Mehr Professionalität in der Selbstvermarktung
Interview mit Prof. Dr. Martin Lücke
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Prof. Dr. Martin Lücke (*1974) leitet an der ‚Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation’ zunächst in München, seit einem Jahr in Berlin die Studienrichtung Musikmanagement. Seit dem Wintersemester 2004/05 lehrte er an verschiedenen Universitäten und Hochschulen. Im ‚Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland’ betreute er als wissenschaftlicher Mitarbeiter das vielbeachtete Ausstellungsprojekt „Melodien für Millionen. Das Jahrhundert des Schlagers“. Vor seiner Zeit in Bonn war Lücke von 2003 – 2006 Dramaturg bei den Bochumer Symphonikern.
Der in Bochum und Berlin lebende Martin Lücke wurde 2003 im Fach Musikwissenschaft promoviert, das er neben den Bereichen Neuere Geschichte und Politikwissenschaft im Magisterstudium belegt hatte. Thema seiner Dissertation: „Jazz im Totalitarismus. Eine komparative Analyse des politisch motivierten Umgangs mit dem Gegenstand Jazz während des Nationalsozialismus und Stalinismus.“
Martin, du hörst gerne Jazz, Jazz ist auch Gegenstand deines wissenschaftlichen Interesses. Das hat man ja eher selten: diese Kombination aus wissenschaftlichem und musikalischem Interesse.
Die Jazz-Forschung ist zumindest in Deutschland immer noch sehr klein, es gibt eine, zwei Handvoll Personen, die sich damit auch intensiv beschäftigen. Die Jazz-Forschung ist immer noch im Wesentlichen amerikanisch geprägt. In Europa sind es dann noch die Engländer und die Franzosen zu nennen. In Deutschland gibt es quasi einen Lehrstuhl für Jazz an der Hochschule in Weimar für Jazz und Popularmusik mit Martin Pfleiderer, aber ansonsten ist noch Graz in Österreich zu nennen. Jazz ist eben bei uns immer noch Orchideenfach. Es wird von den traditionellen Musikwissenschaftlern auch immer noch nicht ganz so ernst genommen.
Selbst die Philosophie entdeckt im Augenblick den Jazz....
Ja, aber eben nicht die Musikwissenschaft. Das habe ich der Musikwissenschaft immer schon vorgeworfen: Sie lässt einfach viele Themen an sich vorbeiziehen. Viele Phänomene – so sagt die Musikwissenschaft – gehören angeblich nicht zu ihr. Ich halte das für fahrlässig.
Wir haben ja auch in NRW, wenn ich an Essen oder Köln denke, relativ viele Ausbildungsstätten für Musiker. Hier ist die Lage ja deutlich besser als im wissenschaftlichen Bereich.
Definitiv. Aber interessanterweise ist der wissenschaftliche Bereich nicht nachgezogen. An den Hochschulen, an denen Jazz vermittelt wird, wie z.B. in Essen an der Folkwang-Hochschule gibt es auf Seiten der Musikwissenschaftler niemanden, der sich explizit auch mit Jazz auseinandersetzt. Man merkt auch allein an den unterschiedlichen Gebäuden diese Trennung
Du hast ja in Essen auch regelmäßig einen Lehrauftrag. Du bist ja dann auch mit Jazzmusikern konfrontiert.
Ja, ich biete dort immer Kurse in Kulturmanagement an, u.a. auch Kurse zur Selbstvermarktung. Spannend dabei ist: Man sieht nie Schauspieler, nie Tänzer, hin und wieder verirrt sich mal ein klassischer Musiker, es sind hauptsächlich Designer und Jazzmusiker.
Haben die es besonders nötig?
Eigentlich haben es alle nötig. Vielleicht sind die Studenten im Jazz dahingehend schon ein bisschen schlauer.
Ich hätte genau das Gegenteil vermutet.
Nein, die sind interessanterweise definitiv schlauer, weil sie einfach viel schneller mitbekommen, wie schwierig die Lage ist. Neben der wirklich guten instrumentellen Ausbildung, dem Können, gehören zu einem wirklich guten Musiker zusätzlich andere Kompetenzen. Das hat einfach mit der Selbstvermarktung zu tun, mit dem Verständnis der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen drum herum. Viele Studenten, die Jazz studieren, wissen sehr früh, dass sie in eine Nische hinein studieren. Es wird auch von Professoren oft vermittelt, dass man sich darum kümmern muss. Das ist bei den klassischen Musikern nicht der Fall. Da heißt es immer noch: Üben, Üben, Üben, dann bekommt man auch eine Orchesterstelle.
Wir haben da leider nicht den Eindruck, dass Jazzmusiker ein Forum wie z.B. nrwjazz auch intensiv für ihre eigenen Interessen nutzen.
Das ist ein anderes Problem. Sicher ist ein Interesse am Thema Marketing und Selbstvermarktung vorhanden, man will ein paar Grundlagen mitbekommen. Es fehlt einfach die Kontinuität. Ein 2-Semesterwochen-Stunden-Kurs reicht einfach nicht aus. Ich versuche der Folkwang-Universität seit Jahren zu vermitteln, dass sie ein kontinuierliches Programm für alle Studiengänge benötigen, die sie haben. Man brauchte ein kontinuierliches Programm. Dann würde es sich auch mehr durchsetzen. Bis dahin wird es noch lange dauern. Es sind jetzt die ersten Absolventen, die das entsprechende Marketing-Programm an den Hochschulen mitgemacht haben. Die sind jetzt gerade so Mitte Zwanzig. Die sind vielleicht noch nicht auf dieses Medium wie nrwjazz aufmerksam geworden und suchen noch. Die muss man abholen. Man muss ihnen zeigen, was es für sie für Vorteile haben könnte.
Wenn man es konkreter herunterbricht: Was wird ihnen im Bereich von Selbstvermarktung vermittelt?
Bei dem, was vermittelt werden müsste, sehe ich verschiedene Felder: Es sind einmal der Aspekt Rahmenbedingungen. Wie funktioniert eigentlich Kultur? Wie funktioniert Kulturfinanzierung, Subventionierung etc.? Das ist der eine wichtige Bereich, der vielleicht eher theoretisch, aber eben fundamental ist. Weiter der Bereich Vermarktung, Selbstvermarktung: Was ist überhaupt Marketing? Was muss ich tun? Wie visualisiere ich mich, wie erreiche ich Aufmerksamkeit? Es gehört dazu der Bereich Recht in allen Facetten wie Urheberrecht, Steuerrecht bis hin zu Veranstaltungsrecht. Davor fürchten sich zwar viele nach dem Motto: „Ich bin doch Musiker, will mich nicht mit Recht und Zahlen auseinandersetzen.“ Das muss man aber, oder man leistet sich einen Manager. Das können sich natürlich die meisten nicht leisten. Das sind Kernkompetenzen, die ich haben muss. Es geht dabei gar nicht so sehr darum, dass ich alles immer perfekt selbst können muss. Ich muss zumindest wissen: Wo kann ich im Notfall nachschauen, wen kann ich fragen, wo kann ich hingehen, um mir diese Kompetenzen zu holen? Das ist vielleicht auch so ein Aspekt, was so ein Portal wie nrwjazz mittel- und langfristig bieten kann, eben eine Anlaufstelle, um solche Kompetenzen zu vermitteln z.B. in Workshops. Wer es an der Universität nicht geholt hat, der muss es sich später erarbeiten.
Da läufst du bei uns offene Türen ein, das ist genau unser Anspruch. Wir möchten mittelfristig Musikern in den genannten Kompetenzbereichen eine Plattform bieten, sich auszutauschen und sich weiterzuentwickeln und entsprechende Netzwerke aufzubauen.
Du lebst in Bochum und Berlin, Wie schätzt du generell die Jazzszene hier im Ruhrgebiet und in Berlin ein, gibt es da Parallelen oder Unterschiede?
Das Wichtigste für den Jazzmusiker ist die ICE-Verbindung zwischen Köln und Berlin, quer durchs Ruhrgebiet. NRW hat durch Folkwang in Essen und durch die Hochschule für Musik und Tanz in Köln eine starke Jazzausbildung. Die Möglichkeit, hier Jazz auf universitärem Niveau zu lernen, ist stark ausgeprägt. Ob die Auftrittsmöglichkeiten und die Förderung da mithalten können, ist die Frage. Die Frage, warum viele Musiker von hier wegziehen, kommt immer wieder auf. Sie haben hier ihre Ausbildung gemacht und landen in Berlin. Warum? Sie haben dort vermeintlich bessere Auftrittsmöglichkeiten oder bessere Möglichkeiten der Förderung als in NRW. Obwohl das in Berlin auch wirklich nicht rosig ist. Berlin hat eben zwei, drei renommierte Clubs, hat inzwischen zwei, drei renommierte Festivals: Die Berliner Jazztage im Herbst, ein neues Festival: X-Jazz, was sich jetzt auf die Fahne geschrieben hat, das größte Jazzfestival in Berlin zu sein, was sogar von der Besucherzahl stimmt. 2014 war die erste Veranstaltung mit 10.000 Besuchern, das sind 3.000 mehr als bei den Berliner Jazztagen. Hier legt man auch einen breiteren Jazzbegriff zugrunde. Die meisten Musiker können trotzdem davon nicht leben, jeden Abend auf der Bühne zu stehen. Dazu brauchen sie eine Vielzahl von anderen Tätigkeiten, als Lehrer, als Sideman in anderen Bands. Das ist natürlich auch etwas, was vermittelt werden muss. Also so sehr unterscheiden sich da diese beiden Szenen gar nicht. Berlin ist einfach hipper. In Berlin kann ich ein ganz anderes Publikum erreichen, ein internationales Publikum, das fehlt im Ruhrgebiet komplett.
Jazz sollte man ohnehin gar nicht so sehr regional fassen, obwohl es da bestimmt Eigenarten gibt. Wenn ich so z.B. an Jan Klare denke, dann habe ich schon das Gefühl, Jazz, der hierher kommt, hat schon einen rauen Charakter. Das finde ich sehr spannend. Es ist auch kein Wunder, dass der Thrash Metal in den 80er Jahren im Ruhrgebiet entstanden ist. Dieses Harte gehört hier ein bisschen zur Region, aber Berlin ist dem ja nicht sehr unähnlich. Ich erlebe dort denselben Menschenschlag. Ansonsten ist Jazz auch in Berlin ein Randphänomen genau wie hier. Das ist ein großes Problem. Man merkt auch hier im Ruhrgebiet: 2010 Kulturhauptstadt, man hat viel versucht, Jazzwerkruhr, Jazzplayseurope haben vom Land verhältnismäßig viel Förderung bekommen. Gerade mal vier Jahre nach der Kulturhauptstadt ist das alles mehr oder weniger wieder zusammengebrochen. Es gibt immer noch die Menschen und Initiativen, die da etwas tun, aber einen wirklichen kulturpolitischen Rückhalt sehe ich eigentlich nicht.
Woran liegt das?
Letztendlich muss man sich mal fragen: Wer vergibt die Gelder? Das sind Politiker. Kultur hat in Deutschland u.a. einen Bildungsauftrag und einen Repräsentationsauftrag. Das übernimmt im Moment gänzlich die klassische Musik, nicht die Popmusik, eben auch nicht die Jazzmusik, die ja letztlich auch zu den populären Musikrichtungen zählt. Das ist einfach ein Problem: Wie viel Geld steckt in der Klassik, wie viel im Jazz? Beim Jazz reden wir von Promille-Größen. Das ist einfach die Frage: Hören deswegen verhältnismäßig wenig Menschen Jazz, weil es so wenig Förderung gibt? Oder ist das Publikum einfach zu klein, und deswegen gibt es eine so geringe Förderung? Es bedingt sich gegenseitig. Aber eine Sichtbarkeit des Jazz über eine kleine verschworene Szene hinaus gibt es nicht. Anders als es bei den Orchestern der Fall ist, die in der Stadt präsent sind, allein dadurch, dass sie einen städtischen Charakter haben, indem sie eine städtische Institution sind. Wo ist Jazz institutionalisiert mit Ausnahme vielleicht der Big Band in Köln, die aber auch nur dort ist, weil der WDR diese finanziert oder wir sie über unsere Rundfunkgebühren finanzieren? Was würde passieren, würde es keine Gebühren, keinen WDR mehr geben? Würde es diese Band noch geben? Nein.
Was kann man deiner Meinung nach zumindest an der Akzeptanz des Jazz ändern? Wie kann man Jazz in der Breite attraktiver machen? Durch Förderung und Subventionierung der Spielstätten doch sicherlich nicht.
Nein, letztendlich ist immer die Frage: Wen wollen wir erreichen? Wollen wir ein Jazzpublikum erreichen, das sich für diese Musik interessiert? Oder wollen wir eine breite Bevölkerung erreichen? Bei letzterem muss Jazz dieses Image ablegen, das diese Musik umgibt, dieses oft elitäre Image von elitären, mittelalten, schwarz gekleideten linksorientierten Männern. Interessanterweise sind im Vorstand der Union deutscher Jazzmusiker inzwischen zwei Frauen.
...Neuausrichtung?
Es ist sehr wichtig, dass das Image sich ändert. Die Musik muss sich nicht ändern, sie ist, wie sie ist. Das sollen die Künstler auch genauso weitermachen. Die andere Seite: Wie wird das nach außen vermittelt? Vermittelt man das eben über „Wir sind elitär“ oder über „Seht her, tut gar nicht weh“. Ich glaube, eine Möglichkeit, diese Akzeptanz zu steigern, besteht darin, Jazz auch mit anderen Künsten zu mischen und mit anderen Aspekten auch ein wenig zu eventisieren – zumindest in bestimmten Bereichen. Wein – Jazz – gutes Essen, Jazz und Tanz, Jazz und Bildende Kunst - das sind alles Dinge, die man zusammendenken kann. Man muss dann eben daran arbeiten, das kann man nicht mit einem Fingerschnippen erledigen. Das erfordert langfristige Prozesse v.a. im Bereich vom Networking. Klar ist auch: Die Masse wird man damit nie erreichen.
Wir wissen auch: Mit der gerade charakterisierten traditionellen Zielgruppe wird der Jazz aussterben, wenn es nicht gelingt, die jüngere Generation zu gewinnen und durch einen Event-Rahmen und durch die Musik selber zu begeistern. Wenn das nicht gelingt, dann haben wir in vierzig Jahren keinen Jazz mehr in der Form, wie wir ihn kennen und schätzen.
Ja, man muss neue Wege gehen. Zum Beispiel ist Parov Stelar ist unheimlich erfolgreich. Parov Stelar ist ein österreichischer DJ, der macht Elektro-Swing, er nimmt Swing-Rhythmen und vermischt diese mit elektronischen Beats. Wenn er live auftritt, dann mit einem Bläser-Satz, Schlagzeug, Gitarre, Bass. Er selbst steht hinter dem DJ-Pult. Ich war letztens in Berlin bei einem Konzert mit meinen Studenten in der Arena, 8.000 Menschen, ausverkauft. Und alle tanzten – zu Swing! Wenn man denen sagen würde: „Hey, ihr hört gerade Jazz“ gäb’s unverständige Reaktionen, „Ich hör doch kein Jazz, ich hör gerade Parov Stelar.“ Es ist auch manchmal der Begriff, das Etikett ‚Jazz’, das viele abschreckt. Für viele ist Jazz gleich Free Jazz und negativ besetzt. Jazz ist ein Sammelbegriff. Genau wie bei meiner zweiten wissenschaftlichen Leidenschaft, dem Schlager. Schlager ist nicht Schlager, es gibt solchen und solchen Schlager. So ist es auch im Jazz. Das muss noch viel mehr vermittelt werden.
Das sehe ich genauso. Da müssen auch die Veranstalter dran arbeiten.
Dieses X-Jazz-Festival in Berlin funktioniert auch wegen der Orte. Die Veranstalter machen das nicht in den Clubs, die man normalerweise kennt. Sondern die haben in Berlin verschiedene Orte wie Kneipen, die relativ bekannt sind, sie sind relativ klein, umfassen bis zu 300 Leuten, System ist das größte, da passen 600 – 700 Leute rein. Die haben auch einen ganz weiten Jazz-Begriff. Damit locken die aber innerhalb von drei Tagen einen 5-stelligen Besucherkreis. Wir arbeiten jetzt auch mit denen zusammen für das Festival 2015, was im Mai stattfinden wird. Wir erarbeiten eine App für das Festival und einen Marketplace. Es gibt in Berlin bisher keine Jazz-App, selbst das Jazzinstitut in Darmstadt ist auf eine solche Idee noch nicht gekommen. Eine App, die fürs Festival da ist, die darüber hinaus 365 Tage im Jahr Informationen rund um diese Kunst vermittelt. Kostenlos. Nur mit einem kostenlosen Angebot komme ich an die Interessierten. Dafür muss es natürlich einen Investor geben. Ich bin gespannt, im Mai soll die App fertig sein.
Zum Stichwort Professionalität: Es sind alles liebe, erfahrene Männer, die das Festival machen, eine Frau ist dabei. Es ist aus einer Laune heraus entstanden. In ihrem eigenen Bereich jeweils kennen sie sich gut aus. Das hat aber noch nicht mit einer Professionalität zu tun, die man aus dem Klassik-Bereich kennt. Das ist immer noch so ein bisschen unverbindlich, das ist manchmal sehr problematisch. Da kann man noch sehr viel tun.
Abschließend noch eine persönliche Frage: Wie bist du auf „Jazz im Totalitarismus“, dem Thema deiner Dissertation, gekommen?
Dafür hatte ich mich schon während des Studiums interessiert. Es gab ein Seminar über ‚Musik im Nationalsozialismus’. In dieser Phase habe ich begonnen, mich für Jazz zu interessieren und habe das vertieft. Da kam die Frage auf: Wie war das eigentlich in der Sowjetunion? Ich stellte dann fest, dass das sich sehr ähnlich verhielt. So verschieden die totalitären Systeme waren, war doch der Umgang dieser Systeme mit Jazz sehr ähnlich.
Hat das Thema für dich heute noch Bedeutung?
Nein, es gibt für mich keine neuen Erkenntnisse mehr in diesem Bereich. Das war ein spannendes Thema, aber ich bin weitergezogen.