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„Jazz we can!“ statt Selbstmitleid

Gehaltvoller Insidertalk beim Jazzclub Hürth

Hürth, 29.03.2017
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Moderator Thomas Bachmann hatte die Studie gründlich „Jazz we can“ gelesen. Spontan fragte er, ob das Pianospiel zur Begrüßung von Till Schumacher nun „Grundlagenforschung“ sei, wie es die Studie formuliert. Nun, jede Jazzimprovisation verkörpert im Kern diesen Aspekt. Bei der Podiumsdiskussion im Jazzclub Hürth wirkte Schumachers kultivierter Pianojazz vor allem funktional. Auf dem Podium diskutierte der Journalist und Musiker Thomas Bachmann mit der Pianistin Laia Genc , dem Jazzprofessor Frank Haunschild und dem Konzertveranstalter Bernd Zimmermann und Mit-Autor der Studie „Jazz we can“ des nrwjazz e.V..

Zunächst gab es eine Hiobs-Botschaft: Die mit großer Spannung erwartete NRW-Kultusministerin Christina Kampmann hatte in buchstäblich letzter Minute abgesagt. Aber mit einer gut gelaunten Brigitte Dmoch, Landtagsabgeordnete für den Rhein-Erft-Kreis, war die Politik dennoch vertreten.

Zu Beginn ging es um die real existierende und gesellschaftliche Relevanz des Jazz. Aber bevor man zu sehr abhob, fokussierte es sich auf die Realität der Musiker, Veranstalter und letztlich auch der „Konsumenten“, also des Publikums. All diese Gruppen waren an der lebhaften Diskussion beteiligt - wie auch diese Gruppen von der Studie des nrwjazz e.V. in den Blick genommen werden.

„Jazz ist mein Leben. Es ist ein freies Leben. Ich kann viel selbst gestalten“, thematisierte Frank Haunschild eben das, was bei vielen die Leidenschaft ausmacht. Sie ist groß genug, um auch ökonomische Vogelfreiheit in Kauf zu nehmen. Zwar habe Haunschild mit einer Professur an der Kölner Musikhochschule ein erträgliches „Auskommen mit dem Einkommen“, aber ohne jene Mischkalkulation, welche Laia Genc als weitgehend alternativlos beschrieb, geht es auch bei ihm nicht. Das Dasein als Jazzer sei ein Miteinander aus üben, spielen, auftreten und zugleich unterrichten. Wer das nicht möchte, hat eventuell noch als Bassist eine Chance, denn die sind immer gefragt. Aber wer hier überleben will, muss schon 7 Tage in der Woche on the road verbringen.

Fast schon reflexartig erfolgt in diesem Moment der Ruf an die Politik nach Förderung. Dabei war den Diskussionsteilnehmern aber an einer differenzierten Betrachtung gelegen. Wörter wie Arbeitsmarkt fielen - deshalb interessierte sich auch das NRW-Wirtschaftsministerium für eine Analyse der Jazzszene in NRW.

Haunschild und Genc bestätigten aus eigener Erfahrung das immense Potenzial. Wohin mit allen? Während den Klassik-Musiker die (auch schon extrem umkämpfte und damit leise) Chance auf eine Orchesterstelle gegeben ist, gibt es zum Beispiel für Jazzer nur vier ganze Bigbands, worauf Thomas Haberkamp (Geschäftsführer des Landesjugendjazzorchesters NRW) hinwies.

Das Ergebnis: Es braucht mehr Spielstätten, von denen der Gastgeber des Abends, der Jazzclub Hürth eine typische ist. Hier wird unter der Federführung von Günter Reiners fleißig programmiert, geplant und organisiert – und das alles ehrenamtlich, was nicht immer nur Spaß ist. Die Studie „Jazz we can“ hat diese Problematik genauer unter die Lupe genommen und kam zu einem verblüffenden Ergebnis: Nahezu alle Musikerinnen und Musiker sind an den Hochschulen (zeit- und kostenaufwändig!) ausgebildet worden, während sich rund 95 % der Veranstalter in einem Hobby-Status befinden. Laia Genc formulierte es drastisch: „Wir buttern zu Beginn unserer Karriere unglaublich viel rein. Das steht im krassen Widerspruch zur Veranstaltungslandschaft. Da arbeiten so viele auf dem Rücken der eigenen Lebenskraft und man kann denen nur dankbar sein. Warum müssen so so viele Leute ausgebildet werden, wenn am Ende gesagt wird, guckt mal wo ihr bleibt!“

Gerade auf der Schiene der Veranstalter ist eine Förder-Ungerechtigkeit offensichtlich. Die Kulturförderzahlen, welche Bernd Zimmermann aus der Studie zitierte, ließen im Publikum so manchen tief durchatmen. Erkenntnis: Eine der zahlenmäßig größten Jazzszenen in Europa kommt in den Förderberichten kaum vor. Jazz rangiert als winziger Zwerg zwischen den Riesen der „Hochkultur“ wie Klassik, Oper, ja selbst Tanz. …

Die Diskussionen um Kultur sind gerade in Zeiten knapper Kassen (?) von emotionaler Brisanz. Axel Krieger, Theaterleiter beim Schauspielhaus Bergneustadt, reagierte deshalb sehr empfindlich, als er aus diesen Erläuterungen das ewige Lamento von den armen, gebeutelten Jazzern und die ebenso gebetsmühlenartige Neiddebatte gegenüber Oper und Co. heraus zu hören glaubte. Die Podiumsteilnehmer stellten aber schnell klar, dass keiner anderen Kultursparte etwas abgesprochen werden soll, denn nur gemeinsam kann dem verflachenden und aus rein wirtschaftlichen Interessen agierenden Mainstream etwas begegnet werden. Hierbei spielt der Jazz eine tonangebende Rolle. Dabei müssen einfach Zahlen auf den Tisch, um die eklatanten Defizite deutlich zu machen.

Der Jazz braucht mehr und neues, vor allem jüngeres Publikum. Akteure, also auch Musiker, haben ein Mandat bei dessen Generierung. Frank Haunschild appellierte hier, dass letztlich Publikum bekommt, wer gut ist. Am wichtigsten sei hier: Üben, üben, üben! Disziplin als Basis zur Freiheit.

Jazz braucht keine Debattenredner, sondern Bewusstseinsbildung, warf Axel Krieger ein. Als erstes ist mit der ärgerlichen Konnotation von Jazz als Nischenkultur aufzuräumen. Spontaner Beifall! Das geht aber nie ohne treffsicheres Marketing, weiß Laia Genc aus eigener Erfahrung: „Du musst lange Kampagnen fahren, um erfolgreich den Konzertsaal oder Jazzclub voll zu kriegen. Dafür musst Du Geld investieren“.

Aus dem Publikum kam der Einwand, dass das Informationsangebot über Jazz nach wie vor sehr dürftig sei. Auch das deckt sich mit den Umfrageergebnissen im Rahmen der Studie. Es mangele eben an „flächendeckenden Begegnungen mit dieser Musik“ ( Laia Genc ).“ Es gibt vermutlich noch viele Menschen, die gerne viel mehr erfahren wollen. Neugierig ist übrigens auch MdL Brigitte Dmoch geworden. Zu Beginn antwortete sie noch offen und ehrlich auf Thomas Bachmanns Frage nach ihrem Bezug zu Jazz, dass sie keine Kennerin sei, fand sie die Atmosphäre im Hürther Jazzclub sehr anregend und die gehaltvolle Diskussion sehr aufrüttelnd! Da geht sicherlich noch was....

Wo das Publikum in Würde ergraut, wird Nachwuchsförderung immer wichtiger. Laia Genc hat in vielen selbst initiierten (und oft auch selbst bezahlten) Projekten Wege sondiert, wie man ganz junge Menschen für den Jazz „kriegen“ kann. „Vor allem im Alter zwischen 9 bis 11 sind Kinder besonders aufnahmefähig für jede Form von Musik“. Aber Nachwuchsprojekte brauchen Geld, also auch Förderung. Die Klassik ist da schon weiter.Große Sinfonieorchester touren regelmäßig mit maßgeschneiderten Projekten durch den Schulalltag. Sowas braucht auch der Jazz und der Nachwuchs braucht Jazz, als die wohl „klassischste“ Form musikalischer Kreativität und universeller Kompetenz.

Nahezu sämtliche Anwesenden urteilten differenziert genug, um nicht plakativ die Vorbilder anderer Länder, wie eine staatliche Exportförderung in Skandinavien oder die zentralistische Organisation von Kulturfestivals in Frankreich auf die Situation in Deutschland übertragen zu wollen. Durch das förderale Prinzip mahlen die Mühlen bei der Umsetzung neuer Kulturförderinitiativen hier nun mal langsamer.

Umso mehr geht es darum, Politiker in die Verantwortung zu nehmen und Bewusstsein zu schaffen. Verschiedene Anfänge sind gemacht. Das neue Leuchtturmprojekt eines sechsstellig geförderten Europäischen Zentrums für Improvisierte Musik in Köln (Stadtgarten) deutet auf einen Klimawandel hin. Noch viel mehr kommt es auf eine flächendeckende Belebung der Szene an. Stellschrauben gibt es bei der Situation der Freiberufler, in Sachen Auftrittsmöglichkeiten und vor allem solider, fairer Arbeitsbedingungen für Programmverantwortliche. Und es braucht Instrumente, den Jazz fürs Publikum entdeckbar zu machen. Das hat auch etwas mit Grundlagenforschung zu tun.

 

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