Klang als eigene Identität
Gespräch mit dem Saxofonisten Andreas Wagner
TEXT: Stefan Pieper |
Der Kölner Improvisationsmusiker Andreas Wagner traf im letzten Jahr am Rande eines Konzertes in Düsseldorf auf den Marler Labelbetreiber Claudius Reimann , der mit seiner Tonkunstmanufaktur den frei improvisierten Klangerkundungen eine kompetente Plattform bietet. Die Chemie zwischen Wagner und Reimann stimmte auf Anhieb und es lief auf gleich drei Produktionen hinaus. Das letzte Release Selbstläufer (ausführliche Rezension auf nrwjazz) geht auf eine alte Soloaufnahme des Kölners zurück. Field Recordings treffen auf freie Klangerkundungen auf dem Tenorsaxofon, die mal von Evan Parker, aber auch mal von einer morgendlichen Joggingrunde am Rhein inspiriert sind. Nrwjazz sprach mit dem innovativen Klangerkunder über dieses Album.
Was war der Ausgangspunkt für dieses Projekt?
Das, was ich im Studio schon erarbeitet hatte, wollte ich hier mal zusammenfassen. Die Selbstläufer-CD war im Jahr 1998 meine erste Soloaufnahme. Ich habe mich damals schon mit sehr vielen Klangfarben auf dem Tenorsaxophon beschäftigt und stand damals stark unter dem Eindruck einer Solo-CD von Evan Parker. Wie der Brite hier das Sopransaxophon spielt, das sprach mich sehr an. Ich wollte nun ähnliche Strukturen auf dem Tenorsaxophon weiter denken.
Was faszinierte Dich im besonderen? Wolltest Du etwas verändern oder weiter entwickeln?
Faszinierend war für mich die extreme physische Kraft, die Parker auf dem Sopran entfaltet. Ich wollte aber dieses Konglomerat aus physischer Monumentalität aufbrechen.
Gibt es bestimmte Stücke oder Details, wo ich als Hörer diesen Parker-Bezug nachvollziehen kann?
Am stärksten ist der Bezug zu Parker auf dem vierten Stück der Selbstläufer-CD - ich habe es Poller-Wiesen genannt. Hier gibt es viele Passagen in Permanentatmung und Strukturen, die parallel laufen. Da sind zum einen diese hohen Töne, welche manchmal fast Pfeiftöne sind und vor allem mit dem Mundstück produziert werden. Dem stehen extrem schnelle Wechsel in der tiefen Lage gegenüber, bei denen das mechanische Klappengeräusch auch eine Rolle spielt. Dieses wiederum gerät in einen Bezug zum Laufgeräusch beim Joggen aus dem Field Recording.
Ist Permanent- und Zirkularatmung eigentlich dasselbe? Erklär das doch mal einem Nicht-Saxofonisten.
Man bläst die Backen auf. Dann wird durch kraftvollen Einsatz der Wangenmuskeln die Luft heraus gedrückt. Die Kunst besteht darin, gleichzeitig durch die Nase einzuatmen. So ungefähr erkläre ich das auch meinen Schülern. Das ganze ist eine Übungssache. Irgendwann macht es Klick im Gehirn und Du hast es raus. Auf dem Saxophon ist das noch vergleichsweise einfach. Auf der Querflöte geht sowas deutlich schwerer. Am einfachsten geht es auf tiefen Blechblasinstrumenten.
Muss man beim Saxophoneinen großen physischen Widerstand überwinden, um überhaupt einen Ton zu erzeugen?
Ich würde sagen, das Saxophon ist von der physischen Anstrengung her das leichteste Holzblasinstrument. Die Schwierigkeit wächst mit der Tonhöhe, weil es nach oben hin immer enger wird bis hin zum Sopransax.
Zurück zum Schaffensprozess Deiner Selbstläufer-CD. Sahst Du von Anfang an einen Zusammenhang zwischen Deiner Joggingrunde am Rheinufer und dem improvisierten Spiel?
Ja, tatsächlich hängt beides stark miteinander zusammen. Ich weiß noch, ich hatte damals ein Kurzzeitstipendium im Haus Atoll (???) und bin regelmäßig die Joggingstrecke am linken Rheinufer dahin gelaufen. Üblicherweise habe ich sofort danach drauflos zu spielen begonnen. So enstanden die Stücke. Aber das Laufen gehörte ja irgendwie auch zum Prozess, weswegen ich auf die Idee mit den Field Recordings kam und schließlich beides miteinander verbinden wollte.
Die sportliche und musikalische Aktivität schöpft also aus einer gemeinsamen Quelle?
Die Gemeinsamkeit liegt im entstehenden Flow-Gefühl. Ich weitete die Joggingrunden aus und war meist ca. eine Dreiviertelstunde unterwegs. Das ergab sich einfach von selbst und geschah auch zunehmend ohne das Gefühl der Anstrengung „wie von selbst“. So etwas hat mit Loslassen zu tun und genauso erlebe ich das freie Improvisieren auf dem Tenorsax. Das ist enauso eine Form des Loslassens. Zusammen mit den Field Recordings ergaben sich für das Selbstläufer-Projekt mehrere Schichten. Die akustischen Ereignisse draußen auf meinem Weg am Rhein wuchsen schießlich zu einem Rahmen zusammen, in den sich die Improvisation stimmig einfügte.
Aus diesen Skizzen von früher nun eine CD zu kreeiern, markiert jetzt eine weitere Daseinsstufe in diesem Prozess...
So könnte man es ausdrücken. Das Material hat ja lange auf meiner Festplatte geschlummert. Aber dann fügten sich glückliche Umstände zusammen. Ich hatte letztes Jahr ein schönes Konzert in dem Subsol in Düsseldorf, wo ich zufällig Claudius getroffen habe, der mir von seinem Label Tonkunstmanufaktur erzählte. Da fiel die Entscheidung leicht, die Aufnahmen nun endlich auf CD zu veröffentlichen. Von Ansgar Ballhorn sind sie ja längst professionell gemastert worden
Selbstläufer ist ja nun schon die dritte Veröffentlichung bei diesem Label in kurzer Zeit. Würdest Du diese drei Werke als Trilogie betrachten?
Ja, auch wenn der Ansatz sehr unterschiedlich ist. Dennoch bestehen auch Zusammenhänge.
Wie kam es zur Aufnahme slow guide? Da machen ja immerhin vier der profiliertesten Bassisten aus der Kölner Szene mit.
Ich habe mit allen Vieren schon gespielt, mit Sebastian Gramss schon ganz früher. Daher kannte ich auch schon das Multibass-Orchester. Ich habe die vier Musiker gefragt und sie waren sehr angetan, also habe ich für sie dieses Stück geschrieben.
Kannst du deine Vision oder Philosophie beschreiben? Ich möchte keine eindeutige Aussagen treffen, was die Musik angeht. Ich versuche, ein Gegenüber zu kreieren, das mit mir kommuniziert und etwas produzieren, ohne es mir anzueignen .
Wie funktioniert diese bewusste Nicht-Aneignung?
Beim freien Spiel geht es darum, dem unendlichen Klang Raum zu geben. Dieser unendliche Klang ist ein Kontinuum im Kopf und das Ergebnis von vielen musikalischen Erfahrungen und Begegnungen. Für die Realisierung in Echtzeit ist die völlige Beherrschung des musikalischen Materials unabdingbar. Mein Werkzeug dafür ist das Saxophon. Das Kontinuum meiner Erfahrungen wird auch außermusikalisch bereichert, vor allem auch durch die zeitgenössische bildende Kunst. Ich schätze vor allem die Arbeit des amerikanischen Malers, Fotografen und Objektkünstler Cy Twombly. Wie er mit seinen Arbeiten die Flüchtigkeit der Moderne darstellt, das spricht mich sehr an.
Könntest Du eine Gebrauchsanweisung zumHören definieren?
Es ist wichtig, unvoreingenommen zu hören. Es ist auch mal erlaubt, abzuschalten, wenn man nicht mehr mitkommt, um dann wieder einzusteigen irgendwo. Der Idealzustand ist für mich erreicht, wenn man sich mitgetragen fühlt.
Beschreib noch mal die Vorgehensweise etwas konkreter!
Es geht mir um die Arbeit mit Luft und Geräuschen an der Grenze zur Präparation. Die Mirkofonierung spielt auch eine Rolle. Ansgar hatte damals drei Mikrofone benutzt, eins am Mundstück, eins am Trichter und eins am Korpus des Saxophons. Außerdem war noch ein Raum- Stereo- Mikro im Einsatz. Dadurch hören wir viele feine Saxophon-Klänge, vor allem auch viele Obertöne. Das Spiel mit den Grenzbereichen ist mir sehr wichtig. Ab dem zweiten Stück, das ich Südbrücke genannt habe, wird schon einen Gang schneller geschaltet, was ich durch Klappentremolos realisiere.
Es geht Dir um den ganzheitlichen Aspekt dieses Instrumentes, richtig? Jedes Detail beim Instrument und beim Prozess der Tonerzeugung ist von Bedeutung.
Genau, das ist die Essenz von dem was übrig bleibt, wenn man einfach drauf los spielt. Dann finde ich wieder den unendlichen Klang, der Teil der eigenen Identität ist.
Andreas Wagner (*1962),
geboren in Opladen, ist Mitglied verschiedener Improvisationsgruppen, zudem ist er in den Bereichen Video, Klangskulpturen und Bildender Kunst tätig. Er studierte Komposition an der Kölner Musikhochschule bei Professor Johannes Frisch. Er beschäftigt sich als Saxophonist, Klarinettist und Live-Elektroniker mit Frei Improvisierter Musik und Neuer Musik in den verschiedensten Formationen.Das Spektrum der Kompositionen reicht von exakt notierter Musik – von Solo bis Orchester und Elektronik – bis hin zu offenen Formen (Fraktale I-X) und Konzepten, die immer auch den Raum der Aufführungen und das Publikum mit einzubinden suchen.
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