichtig sind.
Ich glaube es ist so, dass man seinen eigenen Hintergrund in dieses Jazz Etikett packt, in dem man die eigenen Klangvorstellungen in die Improvisation überführt. Das ist etwas, was die Szene lebendig und irgendwie frisch hält.
Das neue Album trägt den Titel “Liliths Kirche“, welche Bedeutung steckt dahinter, ist das ein Ort oder eine Frau? Er hört sich sehr geheimnisvoll an.
Lilith ist mythologisch die erste Frau von Adam, die aus dem Paradies verbannt wurde, weil sie sich nicht unterordnen wollte. Ich habe einen Aufsatz über Astrologie gelesen, da ging es um die Bedeutung von Lilith in der Astrologie. Lilith ist die Gegenkraft zum Mond, der für zu Hause und für Geborgenheit steht. Lilith steht für den Drang, sich freizumachen und nach Draußen zu gehen. Ich fand das eine schöne Beschreibung meiner Musik oder auch meines Lebensweges. Die Verbindung des größtmöglichen Rahmens an Komfort und Sicherheit mit der größtmöglichen Möglichkeit sich zu entfalten und zu entwickeln. Und für mich ist “Liliths Kirche“ ein schöner Raum, wo man sich gut aus dem Fenster lehnen kann, aus einem Gefühl von Geborgenheit heraus.
Das letzte Stück des Albums trägt den Titel “Der Wendepunkt“.
Das Stück ist entstanden als Musik für ein Theaterstück. “Der Wendepunkt“ ist der Titel der Autobiografie von Klaus Mann, eines der Thomas Mann Kinder. Der im1. Weltkrieg aufgewachsen ist, aber die Entwicklung bis zum 2. Weltkrieg miterlebt hat. Dann ins Exil in die USA gegangen ist und seine Autobiografie noch im Exil geschrieben hat. Maria Trautmann , die auch bei Hilde spielt, hat daraus einen Monolog geschrieben. Den wir im Theater Rottstraße in Bochum immer noch spielen. “Der Wendepunkt“ ist das Titelstück, was ich dazu geschrieben habe. Ich kann auch allen nur das Buch von Klaus Mann wärmstens ans Herz legen, weil es sehr gut beschreibt, wie schnell, auf welchen Bahnen und in welchem Kontext eine Demokratie kippen kann. Je länger wir dieses Stück spielen desto aktueller wird es, leider.
Zusätzlich macht ja noch Veit Steinmann mit. Erzähl mehr über diesen Musiker Veit Steinmann
Er ist ein absolut wichtiges Mitglied des Ensembles. Er ist auf vier von zehn Stücken zu hören und macht einen großartigen Job.
Damit seid ihr ja ein Streichquartett, wenn auch kein ganz klassisches, aber ein Jazz Streichquartett.
Ich könnte noch schauen, ob ich noch eine Bratsche finde, die sich noch einfügt. Dann schließt sich der Kreis. Moritz, vielen Dank, dass Du in die Sendung “Jazz and beyond“ hier auf Radio 674fm gekommen bist. Wir freuen uns auf das Album “Liliths Kirche“, das am 10.11. erscheint und auch auf allen Plattformen erhältlich sein wird. Besorgt euch das Album und unterstützt damit die Künstler.
Moritz Götzen Trio feat. Veit Steinmann
Lilith Kirche (timezone records)