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Jazzwanne

Ausstellung über die Geschichte eines Jazzclubs

Herne, 25.11.2021
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

„In Mailand, Stockholm, London, Paris und Wanne-Eickel“ – so beantwortet der polnische Tenorsaxophonist Jan Wróblewski die Frage, wo er 1963 auf seiner Europatournee gespielt habe. So ähnlich könnten die Antworten einer Reihe anderer Jazzmusiker aussehen. Man reibt sich vielleicht verwundert die Augen, ja, ein international geschätzter Jazzclub mitten im Ruhrgebiet, das hat es in den 60er Jahren wirklich gegeben: die Jazzwanne. Eine hochinteressante Ausstellung im Heimatmuseum Unser Fritz in Herne widmet sich aktuell der Geschichte dieses Clubs: jazzwanne 1960 – 1966. Geschichte, Movement und urbane Kunst.

Idee und Initiative gehen von Hartmut Beifuß aus. Der Fotograf und Journalist war selbst Gründungsmitglied des Clubs und fotografierte als junger Jazzfan die Szene. Museumsleiter und Kurator Ralf Piarr greift die Idee gerne auf, mit Hilfe von Eckard Koltermann reift die Idee weiter und führt mit der großen Kiste mit Originaldokumenten von Bärbel Dittke und vielen anderen Materialgebern zu einer imposanten Ausstellung. Zu erleben ist darin die kurze, aber heftige und nachhaltige Geschichte des Jazzclubs in Wanne-Eickel. Nicht nur das: Der Ausstellung gelingt es mit ihrem Konzept und ihrer Detailfülle, den Aufbruchsgeist des Jazz und seiner Protagonisten in einem eher miefigen Milieu eines industriell geprägten Umfelds nachzuzeichnen. Exemplarisch ist dabei das kulturelle Potential des Jazz mit seiner utopischen Kraft spürbar.

Viele Fotografien – die meisten von Hartmut Beifuß - erinnern an die Atmosphäre im Jazzclub, an die vielen Musiker aus der lokalen Szene wie Heinz Oelmann, Conny Wiludda, Wolfgang Kemmler, Hartmut Krowarz und Ernst Dittke. Internationalität repräsentieren englische Musiker von der British Army wie Tom Harris oder renommierte polnische Jazzer wie Andrzej Kurylewicz, Wojtek Karolak und der eingangs zitierte Jan Wróblewski. Man spürt: Die Jazzwanne stellte einen Club, ein kulturelles Zentrum dar voller Internationalität und Coolness - nicht nur von den musikalischen Vorlieben mit den Vorbildern aus USA und Paris verbunden, man spürt an den Exponaten den Zeitgeist von Aufbruch, Freiheit und Improvisation als Handlungs- und Lebenskonzept.

LPs, Plakate, Instrumente und natürlich entsprechende Musik aus der Zeit lassen die Besucher in diese Vergangenheit eintauchen. Apparate wie Röhrenradio und Plattenspieler geben uns Heutigen eine Ahnung davon, wie Musikreproduktion lange vor mp3s und Streaming funktionierte und klang. Auf dem Plattenspieler liegt eine Original-Aufnahme (eine Disque Pyral!) vom new jazz quintet wanne, die ebenso wie der Filmausschnitt aus einem WDR-Beitrag aus 1962 eindrucksvoll demonstriert: In der Jazzwanne wurde höchst professioneller Modern Jazz geboten.

Lokalkolorit mit Kohleeimern und Bierfässern

Der zeittypische Bollerofen und Kohleeimer, alte Bierfässer als Tische, Bierkästen-Türme rekonstruieren oder zitieren vielmehr das „Lokal“-Kolorit. Und dazu zählt natürlich auch der obligatorische Aschenbecher - mit Original-Hartmut-Beifuß-Kippen, eigens für die Ausstellung zusammengeraucht. Ja, geraucht wurde damals unendlich viel, Zigarettenrauch gehörte zur clubgemäßen Coolness und zur Bildästhetik der Fotografien. Und der Club hat es von Anfang an nicht leicht. Es gibt keine wie auch immer geartete Unterstützung, im Gegenteil, Nachbarn beschweren sich über Ruhestörung. Zum diesbezüglichen Vorwurf ist eine schriftliche Stellungnahme an die Polizei aus dem Anfangsjahr dokumentiert. Dieser ist übrigens auch eine aufschlussreiche Selbstdefinition des Clubs zu entnehmen: Man versteht sich als Vermittler des „echten Jazz“ und grenzt sich explizit ab von jeglicher Vereinsidee.

Das schlüssige Ausstellungskonzept setzt die Geschichte des Clubs Jazzwanne in den allgemeinen kulturellen Kontext von Politik, Literatur, Musik. Allen Ginsbergs Howl und Jack Kerouacs On the road werden zitiert und in Originalausgaben ausgestellt. Verwiesen wird etwa auf die Verbindung von Jazz und Black Lives Matter im Text von James Baldwin, auf den Hörspielklassiker Der Tod des James Dean von Alfred Andersch von 1959. Plakate dokumentieren die Konzerte. Gleichzeitig belegen sie die Veränderungen im Plakatdesign.

Der Ausstellungsreigen endet nicht mit der Schließung der Jazzwanne und ihrem traurigen Abriss in 1967. Verwiesen wird auf die Wirkung des Clubs auf die jüngere Musikergeneration. Im Kontext der Jazzwanne entwickelte sich nämlich ein fruchtbares Biotop von Musikern, die bis heute aktiv dem Jazz und der improvisierten Musik verpflichtet sind: Eckard Koltermann , Georg Gräwe, Karl-Heinz Blomann, Ingo Marmulla - allesamt in ihren Anfängen gefördert von ihrem Musiklehrer am Gymnasium Eickel, Winfried Kocea. Der Schlagzeuger Achim Krämer brach die Schule ab und konzentrierte sich voll und ganz auf seine Musik. Er ist übrigens aktueller Preisträger des WDR Jazzpreises 2022 in der Kategorie Improvisation.

"Behördliche Ignoranz gegenüber dem Jazz"

Die Auseinandersetzung mit dem damaligen Stadtdirektor und Kulturdezernenten Joachim Hengelhaupt („Die Flöte“) zeigt in der Ausstellung exemplarisch die behördliche Ignoranz gegenüber dem Jazz. Der damalige Stadtdirektor und Kulturdezernent hatte so gar kein Verständnis für Jazz und improvisierte Musik, dafür umso mehr für Alte Musik, ihm ist immerhin das bis heute renommierte Festival für diese Musikrichtung zu verdanken. Im Interview bringt Hartmut Beifuß ein anderes Beispiel für die damalige Verachtung dem Jazz gegenüber: Man beharrte behördlicherseits auf die Zahlung von Vergnügungssteuer für ein Jazzkonzert, weil diese Musik keinem „wirklichen Kunstinteresse“ diene.

Der Museumsrundgang endet mit einem Foto von der Gruppe Pöhl Musik, für das kein Geringerer als der New Yorker Fotograf David LaChapelle verpflichtet wurde.

Die überaus sehenswerte Ausstellung ist frei von nostalgischer Verklärung der Vergangenheit. Sie ist als jazzgeschichtliche Dokumentation im Brennglas der Lokalgeschichte zu sehen, die Einbettung in (kultur-)historische Zusammenhänge verdeutlicht ihren exemplarischen Ansatz. Davon kann man sich überzeugen im

Heimatmuseum Unser Fritz
Unser-Fritz-Straße 108
44653 Herne

4. November 2021 bis 13. Februar 2022
https://www.herne.de/Kultur-und-Freizeit/Museen/Emschertal-Museum/Heimatmuseum-Unser-Fritz/Ausstellungen/

Überzeugend ist auch der aufwändig produzierte und vertiefende Katalog:

Ralf Piorr (Hg.): jazzwanne. Geschichte, Movement und urbane Kunst. Herne 2021. adhoc Verlag

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