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"Mehr Zeit fürs Wesentliche"

Im Gespräch mit Stefan Bauer

Recklinghausen, 07.01.2017
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

„Ich möchte mehr Zeit fürs wesentliche haben“, beschreibt der Vibraphonist Stefan Bauer sein aktuelles Lebensmotto zum 60. Geburtstag, den der gebürtige Recklinghäuser mit einem fulminanten Konzert in würdiger Weise beging. Es komme doch immer mehr aufs wesentliche an, je weiter man im Leben fortgeschritten ist und der Musikerberuf zeichnet sich nun mal durch einen zeitaufwändigen Alltag aus. Wesentlich ist für Stefan Bauer das Komponieren und die Pflege guter persönlicher Kontakte. Anfang der 1990er Jahre übersiedelte Stefan Bauer nach Amerika, lebte in Kanada und heute im New Yorker Stadtteil Brooklyn, wo viele Musiker aus aller Welt ihren Lebensmittelpunkt haben. So sehr er sich in den USA an der Quelle des Jazz heimisch fühlt, so sehr fühlt er sich künstlerisch immer noch als Europäer, bekundete er in einem tiefgehenden Gespräch nach dem Auftritt in der Altstadtschmiede.

Wie ist Deine aktuelle Verfassung?

Ich habe keine Lust mehr, Zeit zu verplempern. Vieles rund um die Musik braucht extrem viel Zeit. Musik ist vor allem Organisation. Und das Organisieren nimmt heute durch die social Media noch viel mehr Raum ein. Es wird erwartet, dass alle Sachen auf Facebook stehen. Die Leute und ich selbst inclusive verlassen sich drauf. Aber dies zu pflegen kostet tierisch viel Zeit. In New York gibt es mittlerweile Clubs, da musst du dich erst umständlich anmelden bevor Du überhaupt fragen kannst, ob Du da spielen darfst. Also musst du nachweisen, dass du Mitglied von irgendeinem Social Media bist, welches der Veranstalter vorgibt. Das hat einen eindeutig kommerziellen Hintergrund. Infolge all dieser Dinge bleibt viel zu wenig Zeit für persömliche Kontakte und soziales Engagement. Und dann braucht ja auch noch die Musik selber sehr viel Zeit. Mit Eintritt ins siebte Lebensjahrzehnt werde ich etwas hektisch.

Erzähl mir was über die Vorgeschichte zu diesem Konzert heute. Mein Eindruck ist immer, dass ihr viel etabliertes Jazzvokabular heranzieht, dies aber als Sprache nutzt, um eigenständig abzuheben.

Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben. Was mir auffällt, ist, dass bei vielen Musikern gerade die ruhigen poetischen Stücke eine Herausforderung sind. Du hast schon Recht, es ist aus dem Mainstream abgeschöpftes Material. Aber die Formen sind verändert. Vieles, was harmlos klingt, ist im Kern viel komplexer mit den ganzen unregeläßigen Formen.

Wenn man sich in Details reinhört, offenbart sich immer mehr. Vor allem die melodische Erfindungskraft in deiner Band hat mich jetzt gerade begeistert.

Wenn man wirklich so hören kann, gibt es viel zu entdecken. Ich denke generell viel an mein Publikum. Hier in der Altstadtschmiede sitzen ja nicht nur absolute Jazz-Kenner. Ich mag auch komplexere Sachen, etwa in meiner Band Voyage. Dort spielen wir eine expandierte, schwierig zu spielende Musik. Es gibt indische Einflüsse, was natürlich durch die Sängerin geprägt ist, ebenso afrikanische Elemente. Ich bin für alles offen und auch schon viel herum gereist. Überall, wo ich hinkomme, versuche ich etwas mitzunehmen.


Wenn ich an deine verschiedenen Projekte denke, ist Dir ja wohl eine universelle Sprache sehr wichtig, um flexibel an unterschiedliche Musiker, Stile aber auch an verschieden gepoltes Publikum anzudocken ?

Das hat auf jeden Fall praktikable Gründe. Ich finde das legitim. Ich habe schon Veranstaltungen gesehen, da waren drei Leute und ich war einer davon. Das kann es auch nicht sein. Es kommt drauf an, im richtigen Zusammenhang präsent zu sein und dafür ein Gespür zu haben.

Hier geht es um Entdeckbarkeit und Vermittlung.

Ich bin kein Intellektueller, auch wenn Jazz damit behaftet ist. Ich fühle mich eher im positiven Sinne volksnah. Mir ist es ein Bedürfnis, Leute an die Hand zu nehmen. Ich möchte sie irgendwo abholen und eben nicht einfach mit Bekanntem zufrieden stellen. Es sollte darauf hinaus laufen, dass man sich an Plätzen angekommen fühlt, die einem bekannt vorkommen - aber dann passiert doch was neues, anderes! Das ist mein Anliegen. Vom Publikum wegspielen möchte ich auf keinen Fall. Diese Arroganz ist mir fremd.

Du bist als Spieler ja vor allem ein sehr intensiver Zuhörer, der den anderen Leuten Raum gibt.

Für mich ist es ein Dialog oder ein Trialog. Erst wenn Konversation entsteht, wird es richtig gut. Ehrlich gesagt gehe ich gar nicht gerne zu Solokonzerten. Ich kann mich noch so umwerfen lassen von faszinierender Technik und wahnsinnigen Ostinati. Das kann mich fünf Minuten lang fesseln aber nicht länger. Dann fehlt mir einfach die Kommunikation. Okay, vereinzelt gibt es diese transzendierenden Typen, die extrem viel Energie mit ihrem Publikum austauschen. Keith Jarrett ist so einer, aber unterm Strich finde ich es viel spannender, wenn ein Prozess zustande kommt. Etwa, dass da einer ein Argument liefert und der andere was dazu sagt.

Fühlst Du Dich künstlerisch nach wie vor als Europäer, obwohl Du in Nordamerika lebst?

Ja, auf jeden Fall. So sehr ich mich auch in den USA wohlfühle und viele Anregungen bekomme, so verkommt in den USA die Musik oft zu einer Art Wettbewerb. Da gibt es viele, die irrwitzig virtuos spielen, aber der Aspekt des Miteinander-Kommunizierens wird benachteiligt.

Verortest du da einen Bruch zwischen den Großtaten für den Jazz, die vornehmlich in Amerika geleistet wurden und der heutigen Gegenwart?

Keine Frage. Aber ich spreche von heute! Duke Ellington und alle anderen verkörpern das himmlische. Musikalische Entwicklung lebt wahrscheinlich in Wellenbewegungen. Mal gab es auf dem einen, und später auf dem anderen Kontinent eine kreative Hochphase. Ich bin aber auch überzeugt, dass das Umfeld immer eine große Rolle spielt. Denk doch heute an die Situation junger Musiker: Der Erdball wird bevölkert mit bis an die Zähne ausgebildeten jungen Jazzmusikern. Wo kommen die alle her und was wollen die? Die müssen doch überhaupt erstmal einen Kopfstand machen, um irgendwo angenommen zu werden. Das ist heute ganz anders als früher. Mc Coy Tyner hat gesagt, ich hätte problemlos in Philadelphia bleiben können, um dort mein Leben lang zu spielen. Der Jazz war an die Popmusik angeknüpft. Man hat einfach gespielt. Es wurde erwartet, dass man Standards kennt, so wie früher Bach und Konsorten Choräle kannten, die ihre Version davon spielen konnten. Sowas wurde einfach erwartet und Du hast dein Ding gespielt und

Du musstest nicht erst in einen scharfen Wettbewerb treten. Du konntest monatelang an einem Ort spielen. Jetzt ist das alles weg. Die Musik hat sich völlig abgekoppelt von irgendwelcher Populärkultur und ist zur reinen Kunst geworden.

Warum in den USA alle immer nur schneller, höher und weiter spielen wollen hat einen einfachen Grund: In den USA gibt es keine Unterstützung für Kunst. Das heißt, die Musik muss sich irgendwie anders durchsetzen. Dadurch hat sich alles so sehr auf einen virtuosen Aspekt verengt. Ich denke da vor allem an mein eigenes Instrument: Fast alle Vibrafonisten, die angesagt sind, spielen einfach nur schnell. Die meisten amerikanischen Spieler sind alle irrwitzig schnell. Ich finde das etwas langweilig. Ich fasse es als großes Kompliment auf, wenn du meine Qualitäten als zuhörend und raumgebend beschreibst. Ich gebe meinen Mitspielern gerne Futter - und dann kommt etwas zurück und jetzt nehme ich das wieder und gebe es Dir wieder zurück und jetzt verändern wir das wieder gemeinsam.

Also forderst Du die Absage vom instrumentalen Leistungssport!

Ganz genau. Von der Ecke hier bin ich sogar ein Traditionalist.

siehe auch Konzertreview unter

http://nrwjazz.net/jazzreports/2016/Stefan_Bauers_Organic_Earfood_in_der_Altstadtschmiede/

Fotos:

Stefan Bauers Bandprojekt Organic Earfood beim Konzert in der Alstadtschmiede

Stefan Bauer, vibes

Bernie Senenski, hammond organ

Bernd Gremm, drums

special guest:

Ingo Marmulla , guitar

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