Kunstsignal in Mönchengladbach Rheydt-Geneicken
Debut mit dem Georges Burki Collective
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Lange war es still um den alten Bahnhof Mönchengladbach-Rheydt-Geneicken. Ab sofort ist der liebevoll und aufwändig restaurierte Wartesaal aus dem Jahr 1899 ein Ort der Begegnung mit Musik – und auch der Jazz hat hier einen zentralen Platz! „Kunstsignal“ haben die Macher ihre Initiative genannt. Der Name steht für einen frischen Aufbruchsgeist bei allen Beteiligten. Hausherr der Location ist der Schweizer Musiker und Unternehmer Georges Burki, der den Alten Bahnhof aufkaufte – und der legte bei einem der Eröffnungskonzerte seine Visitenkarte als fabelhafter, genre-übergreifender Violinvirtuose ab!
Im neu gegründeten „Georges Burki Collective“ stehen ihm zwei mit allen Wassern gewaschene Mitstreiter zur Seite. Wenn sich Georges Burki sowie Retus Flisch am Kontrabass und Schlagzeuger Tony Renold (beides gestandene Größen aus der Schweizer Jazzszene) zu ansteckender Spielfreude aufschwingen, liegt die Betonung vor allem auf dem Wörtchen Freude. Die drei verschreiben sich derselben aufgeklärten Offenheit, wie sie konzeptionell für das Programm im „kunstsignal“ stehen soll.
Die genialen Kompositionen Johann Sebastians Bachs und den Jazz miteinander zu verbinden, war die Iniatialzündung zur Bandgründung. Das ist erstmal eine Idee, die nicht unbedingt neu anmutet. Aber zum einen hat Bach als „musikalische Bibel“ genug ewiges Gewicht. Zum anderen ist Jazz eine kreative Praxis, die neue Perspektiven ermöglicht, wenn man nur den Mut aufbringt, tief zu blicken. Und das zeichnet die langen, oft suitenartigen Stücke des „Georges Burki Collective“ an diesem Abend allemal aus: Hier wird nicht einfach „Bach verjazzt“, wenn sich diese drei erfahrenen Spieler die Bälle zuspielen, wenn sie virtuos und querdenkerisch große Themen aus der Musikgeschichte aus dem Korsett einer Gattung herauslösen. Da intoniert Burki zu Beginn mit feierlicher Geste und breitem Bogenstrich ein Thema aus Bachs „Ricercare“ aus dem Musikalischen Opfer. Und schon klinken sich seine Partner so intuitiv und leichtfüßig in die Sache ein, dass sich Dinge verwandeln und es mächtig nach vorne swingt. Einfach mal so zwischen barockem Affekt und Jazzphrasierung „umzuswitchen“ ist gar nicht so einfach – aber gut, dass hier wie ein unerschütterlicher Fels in der Brandung der Bassist Retus Flisch aus solchen Gegensätzen einen umso anregenderen Groove und so manches Hörabenteuer zaubert.
Der ehemalige Wartesaal mit seiner herrlich transparenten Akustik kommt wie gerufen für rein akustisch agierende „unplugged“-Jazzbesetzungen: Vor allem Schlagzeuger Tony Renold ist hier ganz in seinem Element. Die Drumsticks kommen nur ausnahmsweise zur Anwendung. Stattdessen entfalten Besen und viele andere, weich abgestimmte Schlagwerkzeuge eine beredte, oft regelrecht melodische Klangkultur. Und es geht um viel mehr als nur um Bach an diesem Abend! Weitere Komponisten bieten der Band genug Futter für mutige Entwicklungsprozesse.
Die intime Atmosphäre im Wartesaal animiert dazu, mit dem Publikum zu reden, hier ist gemeinsame Augenhöhe, ja, fast eine Art Werkstattcharakter angesagt. Georges Burkis ausgiebige Erläuterungen liefern immer wieder einen Leitfaden fürs aufgeklärte Hören: Camille Saint-Saens und Duke Ellington waren gleichermaßen von der Exotik des Orients fasziniert. Der eine schrieb seinen orientalisch gefärbten „Danse Macabre“, der andere schuf sein legendäres Kultstück „Caravan“. Und schon vereint sich wieder gegensätzliches in den vielgestaltigen Bravourparts. Später mal lässt der gewichtige Choral „Dies Irae“ jede sakrale Schwere hinter sich, sobald sich diese drei erfahrenen und neugierigen Jazzer der Sache annehmen, funkige Grooves hervorzaubern, auf harmonischen Gratwanderungen die Orientierung behalten, rhyhmische Breaks abfeuern, zu rasanten solistischen Parforceritten abheben ...
Die anderen beiden Konzerte im Eröffnungsmonat boten nicht minder erfrischende musikalische Horizonterweiterung. Auch dem Geiger Iskandar Widjaja lag ein persönlicher Dialog am Herzen. Und auch er betörte sein Publikum mit mit einem Auftritt, der Genres überspannte, der Grenzen zwischen komponierter und improvisierter Musik verschwimmen ließ, der eine Erkenntnis hinterließ: Musikalische Gegenwart muss überhaupt nicht sperrig sein. Ideale Aufführungsbedingungen sieht im übrigen die Werner Richard – Dr. Carl Dörken Stiftung im Kunstsignal: Diese Stiftung engagiert sich für junge Talente in der Klassik und auch im Jazz, vor allem, wenn sie ihnen eine Konzerttournee durch NRW ermöglicht. Jens Gunnar Becker, der als Künstleragent die Reihe betreut, äußerte sich hellauf begeistert vom Ambiente im ehemaligen Bahnhof, der auf jeden Fall diese Reihe aufwertet. Und davon fühlte sich auch die ukrainische Akkordeonvirtuosin Tetiana Muchychka bei ihrem spektakulären Solo-Recital spürbar inspiriert.
Musik und bildende Kunst zusammen zu bringen, ist ein Anliegen im „kunstsignal“.
„Wie Jazzimprovisation“ mutet nach Meinung von Georges Burki die expressive Malkunst des russischen „Nonkonformisten“ Anatol Zverev an. Seit Burki zum ersten mal ein Bild des exzentrischen Russen sah, ist er von diesem in Deutschland bislang kaum bekannten Ausnahme-Künstler fasziniert und hat seitdem eine Sammlung mit seinen berühmtesten Gemälden aufgebaut. Aktuell sind erste ausgewählte Exponate im Bahnhof Geneicken zu sehen. Das ist aber nur ein Vorgeschmack auf eine geplante große Ausstellung im nächsten Jahr. Genug visuelle Anreize zum kontemplativen Konzerterlebnis liefern die Bilder aus dieser kleinen Auswahl allemal!
Der nächste Jazz-Termin im Kunstsignal steht schon: Am 15. November gibt es eine Begegnung mit dem Gypsie-Jazz-Gitarristen Joscho Stephan. Der ist übrigens ein Mönchengladbacher. Was ist für eine neue Spielstätte naheliegender, als sich erstmal gründlich mit der lokalen und regionalen Szene zu vernetzen!?
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