LEIDENSCHAFT FÜR PHYSISCHE MUSIK
Interview mit dem Pianisten und Komponisten Volker Bertelmann alias Hauschka
TEXT: Stefan Pieper |
Zu Beginn der 2000er Jahre fand Volker Bertelmann alias Hauschka zu seinen unvergleichlichen experimentellen Klaviermusikstil zwischen Minimal, Trancemusik und lyrischen Elementen – und wurde damit weltweit erfolgreich, vor allem, weil die atmosphärische Kraft seiner repetitiven, präparierten Klavierklänge in der Filmmusik-Branche wie gerufen kam.
In diesem Jahr erhielt der Düsseldorfer einen Oskar für die Musik zur opulenten Neuverfilmung von Erich Maria Remarques Antikriegs-Roman „Im Westen nichts Neues“ (Regie Edward Berger) . Aber Volker Bertelmann ist nach wie vor ein improvisierender Livemusiker geblieben. nrwjazz sprach mit dem vielbeschäftigten Musiker, der im Juni nach einem Duokonzert mit dem Perkussionisten Kai Angermann vom Publikum gefeiert wurde.
Erzählen Sie mir über Ihren musikalischen Werdegang!
Ich bin groß geworden mit klassischer Musik und Bach, vor allem mit Klaviermusik. Aber mit zwölf habe ich meine erste Band gegründet. Seit meiner Jugend habe ich eine Leidenschaft für physische Musik, zu der man sich bewegt. Ich mag einfach sehr gerne Bässe und Drums. Ich konnte schon früh Erfahrungen mit der Musikindustrie machen. Auch mit den Fallstricken, die dort lauern im Sinne von Produktion und Erfolg. Irgendwann fühlte ich mich frei genug, eine Musik zu machen ohne bestimmte Richtlinien oder Beschränkungen. Einen wichtigen Impuls gab mir die elektronische Musik Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre. Weil sie eben wechselte zwischen melodischen und rhythmischen Dingen. Gerade in repetitiver Techno-Musik gibt es diesen minimalistischen Ansatz. Man braucht nicht viel, um große Veränderungen zu erzeugen. Ebenso war Musikmachen hier nicht mehr so personenbezogen. Man musste nicht als Frontmann die Show reißen und konnte trotzdem tolle Musik machen. Ich glaube, da hat sich bei mir ein Knoten gelöst.
Würden Sie sagen, dass Sie über Umwege Ihre künstlerische Stimme gefunden haben?
Ich habe als Bandmitglied Keyboard gespielt. Ich habe Musik für Radiosender und Werbespots gemacht und alles mögliche probiert, weil mir noch nicht klar war, ob ich das als Job machen oder als Hobby haben will und ob ich überhaupt gut genug bin. Ganz zu Beginn hatte ich einen klassischen Klavierlehrer an der städtischen Musikschule in Kreuztal. Später bin ich auch mal zu einem Jazz-Lehrer gegangen, der mir etwas Harmonielehre beigebracht hat und wollte auch mal an der Kölner Jazzhochschule studieren. Die Sachen früher haben mir auch Spaß gemacht, aber heute profitiere ich davon, dass ich manches nicht mehr so mache. Mein Leben wäre sicher anders verlaufen und ich wäre nicht an der Stelle, an der ich jetzt bin. Heute würde ich sagen: Die Unbefangenheit gegenüber vielen Musikrichtungen hat mir sehr geholfen, eine eigene Sprache zu finden.
Was für Schlüsselerlebnisse mit repetitiver Musik hatten Sie?
Dazu gehört auf jeden Fall ein Konzert mit Steve Reich und seiner Komposition „Different trains“. Ebenso „Music for 18 musicians“. Mich faszinierte die Kombination aus klassischen Instrumenten und dieser zugleich sehr „elektronischen“ Anmutung. Ebenso eröffnete das Sampling plötzlich die Möglichkeit, Geräusche auch musikalisch zu emanzipieren. Das alles interessierte mich viel mehr als eine tonale Komposition, denn das Geräuschhafte brachte eine ganz neue Ebene dazu.
Ich hatte meine ersten Veröffentlichungen beim Kölner-Label „karaoke kalk“, das später mit dem Technolabel „kompakt“ kollaborierte. Ich wurde zu immer mehr Events eingeladen, wo abstrakte elektronische Musik lief. Bei allem Kunstfaktor gab es hier spannende Überschneidungen zu Hip-Hop, Techno und anderen Formen elektronischer Tanzmusik. Das war alles unglaublich reizvoll für mich. Ich empfinde für viele Musikrichtungen eine große Liebe.
Wie haben Sie diese neuen musikalischen Erfahrungen aufs Klavier übertragen?
Man denkt normalerweise, repetitive rhythmische Musik geht nur mit elektronischen Instrumenten. Aber ich kam darauf, solche Qualitäten auch ohne Computer zu erzeugen. Ich fing an, das Klavier zu präparieren und entdeckte eine riesige Soundvielfalt. Vieles hat sich aus dem Zufall heraus ergeben, aber das war schon der Ausgangspunkt für den ganzen Hauschka-Kosmos.
Welche Entwicklungsstufen markieren Ihre verschiedenen Alben?
Bei der ersten Platte Substantial habe ich wirklich nur Geräusche benutzt, die ich irgendwo gehört habe. Ich habe solche Field recordings auf die Klavierstücke gelegt und merkte, dass es mir sehr gut gefällt, wenn zu dem Klaviersound etwas Geräuschhaftes kommt. Bei dem „Prepared Piano“-Album hatte ich dann endgültig für mich heraus gefunden, was ich wirklich machen wollte.
Welche Rolle spielt Improvisation in Ihrer Musik?
Improvisieren können heißt, eine Selbstverständlichkeit zu entwickeln für das, was man kann, also für die Möglichkeiten, die man aus sich selbst heraus schöpfen kann. Das geht einher mit der Erkenntnis, dass Du eben nicht noch weitere 25 Jahre Klavierunterricht bei irgendeinem Virtuosen nehmen brauchst, weil Du einfach zu diesem Zeitpunkt längst genug Ideen im Kopf hast. Ich brauchte eine gewisse Zeit, bis ich zu dieser Einsicht kam. Das Klavier ist immer mein ideales Medium gewesen.
Wie sind Sie zur Filmmusik gekommen? Sind Sie darauf bewusst zugegangen oder hat der Film Sie gefunden?
Ich hatte schon mit 18 die Gelegenheit, eine Folge der Krimiserie „Ein Fall für zwei“ zu vertonen. Damit hatte ich zum ersten Mal Kontakt zum Medium Film und habe auch die wirtschaftliche Seite kennengelernt. Wenn ich Musik zu einem Film mache, fließt jedes Mal Geld, wenn der Film ausgestrahlt wird. Das war für mich eine frühe Einsicht in die Wirtschaftlichkeit künstlerischen Arbeitens. Es gibt kaum ein Feld in der Musik, wo das so möglich ist wie im Film. Ich habe dann viele Jahre keine Filmmusiken mehr gemacht. Erst viel später nahm ich den Faden wieder auf, als einmal Doris Dörrie zu einem Konzert von mir kam und mich fragte, ob ich Lust habe, die Musik zu einem ihrer nächsten Filme zu machen. Und bald kamen immer mehr Filmschaffende zu meinen Konzerten und ich wurde immer wieder gefragt, ob Leute meine Musik für ihren Film benutzen könnten.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit dem Filmregisseur Edvard Berger für den Film „Im Westen nichts Neues“ entwickelt?
Mit Edvard Berger hatte ich schon zwei Serien und einen Kinofilm gemacht und die Chemie stimmte. Im „Westen nichts Neues“ ist ein großartiges Folgeprojekt geworden.
In dieser Filmmusik kommt bevorzugt ein Harmonium zum Einsatz. War hier wieder die physische Liebe zum Instrument im Spiel?
Als ich über den Film nachdachte, wurde mir klar: Die Musik zu „Im Westen nichts Neues“ braucht ein Instrument aus dieser Zeit. Dieses Harmonium gehörte meiner Urgroßmutter und ich habe es aus meiner Verwandtschaft bekommen. Es sollte ausrangiert werden, aber dann war ich fasziniert von diesem Instrument. Es wirkt wie ein riesengroßes, aufgeblasenes Akkordeon mit seinem Riesenvolumen und seinem tollen Bass. Ich ließ es restaurieren und auf 440 Hertz umstimmen. Der Blasebalg musste neu geteert werden, das ging fast wie im Schiffsbau vonstatten. So ist das Harmonium zum zentralen Instrument in dieser Filmmusik geworden.
Beschreiben Sie die Arbeit an dieser Filmmusik!
Mit jedem Regisseur ist der Ablauf anders. Bei „Im Westen nichts Neues“ war der Film vorher schon fertig. Ich bekam den ersten Cut und konnte dazu einfach drauflos spielen, ähnlich wie bei einem Stummfilm. Es hat sich dann dieses Dreitonmotiv heraus kristallisiert, das hier so prägend und ikonisch wirkt. Zugleich habe ich viel am Harmoniumsound gebastelt.
Soll das Harmonium im monströsen Geschehen dieses Kriegsfilms so etwas wie Intimität herstellen?
Ja auch, aber genauso das Gegenteil davon: Wenn man das Harmonium zum ersten Mal hört, klingt es nicht wie ein solches, sondern wie ein riesiges Monster. Ich spiele das Instrument phasenweise durch einen fetten Gitarrenamp plus Verzerrer. Dieser Sound kann im großen Kino mit jedem Hollywood-Blockbuster problemlos mithalten und einen Megadruck entfalten. An anderen Stellen klingt es wieder ganz besonders zart. Das Schöne bei diesem Instrument ist, dass man das ganze Spektrum haben kann.
Sie haben in Ihrer Karriere so ziemlich alles erreicht und sind trotzdem immer noch ein Avantgarde-Musiker geblieben. Wie haben Sie diesen Spagat hinbekommen?
Es ist wichtig, flexibel im Kopf zu bleiben und nicht immer das Gleiche zu machen. Oft schließen sich echte Innovation und kommerzieller Erfolg gegenseitig aus. Wie kann ich beides behalten? Sobald Du anfängst, erfolgreich zu werden, geht die kreative Avantgarde verloren, obwohl man dort gerne weiter machen möchte. Aber ich mache eine individuelle Musik ja nicht deswegen, weil ich gerne in einer kleinen, elitären Gruppe bin. Das widerspricht allein schon meinem Lebensmodell, dass ich von der Musik ja auch leben möchte. Man muss sich manchmal gegen Dinge entscheiden, die logischerweise als nächstes folgen müssten. Etwa, dass man einen Oscar für eine Filmproduktion gewinnt und danach nur noch große Hollywood-Produktionen macht. So etwas wirkt vielleicht öffentlich plausibel, ist aber für mich kein zwingender Zusammenhang. Im Gegenteil: Je erfolgreicher du bist, desto mehr musst du darauf achten, dass du in der Kunstform integer bleibst. Mir ist es nach wie vor ein Anliegen, Musik für Freunde zu spielen oder für ein kleines Tanztheater oder einen Podcast, der mich thematisch anspricht. Daraus ergeben sich immer wieder unterschiedliche Formen. Ich mag es, dass jede neue Kollaboration ihre eigene Herausforderung hat.
Wie haben Sie sich auf das Konzert mit Kai Angermann vorbereitet?
Wie auf eine gemeinsame Reise. Mir ist vor allem vorher ein langer Soundcheck wichtig. Es kommt sehr darauf an, den Raum auszuloten und zu beurteilen. Was ist möglich? Wie klingen die Bässe? Kann ich eher tanzlastige Stücke spielen oder ist es eher für lyrisches Spiel geeignet? Wenn alles gut läuft, ist das wie eine Reise in einem Schnellzug mit offenen Fenstern. Man kann Eindrücke mitnehmen und darf sich fallen lassen. Menschen, die zu einem Konzert kommen, sind meistens Suchende. Natürlich kann es auch sein, dass sie nicht das finden, was Sie suchen. Aber in der Regel sind die Menschen glücklich, wenn sie mit mir zusammen diese Reise antreten. Letztlich ist es wie in der Filmmusik: Ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit ist es, dass ich Menschen habe, mit denen ich kommuniziere.
Volker Bertelmann, ich bedanke mich sehr für dieses spannende Gespräch!