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Jazz and beyond

Interview mit José Díaz de León

Köln, 16.04.2021
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam

Josè Díaz de León war zu Gast in der Sendung Jazz and beyond bei Uwe Bräutigam im Internetradio 674fm. Das Gespräch wurde am 11.4. live gesendet.

José, Du bist Gitarrist, Komponist und Du singst auch. Stilistisch bist Du ungemein breit aufgestellt. Du spielst Gypsy Swing in der Tradition des Hot Clubs mit der Band Antiqua und mit dem José Díaz de León Trio spielst Du Standarts und Eigenkompositionen. Ich habe Dich auch mit FOXL, der Band von Rodrigo Lopez Klingenfuß mit Musik erlebt, die von Neuer Musik über Rock zu Jazz reicht und ich habe Dich Stadtgarten mit Four Suns zusammen mit Todd Clouser und Matthias Schriefl gehört. Aber heute bist Du hier, weil Du mit Deiner Band Pangea Ultima ein neues Album herausgebracht hast: Camina a Mictlan (Weg zur Unterwelt) .

Hallo José, schön, dass Du zu “Jazz and beyond“ gekommen bist.

José Díaz de León: Hallo Uwe, freue mich hier zu sein.

Bevor wir über Dein neues Album sprechen, eine Frage zu Deiner Person. Du bist Mexikaner und Deutscher, wie verhält sich das?

José Díaz de León: Ja, das ist lustig, denn beide Kulturen sind unterschiedlicher, wie sie kaum sein können. Auf der einen Seite, das Leben leben und nicht an Morgen denken und feiern. Auf der anderen Seite planen und Sicherheit. Das ist natürlich eine sehr gegensätzliche Welt, die aufeinander kommt. Aber ich habe das zu Hause mit meinen Geschwistern und meiner Familie immer cool hinbekommen. Ich habe auch viele Freunde, die auch diese Bikulturalität haben und pflegen. In Köln gibt es viele Menschen, die aus Mischkulturen stammen, das ist eine spannende Sache.

Ein Elternteil ist also mexikanisch?

José Díaz de León: Genau, mein Vater ist Mexikaner und meine Mutter ist Deutsche.

Und Du bist teilweise in Mexiko und in Deutschland aufgewachsen?

José Díaz de León: Ich habe meine Kindheit in Mexiko verbracht, bis ich zwölf Jahre war und dann sind wir wieder nach Deutschland gezogen. Ich bin aber viel in Mexiko.

Du hast mit Deiner Band Pangea Ultima nun Dein zweites Album veröffentlicht. Ich erinnere mich noch gut an ein Konzert von Dir im Alten Pfandhaus, wo Du Dein erstes Album vorgestellt hast, das mir sehr gut gefallen hat. Kannst Du den Hörer*innen den ungewöhnlichen Bandnamen Pangea Ultima kurz erklären?

José Díaz de León: Pangea Ultima ist der Kontinent, der in 250 Millionen Jahren entstehen soll. Alle Kontinente bewegen sich aufgrund der tektonischen Plattenverschiebung und die Erde wird irgendwann einen riesigen Kontinent haben. Früher gab es den großen Kontinent Pangea, der auseinanderbrach und irgendwann in der Zukunft wird alles wieder zusammendriften zu Pangea Ultima. Für mich ist das eine Inspiration, ein Bild für die Grenzenlosigkeit der Kultur. Alles ist immer aus Vermischung entstanden. Es bietet mir die Freiheit alle meine kulturellen Einflüsse kompositorisch zu integrieren in meine Musik.

Wir haben gerade mit Hasta Siempre von Nathaly Manser ein wenig Revolutionsnostalgie aus Kuba gehört. Auch das Eingangsstück auf Deinem Album hat eine Beziehung zu Kuba: El Floridita, das berühmte Lokal in dem Hemingway sich gerne betrunken hat.

José Díaz de León: El Floridita, hieß ursprünglich Joscholero, das Stück habe ich für Joscho Stephan geschrieben. Der Arbeitstitel setzte sich aus Joscho und Bolero zusammen. Das erschien mir für das Album etwas kindisch und wir haben mit der Band überlegt, was ein Titel sein könnte, der mehr Inspirationsspielraum bietet. Und ich habe mich an meine Kuba Reise erinnert, wo ich den Tres [kubanische Gitarre] Spieler Cecar [Hechavarria] el Lento kennenlernte, der im El Floridita immer auftritt und er hat mir einiges auf der Tres gezeigt. Kuba ist musikalisch ein sehr besonderes Land ist. Es war die Insel auf der die Spanier zuerst gelandet sind. Die Kolonialisierung hat dort begonnen, dort wurden die Sklaven aus Afrika hingebracht. Dort trafen zum ersten Mal die Kulturen aufeinander. Und bis heute ist die kubanische Musik wahnsinnig interessant und vielfältig. Das war für mich ein Start für die Reise in die mexikanische Unterwelt (Mictlan), man sitzt entspannt am Tresen, trinkt etwas und auf einmal geht die Reise los.

Vielleicht noch ein Satz zu Joscho Stephan.

José Díaz de León: Joscho Stephan war mein Lehrer und ist zu einem Freund geworden. Er ist hier in der Region der begnadetste Sinti Gitarrist, Joschos Großmutter ist tatsächlich auch Roma gewesen. Er hat mir ganz viel Inspiration gegeben und mir viel gezeigt.

Nun spielen wir El Floridita.

José Díaz de León: An der E-Gitarre war Joscho Stephan, Roman Fuchs am E-Bass, Diego Pinera am Schlagzeug, Christian Fehre an den Congas, Roland Peil an den Marcas, Julian Bossert am Altsaxophon und ich spiele die kubanische Tres.

Es gibt in Mexiko eine Figur, die ein wenig dem Pocahontas Mythos ähnelt: Malinche. Sie wurde 1505 als Tochter einer aztekischen Familie geboren, dann an die Mayas verkauft und mit 14 Jahren mit 20 anderen Mädchen dem spanischen Eroberer Cortés als Geschenk übergeben, als Ehrerbietung. Sie wurde dann zur Geliebten von Cortés und aufgrund ihrer Sprachbegabung hat sie viele Verhandlungen mit den indigenen Völkern geführt. Sie war also stark am Erfolg der Eroberung Mexikos durch die Spanier beteiligt. Sie hat den Eroberern den Weg bereitet. Das machte sie zu einer Verräterin, die ihr Volk an die Eroberer ausgeliefert hat. [Wir hören nun von Lila Downes das Stück Malinche]. Wie wird die Figur Malinche heute in Mexiko gesehen?

José Díaz de León: Malinche ist ein ganz aktuelles Thema in Mexiko. Malinche ist eine der widersprüchlichsten Frauen der Weltgeschichte. Früher wurde sie als Verräterin gesehen, die Verrat am aztekischen Volk verübt hat, in dem sie viele Geheimnisse der Azteken an die Spanier weitergegeben hat. Gleichzeitig gilt sie als die Urmutter der Mestizen. Die Mexikaner sind ein Volk, das sich aus 70 indigenen Völker, den Spaniern und den afrikanischen Sklaven zusammensetzt, so ein kultureller Reichtum. Malinche ist eine der ersten Frauen, die Mestizen in die Welt gebracht hat. Sie hat als Geliebte von Cortés Kinder bekommen und noch zwei weitere von anderen Spaniern. Heutzutage bei der Aufarbeitung der Geschlechterrollen, wird sie nicht mehr nur als Verräterin gesehen. Wie auch in dem Lied von Lila Downes zu hören war, ist sie eine zwiespältige Person, die auch Gutes bewirkt hat. Sie war eine sehr intelligente Frau, die Spanisch gelernt, viel übersetzt, letztendlich ist sie in einem geschichtlichen Zusammenhang eine Schlüsselfigur gewesen, die viel Einfluss hatte. Die Figur ist total spannend.

Es gibt noch eine andere Figur, die in Mexiko eine Rolle spielt, das ist Catrina, sie ist rein mythologisch. Und hat eine große Bedeutung am Día de los Muertos, dem Tag der Toten. Ich habe diesen Tag im mexikanisch geprägten Mission District in San Francisco miterlebt. Die Mexikaner waren als Leichen geschminkt, überall die Totenaltäre, es war sehr beeindruckend. Du hast dieser Catrina, bzw. dem Tanz der Catrina ein Lied gewidmet.

José Díaz de León: Catrina ist ja selbst am Kölner Karneval oft zu sehen. Es ist jetzt Mode geworden sich so zu schminken. Der mexikanische Umgang mit dem Tod, ist ein sehr fröhlicher, sehr lebendiger. Der Tod wird nicht negiert und tabuisiert, wie es hier in Deutschland oft ist. In Mexiko wird mit den Toten gefeiert, sie sind immer bei uns, wir haben keine Angst davor. Wir wissen, das Leben ist endlich, deshalb sind wir umso mehr im Hier und Jetzt. Catrina spielt dabei eine Schlüsselrolle.

In dem Stück Baile de Catrina, Tanz der Catrina, spielt neben den anderen oben genannten Musikern (ohne Joscho Stephan) Daniel Manrique-Smith an der Flöte[von der Band Jin Jim] mit. Er hat auf dem Stück live einen Loop aufgenommen. Roland Peil spielt die kubanischen Rumbas, das gibt dem Ganzen eine bestimmte Lebendigkeit.

[Nach Baile de Catrina wurde das Stück Anouman von Django Reinhard von Angelo Debarre gespielt – aus Anlass des Welt Roma Tages am 8.4.]

José, auch Du spielst – sagt man das heute noch - Gypsy Jazz?

José Díaz de León: Es gibt viele Bezeichnungen. Mir gefällt Jazz Manouche gut, manche sagen Gypsy Swing, Sinti Swing. Man möchte sich von dem Begriff Gypsy wegkommen. Sinti Swing ist wohl die korrekte Bezeichnung.

Was hat Dich inspiriert, dass Du Dich dem Sinti Jazz zugewandt hast?

José Díaz de León: Ich finde die Unverkopftheit unheimlich inspirierend. Es ist Gitarrenmusik par excellence, die Gitarre ist im Prinzip auch das Schlagzeug in dieser Stilrichtung. Schon in Zeiten des Studiums habe ich in einer Sinti Jazz Combo mitgespielt. Dann die Begegnung mit Joscho Stephan. Ich war im Sommer oft in Samuis-sur-Seine, das ist die kleine Stadt in der Django Reinhard begraben liegt. Dort findet jedes Jahr ein sehr schönes Festival zu seinen Ehren statt, wo Jazzgrößen aus der ganzen Welt, wie Pat Metheny oder Avishai Cohen, spielen. Viele junge Sinti Musiker lernen autodidaktisch ganz tolle Sachen mit ihrem Instrument. Da ist unheimlich viel Talent und es ist völlig unakademisch. Mich fasziniert auch die Person von Django Reinhard, der nicht nur Verfolgter war, sondern auch aufgrund seiner Behinderung solch großartige Musik geschaffen hat. Als Sinto ist er gereist. Dieses rastlose, dieses nicht verwurzelt sein fasziniert mich. Er ist in Belgien geboren, hat einen deutschen Namen, ist in Frankreich berühmt geworden und hatte Einflüsse des Jazz aus den USA. Er war ein Kosmopolit. Er zeigt mir, dass wir immer Musik irgendwo regional zu verorten wollen, dabei ist Musik nirgendwo gebunden. Besonders heutzutage, wo du Musik jederzeit und überall hören kannst. Django Reinhard war schon in den 30er Jahren ein Vorreiter, der verschiedene Kulturen zusammenbrachte und ein Verständnis von Offenheit im Jazz hatte. Für mich war er gerade als Gitarrist ein großer Einfluss.

Nun kommen wir endlich auch zu Mictlan, zur aztekischen Unterwelt. Das ist der Titel des letzten Stückes auf Deinem Album.

José Díaz de León: Mictlan, das ist die Unterwelt der Azteken, die man in neun Stufen erreicht. Laut der aztekischen Mythologie ist die Welt fünfmal erschaffen worden. In der vorletzten Stufe dieser Neuerschaffung der Welt ist der Halbgott Quetzalcoatl, die gefiederte Schlange, in die Unterwelt gestiegen, nach Mictlan, um uns Menschen zu retten. Er hat die Gebeine der Menschen aus der Unterwelt auf die Erde gebracht und hat daraus uns heutige Menschen erschaffen. Wir leben also im Zeitalter der fünften Sonne, laut aztekischer Mythologie. Diese Reise ins Verborgene, ins Andere, dieser Dualismus vom Hier und dem was wir gar nicht kennen, das wovor wir Angst haben, hat für mich als Mexikaner eine große Faszination. Wir Mexikaner leben immer noch mit diesem Reich der Azteken, das untergegangen ist. Und wir wissen sowenig darüber, die Kolonisatoren haben ja alles verbrannt und die europäische Geschichte darauf projiziert. Die ganzen Werte dieser untergegangenen Kultur leben in Mexiko immer noch. Zwischen den Zeilen sind die Sachen noch da und haben eine eigene Magie. Auch dieser Weg nach Mictlan, ist ein Weg zu einer Wiedergeburt. In der heutigen Zeit der Pandemie, wo sich so viel verändert, wo wir uns so zurückschrauben und uns Gedanken machen, wie war das Leben vorher und was soll danach passieren, haben wir auch eine Chance in uns zu gehen. Wir könnten auch die Sachen hinter uns lassen, die unseren Planeten zerstören. Das alles war der Hintergrund warum das Album Camino a Mictlan – Weg in die Unterwelt – heißt. Musikalisch habe ich das so umgesetzt, in dem ich verschiedene Kulturen zusammenbringe. In dem Stück Mictlan ist der Dron eines Didgeridoo und das Spiel einer Sitar, die ein Intro bilden. Die Sitar spielt Hindol Deb und Didgeridoo spielt Washkar Schneider.Danach entwickelt sich dann das Thema. Das Didgeridoo hört man die ganze Zeit und durch diese psychodelischen Effekte bekommt das Stück einen spooky Charakter.

Das Stück ist ein schönes Beispiel für das Zusammenbringen von unterschiedlichen Musikkulturen, das deine ganze Musik durchzieht.

Wir werden nun ein Stück von Joscho Stephan hören – Samba pa ti von Carlos Santana – wir haben ihn ja eben schon auf Deinem Stück El Floridita gehört. Du bist eng mit Joscho verbunden, es war ein wichtiger Lehrer für Dich.

José Díaz de León: Ja, Joscho hat mir einiges auf der Gitarre gezeigt. Und dann hat ermich gefragt ob ich für seinen Vater, der Rhythmusgitarre spielt, einspringen könne. Dann hat er auch bei meinen Konzerten immer wieder mal mitgespielt. Joscho ist einfach ein vielseitiger Gitarrist, der einfach Spaß am Spielen hat und ganz unverkopften Jazz macht. Man kennt ihn als reinen Sinti Jazz Gitarristen, aber er kann auch vieles anderes, kann auch E-Gitarre spielen, er spielt auch Latin und wird auch demnächst im King Georg spielen. Ein super cooler Typ.

Wir werden gleich etwas von Joscho hören. Ich möchte mich hier von Dir verabschieden und mich für Dein Kommen bedanken.

https://www.josediazdeleon.de/

https://674.fm/


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