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LAIMUN in der ‚Situation Kunst‘

Musik und Raum – zwei Szenarien

Bochum, 29.05.2022
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Heinz Schlinkert

Tyndale-Sculpture hat der kanadische Künstler David Rabinowitch sein ‚Raumkunstwerk‘ benannt und es Bud Powell und Coleman Hawkins gewidmet. Am 25. Mai fand in der ‚Situation Kunst‘ in Bochum-Weitmar dazu ein Jazz-Konzert mit dem Duo LAIMUN statt. Philipp Sauer (Saxofone) und Myroslav Tyboda (Akkordeon) spielten erst open air und dann im 'Raumkunstwerk'.

  • Schlosspark – Situation Kunst – Sylvesterkapelle - William Tyndale

Das Museum befindet sich im Schlosspark in Bochum-Weitmar, bekannt vor allem durch den Kubus, der in die alte Schlossruine hineingebaut wurde (s. Foto rechts unten), und durch das Museum unter Tage. Das Konzert beginnt aber open air in der Sylvesterkapelle, einer Ruine, die unter Denkmalschutz steht. Das Konzert ist sorgfältig vorbereitet, Plakat und Eintrittskarten (s. rechts) sind liebevoll gestaltet, obwohl nur 20 Zuhörer wegen des engen Innenraums zugelassen sind.

Die Kuratorin Dr. Eva Wruck (s. Foto links) eröffnet die Veranstaltung mit einer kurzen Einführung. Sie weist darauf hin, dass Bud Powell und Coleman Hawkins, denen das Raumkunstwerk gewidmet ist, nur ein einziges Mal 1960 beim Jazzfestival in Essen zusammengespielt haben. David Rabinowitch war damals erst 17 Jahre alt. Erst 1984 kam er als Professor für Bildhauerei an die Kunstakademie Düsseldorf. William Tyndale, nach dem die Skulptur wohl benannt ist, hat im 16. Jhdt. die Bibel ins Englische übersetzt, der Zusammenhang zu dem Kunstwerk hat sich mir nicht erschlossen.

  • Open Air in der Sylvesterkapelle

Das Konzert beginnt in der Sylvesterkapelle, der ehemaligen Hauskapelle eines Herrensitzes aus dem 13. Jdt. Sie verfällt schon seit dem 18. Jhdt., besteht fast nur noch aus Seitenwänden, oben offen wie früher die Sagrada Famlia.
Le Grand Tango
von Astor Piazzolla hören wir zuerst; dieser Name wird uns noch mehrmals begegnen. Philipp spielt das Stück auf dem AltSax ganz gerade in der klassischen Spielweise, zeitweilig im Dialog mit Miroslav Tyboda (genannt Miro) auf dem Akkordeon. Bei On the sunny side of the street kommt schon fast NewOrleans-Feeling auf, Louis Armstrong scheint nicht weit; hell klingt dabei das SopranSax. Die Musiker nehmen sich Zeit für lange Töne und kleine Pausen. Als retardierendes Moment oder um die Töne besser wirken zu lassen? Bei Lady Be Good von Gershwin erinnert mich Philipps Spielweise an Coleman Hawkins, doch dazu werden wir später noch mehr erfahren.

Die Szenerie in der Sylvesterkapelle ist wirklich eindrucksvoll. Umgeben von uralten Bruchsteinwänden, ohne Dach, aber abgeschattet von großen Bäumen, herrscht Ruhe. Vögel zwitschern. Trotz der nahen Straße fühlt man sich fast wie im Wald. Das Duo tritt vor dem Torbogen auf, kurzfristig assoziiere ich mittelalterliche Herolde, denn dieses Gebäude manifestiert Geschichte und ich bin mitten drin.
Obwohl die Ansagen nicht gut zu verstehen sind, ist der Klang der Musik in dieser Kulisse überwältigend. Spaziergänger, die zufällig vorbeikommen, bleiben fasziniert stehen. Philipps Saxofone stechen mit ihren hohen klaren Tönen (Sopran) bzw. ihrem vollen Klang (Tenor) hervor. Der Klang des Akkordeons ist breiter, mehr auf Groove ausgerichtet, doch Miro steht auch immer wieder mit Melodien und Soli im Vordergrund.

An Bluesette, diesem Standard des einzigen Jazz-Mundharmonikaspielers Toots Thielemanns, geht kein Weg vorbei. Es wird ziemlich zügig gespielt, mit langen Bögen auf dem SopranSax und einer längeren call-response-Phase. Überraschung: zwei sehr melodische Stücke von Philipp Sauer selbst sind zu hören: Rumba for two und Gentle smink.
Dann kommt wieder Coleman Hawkins zum Zuge. Zwar nicht persönlich, denn er ist schon seit mehr als 50 Jahren tot, aber Philipp lässt ihn über das TenorSax mit Smoke gets in your eyes wieder auferstehen. Er erzählt, dass Hawkins (Spitzname HAWK) der erste bekannte Saxofonist im Jazz war und er imitiert – fast schon überdeutlich – dessen Sound und Spielweise.
Astor Piazzolla spielt heute Abend eine große Rolle. Miro gibt dazu Informationen über Tango und Bandoneon. Zu hören sind Libertango und Tanti anni prima. Dieses 'Soviele Jahre zuvor' spricht mich besonders an. Aus einem längeren Intro entwickelt sich die Melodie, die hier fast wie klassische Musik klingt. Bei den Soli fühle ich mich an sakrale Musik erinnert, vielleicht auch weil mich die historische mittelalterliche Kapelle, in der ich sitze, dazu inspiriert.

  • Duo LAIMUN

Philipp Sauer spielt Sopran-, Alt- und Tenorsaxofon. Er kommt aus Dortmund und unterrichtet an der Bochumer Musikschule, wo er u. a. die Band Dizzy Levator leitet. Er ist aber auch als Musiker unterwegs, er spielte mit den Sazerac Swingers, gehört zum Essen Jazz Orchestra und hat LAIMUN gegründet.
Miroslav Tyboda
spielt Akkordeon, das ist im deutschen Jazz immer noch die Ausnahme. Miros Vorbild ist Richard Galliano, inzwischen gibt es mit Jörg Siebenhaar und Vincent Peirani auch Jazz-Akkordeonisten in Deutschland.
Das Duo spielt schon länger zusammen. An den Blickkontakten kann man sehen, wie intensiv beide kommunizieren, besonders bei den längeren call-response-Passagen und beim Wechseln der Soli.

lp

  • Im Raumkunstwerk ...

... findet der zweite Teil des Konzerts statt (s. Foto unten). Der Raum wurde in den 80ern von David Rabinowitch gestaltet und gehört zur ständigen Ausstellung. Jede Wand ist anders, die kreisförmigen Wand-Elemente (s. Foto) sind keine Feuermelder, sondern Teil des Kunstwerks. Sie erinnern mich an Wellen, vielleicht auch Schallwellen, die aus einem Saxofon kommen, so wie bei einem Stein, den man ins Wasser wirft.
Philipp spielt nur solo, denn hier herrscht wegen der Konstruktion der Wände ein großer Hall, wie in einer Kirche. Und nun ist es endlich Zeit für Body & Soul – darauf hatte ich schon länger gewartet -, denn dieses Stück von 1939 war ein Überraschungserfolg von Hawkins. Der Hall verstärkt den vollen Ton des Saxofons, das Publikum ist gebannt. Philipps Blues Blues Skies erinnert mich an Branford Marsalis, der seinen Blues for One in einer Kirche spielte. Auch er spielte sehr langsam wegen des Halls und auch zweistimmig, Bass Groove unten Melodie oben (s. Video unten).
Als Zugabe What a wonderful world - ja, nach diesem Konzert sieht man die Welt vielleicht etwas positiver.

  • ___ unterm Strich ____

Architektur und Musik haben viele Berührungspunkte, nicht nur beim Bau von Konzertsälen. Das wird auch bei diesem Konzert deutlich. Die beiden unterschiedlichen Spielorte bilden unterschiedliche Szenarien, die über die visuellen Eindrücke die musikalische Wahrnehmung des Publikums, aber sicher auch das Spiel der Musiker beeinflussen, ganz abgesehen von den unterschiedlichen akustischen Bedingungen.

Ein tolles Konzert eines Spitzen-Duos in einer besonderen Umgebung! Von Bud Powell war nicht die Rede, obwohl auch ihm die Skulptur gewidmet wurde, aber darum ging es ja eigentlich nicht. Die Tyndale-Sculpture war ein guter Anlass, um die Musik ins Museum zu holen. Diese Location sollte man öfter für Konzerte nutzen!

Branford Marsalis, Blues for One - Live at Grace Cathedral 2014

link zum Museum:

https://situation-kunst.de/mut/wechselausstellung/konzert-mit-klassischer-musik-1

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