Kleine Nachlese: Acht Brücken Festival
Musik-Amnesie-Gedächtnis
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Jörn Neumann/Heike Fischer
Die 12. Ausgabe von Acht Brücken – Musik für Köln war nach zwei Jahren Unterbrechung wieder ein vollumfängliches Live Festival. 14500 Musikliebhaber*innen besuchten über 50 Konzerte. 20 Konzerte wurden vom Radio mitgeschnitten und drei Konzerte wurden als Stream für philharmonie tv produziert.
Eine kleine Festival Nachlese soll einige persönliche Eindrücke von Acht Brücken 2022 vermitteln, natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Musik nicht nur im Konzertsaal
Nach dem traditionellen Acht Brücken Freihafen am 1. Mai, ein ganzer Tag Musik bei freiem Eintritt (s. Bericht) ging es in den nächsten zwei Tagen in der TanzFaktur, einem ehemaligen Industriegebäude in Köln-Deutz, weiter. Es begann mit einem ganz besonderem Projekt Unearthing Melodies – EinfachMalSingen Chor für Menschen mit und ohne Demenz. Das Asasello Quartett –ein Kölner Streichquartett spielte im BühnenSaal der TanzFaktur von Alfred Schnittke das Streichquartett Nr. 3 (1983) und …sich verlierend (4. Streichquartett) (1996) von Peter Ruzicka. Der Raum war abgedunkelt und im Bühnenhintergrund wurde Filme vom Projekt EinfachMalSingen eingespielt. Diese Filme wurden teils ohne, teils mit Ton (in den Streichquartettpausen) in das Konzert integriert und gaben einen Einblick in ein Projekt in der Akademie für Gesundheitswirtschaft und Senioren in Gummersbach. Ein offenes Singprojekt für ältere Menschen mit und ohne Demenz von Joachim Kottmann und Michael Becker. Das Programm reichte von bekannten Volksliedern bis zu Schlagern. Mit viel Respekt kommen die teilnehmenden Menschen in den Filmen auch zu Wort und beschreiben ihre Erfahrungen. Ein menschlich sehr anrührendes Projekt und gleichzeitig ein musikalisch hervorragendes Konzert des Asasello Quartetts.
Im Anschluss ging es in WerksHalle der TanzFaktur weiter, mit einer Art Klangmeditation, dargeboten von den Ensembles Garage und Vortex. Ein Bühnenbild, wie in einem buddhistischen Kloster: alle Ensemble Mitglieder saßen im Schneidersitz in einer Reihe und hatten verschiedene Materialien, wie kleine Äste mit Blattwerk vor sich liegen. Mit kaum hörbaren Geräuschen wurde das Publikum zu höchster Aufmerksamkeit gebracht. Dann wurde mit den Ästen geraschelt, später zischte es dann, als Wasser auf erhitzte Steine traf. So entstand aus verschiedenen “Naturgeräuschen“ eine Klangcollage, die durch eine Flöte und Rahmentrommel ergänzt wurde. Ein Hörerlebnis und eine Achtsamkeitsschulung.
Elektronische Musik
Neben den akustischen Konzerten wurde in der TanzFaktur viel elektronische Musik geboten. Bemerkenswert war dabei das Konzert von C.A.R. mit dem Titel Oneironauten. (Menschen die in luziden Träumen navigieren). Die Mitglieder von C.A.R. sind die Kölner Jazz-Improvisations- und Elektronik Musiker Leonard Huhn (sax, electronics), Christian Lorenzen (keys, electronics), Kenn Hartwik (bass, electronics) und Johannes Klingebiel (drums, electronics). In phantasievollen Gewändern und Masken entführten sie das Publikum mit ihrer elektronischen Musik in eine Welt zwischen Traum und Wachen. Ein echtes Highlight.
Deutlich abstrakter und völlig ohne Instrumente gab das Ensemble Hackmeck sein bitrot betiteltes Konzert. Benjamin Grau, Philipp Lack und Vincent Michalke an ihren Laptops, verbanden elektronische Klänge mit abstrakten Video Projektionen zu einer audiovisuellen Live Performance.
Auch in der Kunst-Station Sankt Peter fand ein Konzert mit Live Elektronik statt. Dort wurde All is Ceiled von Martin Smolka uraufgeführt, von Juliet Fraser (Sopran) und Florentin Ginot (Kontrabass). Ein Werk mit vielen leisen und ruhigen Passagen. Der Kontrabass kam nur sehr zurückhaltend zum Einsatz. Diese Musik wurde dann in einem zweiten Teil als Live Sample von Anna Zaradny in ein elektronisches Werk verwandelte, in das sowohl Kontrabass als auch Sopran sich auch noch live eingaben. Im ersten Teil gab es schon einen heftigen Klangteppich und im zweiten Teil verstanden die Zuhörer*innen, warum sie Gehörschutz am Eingang ausgehändigt bekamen. Ein Zuhörer wählte den passenden Ausdruck: Gewaltig. Ein lautstarkes, aber auch großartiges Erlebnis. Zwei gegensätzliche Musikwerke, ein ruhiges, bedachtsames und ein vorantreibendes, aufwühlendes. Eines der Acht Brücken Highlights in kleiner Form, jenseits der Philharmonie.
Ambiet Live – Laurel Halo / Midori Takada
Am Donnerstag war die Philharmonie mit vielen jungen Leuten gefüllt. Es war der Ambient Abend. Vor dem Ambient Konzerten traten zusätzlich noch die Schüler*innen von vier Kölner Schulen auf und präsentierten ihre akustischen und elektronischen Musikstücke, die sie in einer mehrwöchigen Projektarbeit mit den Komponisten Thomas Taxus Beck und Marco Mlynek erarbeitet hatten. Laurel Halo, Musikerin, Produzentin elektronischer Musik und DJ, die aus Michigan stammt, lebt seit 2013 in Berlin. Laurel Halo arbeitete mit Mischpult und Piano (sie hat eine klassische Klavierausbildung). Aus elektronischer Musik und Live Samplings der akustischen Klaviermusik erschuf sie ein atmosphärisches Ambientwerk, das zum Chillen und Zurücklehnen einlud. Die vielen jungen Leute kamen hier definitiv auf ihre Kosten. Midori Takada spielte den zweiten Teil des Abends. Sie arbeitete mit unterschiedlichen Becken und Trommeln und vor allem mit dem Vibraphon. Ihr Solo Auftritt hatte, nach spannenden Perkussion Passagen zu Beginn, im weiteren Verlauf seine Längen. Ihre sehr emphatische Rezitation von Zen Weisheiten gerieten etwas zu pathetisch und konterkarierten den Geist des Zen eher. Obwohl sie eine vielseitige Musikerin und Multiinstrumentalistin ist hat mich das Programm nicht überzeugt.
Django Bates – Saluting Sgt. Pepper
Zum 50. Jahrestags der Veröffentlichung des Kultalbums Sgt. Pepper`s Lonely Heart Club Band der Beatles schrieb der britische Jazzer Django Bates für die hr-Bigband ein Arrangement für Bigband. Zusätzlich zur Bigband setzte Bates noch eine Rockgruppe ein. Alle Stücke der Beatles LP werden in gleicher Reihenfolge und in gleicher Tonart gespielt, zusätzlich wurden sie von Atrin Madani sehr nah am Original gesungen. Auch wenn einige Kritiker, dieses Projekt als einen Höhepunkt im Schaffen von Django Bates bezeichnen, war die Bearbeitung viel zu nah an den Beatles. Wünschenswert wären mehr Improvisationen, wie sie als eine Art Coda bei Lovely Rita zu hören waren. Es gab einige herausragende Momente, aber immer wieder fühlte ich mich wie auf einem Beatles Revival Abend in einem Senioren Klub. Ich bin mit Sgt. Pepper aufgewachsen und hatte auf eine kreative freie Bearbeitung gehofft und nicht auf Beatles for Bigband. Dass es auch anders geht zeigt die CD Aday in the Life - Impressions of Pepper, auf der sehr spannende kreative Interpretationen von Songs des Albums von Brandee Younger bis Shabaka Hutchings zu hören sind.
Streicher Virtuosen
In der Philharmonie spielte am Mittwoch der internationale Cellostar Jean-Guihen Queyras mit dem Ensemble Resonanz. Hier wurde alte und neue Musik in ein lebendiges Miteinander gebracht. So waren Werke von Carl Philipp Emanuel Bach ebenso zu hören wie Werke der Gegenwartsmusik von Francesca Verunelli und Ondrej Adámek. Jean-Guihen Queyras brillierte im Konzert für Violoncello und Streicher a-Moll Wq 170 als Solist, aber er spielte auch als einfaches Ensemblemitglied im Werk von Adámek. Auch das ist typisch Acht Brücken, neue und alte Musik stehen gleichberechtigt nebeneinander.
Am Sonntag spielte morgens in der Philharmonie und nachmittags im Festsaal der Flora ein weiterer internationaler Streicher Star, der Bratschist Antoine Tamestit. Im Mittelpunkt seines Konzertes stand Morton Feldmans Komposition The Viola in my Life. Flankiert wurde das Werk von einer wilden Hindemith Sonate für Viola, einem Werk von Tristan Murali für Viola Solo und Johann Sebastian Bachs Suite Nr. 1 G-Dur für Viola solo. Antoine Tamestit ist ein beeindruckender Viola Spieler und ein sehr sympathischer Mensch, der dem Publikum viel über seine Einstellung zur Musik erzählte. Für Tamestit sind Einteilungen wie Neue und Alte Musik völlig unbedeutend. Es ist für ihn einfach Musik in unterschiedlichen Ausdrucksformen. Ob es der wilde Grenzen sprengende Hindemith ist oder der meditative Feldman, beide drücken menschliche Emotionen und Erfahrungen aus. Antoine Tamestit war ein Höhepunkt des Festivals.
Coptic Light – Concertgebouworkest Amsterdam und Cantando Admont
Auch der Samstagabend war einer der Höhepunkte des Festivals. In der Philharmonie waren das renommierte Orchester Concertgebouworkest aus Amsterdam unter Leitung von David Roberts und das Vokalensemble Cantando Admont für Alte und Neue Musikaus Graz zu Gast. Neben Klassikern der Gegenwartsmusik, wie die Klangfarbenkompositionen György Ligetis Atmosphéres (1961) und Coptic Light (1986) von Morton Feldman, war auch der spanische Renaissance Komponist Christóbal de Morales im Programm. Das Vokalensemble Cantando Admont wurde sowohl der Renaissance Musik wie auch der Neuen Musik in hervorragender Weise gerecht. Über das Amsterdamer Concertgebouworkest braucht man nicht viele Worte verlieren, es zeigte auch auf dem Festival wieder, dass es ein Weltklasse Ensemble ist.
Acht Brücken 2022
Ein Festival mit vielen musikalischen Höhepunkten, ein Festival mit vielen Uraufführungen, ein Festival ohne Angst vor scheinbaren Gegensätzlichkeiten und mit Mut zu ungewöhnlichen Klängen. Musik der Zeit bedeutet für Acht Brücken nicht nur Neue Musik sondern auch Jazz, Ambient Elektronik und Live Sampling, aber auch Alte Musik. Das gleiche konnte man auch über die vorangegangenen Festivals sagen. Aber es erschien mir dieses Jahr, als sei das Profil noch etwas geschärft worden. Acht Brücken ist ein wichtiges Festival in Köln, dass Menschen an aktuelle Musik heranführt und die Bandbreite der Gegenwartsmusik abbildet. Ein Festival, das Köln (nicht nur Köln) unbedingt braucht. Gäbe es nicht schon seit 12 Jahren dieses Festival, man müsste es unbedingt erfinden
Noch ein letztes Konzert im Rahmen von Acht Brücken 2022:
Karlheinz Stockhausen: Sternklang – Parkmusik für fünf Gruppen
am Sa den 27.8. 19.30 Uhr im Schlosspark Brühl