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Klingende Unterwelten

bonnhoeren ist erwachsen geworden

Bonn, 18.06.2014
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: bonnhoeren

„Während der Grundpuls über die gesamte Aufführung auf dem Münsterplatz erklingt, sind die Schlagzeug-Gruppen mobil. Die Musikerinnen und Musiker werden sich in einer speziellen Choreografie in den Gassen der Historischen Bonner Innenstadt herum bewegen, das Publikum ist gefordert, es ihnen gleichzutun…“ verspricht und appelliert der Programmtext. Die künstlerische Leitung hat dabei übrigens die New Yorker Komponistin und Schlagzeugerin Robyn Schulkowski, die unlängst noch mit Joey Baron im Duo auf dem Moers-Festival zu sehen war. Auch das dürfte für  Qualität  bürgen.

Und auch bei einem Streifzug durch die vielen Projekte, Installationen, Workshops, Diskussionen und Performances am Wochenende zuvor fühlte man sich immer wieder mal in eine andere Welt versetzt: Da war eben noch der hektische Verkehrslärm, Fetzen von Stimmen, Schritte auf dem Asphalt, Musik aus einem Café - alles recht ungeordnet und meist nur unbewusst wahrgenommen. Jetzt allerdings verbreitet ein gleichmäßiges Rauschen eine regelrecht idyllische Ruhe. Es ist ein Wasserrauschen tief aus der Kanalisation – und eine simple Konstruktion aus Gummischläuchen, Trichtern und einem Kopfhörer hat den verborgenen Klang an die Oberfläche gehört. So kann man Bonn – oder eine andere Stadt – eben auch hören. „bonn hoeren“ ist ein Projekt, das bereits fünf Jahre in Bonn Bestand hat und in diesem Jahr zu einem großen, zweiwöchigen Festival ausgeweitet wurde.

Sucht man in den vielfältigen hier präsentierten künstlerischen Ansätzen einen Bezug zur zeitgenössischen Musik, könnte man als erstes jenes berühmte Stück von John Cage heranziehen, wo in viereinhalb Minuten „nichts“ passiert - und dieses Nichts eben von den Zuhörern immer mehr mit dem Ablauschen der akustischen Umgebung angefüllt wird. Wo eben eine Umgebung zum Klingen gebracht wird. Obwohl es nach dem Credo des künstlerischen Leisters Carsten Seiffarth eben darum geht, die Stadt zum Klingen zu bringen und eben nicht zu beschallen, sieht dieser den Bezug zu den Ideen von John Cage nur als einen von vielen an. Das ganze komplexe weite Feld von Klang-Kunst sei doch vielmehr im Bereich der bildenden Kunst verortet, geprägt etwa durch die Fluxus-Bewegung seit den 1970er Jahren und vielen weiteren Strömungen, die eben auch die akustische Komponente immer mehr als künstlerisches Material einbezogen habe.

Wer sich mit geschärften Sinnen durch Bonn treiben lässt, wird irgendwann in der Nähe des Hauptbahnhofes einen mysteriösen, tiefen Ton wahrnehmen. Er kommt aus Lautsprechern, die in einem steinernen Würfel installiert sind. Aber die Erzeugung dieses Tones geht in der Installation von Sam Auinger „Grundklang Bonn“ betont „analog“ vonstatten. In eine Art Klangröhre strömt die ganze ungeordnete urbane Geräuschwelt hinein, um sich wie in einer Orgelpfeife oder einem Digderidoo zu bündeln und durch die Eigenfrequenz dieses Hohlkörpers schließlich einen stationären Ton zu formen. Ein unvergessliches Erlebnis ist außerdem die Fahrt mit dem Klang-Fahrrad im Rahmen des Projektes „Bong“ von Kaffe Matthews. Zwei Lautsprecher sind an jedem Bike montiert und die Einspielungen variieren je nach Position des Radelnden. Viele Pioniertaten in Sachen Klangkunst im öffentlichen Raum - unter anderem auch Auingers Arbeiten - werden übrigens in der Ausstellung sites & sounds” in der gkg bonn (Gesellschaft für Kunst und Gestaltung) gezeigt.

Diese liefert einen hervorragenden Querschnitt über die weltweit beschritten Wege von Klangkunst im öffentlichen Raum.

Stefan Rummel ist (wie Sam Auinger im Jahr 2010) einer der beiden diesjährigen „stadtklangkünstler“, der in seinen Inszenierungen die spezifischen geografischen Gegebenheiten klanglich erfahrbar machen will. Wenn ein großer Fluss eine Großstadt durchschneidet, hat dies naturgemäß etwas Begrenzendes, Abgrenzendes. Zwei Klanginstallationen sind an den Ufern gegenüberstellt. In einem begehbarem Resonator werden die Klänge vom Fluss und idealerweise vom fernen anderen Ufer „herangeholt“ und aufgefangen und mit anderen zugespielten Klangereignissen angereichert. In einer Felsmauer am anderen Ufer passiert ähnliches. Der Bezug, die imaginäre Verbindung soll hörbar gemacht werden.

Der andere Stadtklangkünstler ist der Brite Max Eastley. Dieser hat sich sehr poetisches einfallen lassen, um die Aura des idyllischen Botanischen Gartens im Stadtteil Poppelsdorf zu bespielen. Mitten in den Teichanlagen des Gartens sind die Masten seiner Windharfe postiert. An denen befinden sich Metallbögen, auf denen Saiten gespannt sind. Unberechenbar sind die Momente, in denen singende Spährenklänge den Park erfüllen, denn einzig der Wind bringt die Saiten zum klingen, eben eine „unsichtbare Energie, die nur durch Interaktion mit der materiellen Welt Wirkung entfaltet.“ Diese Windgesänge spielen sogar symbolisch auf die wohl wichtigste historische Bonner Figur schlechthin an - nämlich auf Ludwig von Beethoven, dessen Mondscheinsonate möglicherweise durch die äolische Harfe (also ein uralte mystisches Windinstrument) inspiriert wurde.

Auch wenn man sich in vielen Installationen so weit wie möglich vom Aspekt der „Musik“ entfernt, so kam diese doch wieder in verblüffender Direktheit ins Spiel – nämlich in einer Konzertperformance im alternativen Ambiente der „Fabrik 45“. Akio Suzuki und Aki Onda versanken bei ihrem Duoauftritt in Trance, als sie feine Texturen entwickelten und über diese  zu improvisieren wussten. Beide Spieler brachten „analoge“ Instrumente ins Spiel – Holzteile, Nägel, Hämmer, Metallplatten oder einen alten Cassettenwalkman. Stationäre Borduns oder durchlaufende Zweitonmotive für stringenten Zusammenhalt. Wenn einer der beiden rhythmisch ein Gummielement quietschen ließ, passierte dies mit so viel Aussagekrafft wie ein gut gesetzter solistischer Höhepunkte in einer guten Freejazz-Improvisation.

Spektakulärer Höhepunkt des Festivals für Klangkunst „bonnhoeren“ wird am kommenden Freitag, 20. Juni die„stadtsinfonie bonn“ sein, wo mehr als ein Dutzend Ensembles inklusive einiger Chöre und allein sieben Schlagzeuggruppen mitwirken. Musiker und Publikum bewegen ab 16 Uhr nachmittags vom Münsterplatz in die Fußgängerzone und von da ab weiter zur Aussichtsterasse „Alter Zoll“ und zum Rheinufer. Werke von Charles Ives, Wolfgang Mitterer und Alvin Curran vereinen sich zu diesem Konzertereignis.

www.bonnhoeren.de

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