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Interview mit Chris Hopkins

Stride Piano, Streaming und Spotify

Bochum, 01.05.2021
TEXT: Chris Hopkins, Heinz Schlinkert | FOTO: Sascha Kletzsch, Heinz Schlinkert

Chris Hopkins ist als Stride- und Swing Pianist einer der bekanntesten Jazz-Musiker in Deutschland. Ebenso unterrichtet er an der Musikhochschule Köln den Jazz-Nachwuchs. Er ist weltweit als Sideman gefragt, hat aber auch eigene Bands wie z.B. die Jazz Kangaroos, mit denen er im letzten Jahr eine Live-CD veröffentlichte, die vor kurzem in Paris mit dem *COULEURS JAZZ HIT* ausgezeichnet wurde. Mit seinem Alt-Saxofon als Zweitinstrument überrascht er bei Konzerten im 2. Set immer wieder das Publikum.

nrwjazz: Hallo Chris. Vor kurzem erschien das Album Stride Piano Kings, auf dem du zwei Stücke spielst. Das Album wurde von dem Schlagzeuger Guillaume Nouaux herausgegeben. Wie kam es dazu und was ist das Besondere daran?

Chris: Guillaume Nouaux ist einer der besten Schlagzeuger Frankreichs, ein Typ, der so ziemlich jeden Stil spielen kann. Sein Timing ist unglaublich sicher, wie die Kraft einer Welle, auf der man komfortabel mit einem Surfbrett reitet und sich tragen lassen kann. Er hatte diese Idee, mit vielen seiner Lieblingspianisten im Duo zu spielen. Die anderen fantastischen Piano-Kollegen kommen aus den USA und mehreren europäischen Ländern und repräsentieren jeweils ihre individuellen musikalischen Persönlichkeiten – hier im übergeordneten Rahmen des Stride Pianos. Ich denke, es ist auf diese Weise ein wirklich schillerndes musikalisches Kaleidoskop entstanden.

Willow Weep For Me - Chris HOPKINS (piano), Guillaume NOUAUX (drums)

nrwjazz: Du hast für STRIDE PIANO KINGS den Prix de l'Académie du Jazz und den Grand Prix du Disque de Jazz du Hot Club de France bekommen. Was bedeutet das für dich?

Chris: Dies sind zwei der wichtigsten französischen Jazz-Preise, zumal beide legendären Institutionen bereits seit Jahrzehnten existieren. So freue ich mich sehr für alle Beteiligten und fühle mich natürlich sehr geehrt. Beide Awards durfte ich übrigens erfreulicherweise vor Jahren schon einmal entgegen nehmen. Das besondere am Prix de l'Académie du Jazz ist, dass er, anders als bei Preisen in Deutschland, u.a. in unterschiedlichen stilistischen Kategorien - hier z.B. „Jazz Classique“ - vergeben wird. Frankreich hat eine längere und andere Jazz-Tradition als Deutschland, so dass auch die klassischen Jazz-Stile hier eine entsprechend hohe Wertschätzung genießen.

nrwjazz: Kannst du unseren Lesern erklären, was Stride Piano eigentlich bedeutet?

Chris: Stride Piano ist ein hochvirtuoser Solo-Stil, der um die 20er Jahre herum aus dem Ragtime entstanden ist. Meister des Genres waren beispielsweise Fats Waller oder James P. Johnson. Die linke Hand spielt dabei einzelne Bass-Töne oder Dezimen im Wechsel mit Akkorden, wodurch ein vollständiger orchestraler Sound entsteht, der bestenfalls einen Kontrabass verzichtbar macht. Dabei absolviert die linke Hand Sprünge - Stride steht ja für ‚Sprung‘ - die manchmal über 2 Oktaven oder mehr gehen. Im Grunde genommen ist dies wohl der technisch anspruchsvollste Klavierstil des Jazz, weil man tatsächlich das gesamte Instrument bedient und mit zwei unabhängigen Händen mehrere hochkomplexe Aufgaben gleichzeitig erledigen muss. Da es tatsächlich eine unglaubliche Herausforderung ist, dies alleine technisch zu meistern, versuchen sich die wenigsten daran. In einer Rhythmusgruppe mit Kontrabass ist es da schon sehr viel komfortabler. Stride Piano ist , besonders in schnelleren Tempi, ein sehr kraftvoller und mitreissender Stil, der eine unvergleichliche Lebensfreude verbreiten kann.

nrwjazz: Wie gehst du mit der aktuellen Krise und den Entwicklungen im Kulturbereich um? Sind Konzert Streams eine Notlösung für dich oder hat das Zukunft?

Chris: Viele der aktuellen Änderungen nach dem Infektionsschutzgesetz kann ich nicht recht nachvollziehen, der Kulturbereich findet kaum Beachtung. Warum sind – parallel zu Öffnungen anderer Branchen - nicht zumindest Outdoor-Konzerte mit den üblichen Sicherheitsmaßnahmen möglich?
In diesem Zusammenhang nimmt die Bedeutung von Konzert-Streams zu, wovon ich zugegebenermaßen persönlich kein großer Fan bin. Gleichwohl verstehe ich, wenn viele Kollegen das machen, um sichtbar zu bleiben und auch um Einnahmen zu generieren. Auch wenn sich das noch ändern kann, habe ich mich bis jetzt da weitestgehend rausgehalten, denn ich sehe darin auf Dauer schon eine Gefahr der Entwertung der Musik. Da wir seit Jahren gelernt haben, dass die meisten digitalen Angebote kostenlos sind und dass alles, was im Internet verfügbar ist, kein echtes emotionales, gemeinschaftliches und menschliches Erlebnis bietet, ist ja verständlicherweise auch kaum jemand bereit, dafür ähnlich viel zu bezahlen wie Live.
Der Zauber von Musik ist doch, wenn jemand erzählt ‚Ich war in Woodstock dabei‘ oder ‚Ich hab die Beatles oder Duke Ellington gesehen‘ oder ein tolles Konzert seiner Lieblingsmusiker in seiner Stadt. In meinen Augen geht es dabei auch um die Vergänglichkeit und die Einmaligkeit, welche den unersetzlichen Wert des Live-Konzertes darstellt. Es ist ja nicht nur die Musik, es ist doch vor allem die gemeinsame Energie eines Abends, die Kommunikation und Interaktion mit dem Publikum, die Moderation, der Humor, die Konzentration, die Begeisterung, die Freude, das Erlebnis. Alles das kann die digitale Welt nicht ersetzen, so bleibt es aktuell eine Notlösung. Bestenfalls sind wohl Streaming-Events wünschenswert - wie für mich z. B. im Herbst im King Georg in Köln - bei denen die Musiker aus einem existierenden Budget bezahlt werden (da die minimalen Streaming-Eintrittsgelder lediglich symbolischen Charakter haben) und das Konzert nur für begrenzte Zeit abrufbar bleibt, um besonders zu bleiben.
Vielleicht ist in Zukunft auch denkbar, Live-Konzerte durch ein zusätzliches Streaming-Angebot zu erweitern, um darüber zusätzlich Fans in aller Welt erreichen zu können.

CHRIS HOPKINS meets THE PARIS JAZZ ALL STARS 2.9.20 Kemnade Bochum

nrwjazz: Auch CDs werden ja immer mehr durch Plattformen wie Spotify verdrängt.

Chris: Ja, wir stehen auch hier vor riesigen Umbrüchen, das hat Vorteile aber auch viele Nachteile. Es ist sehr interessant zu sehen, wie in der Musikgeschichte die technischen Medien auch die Entwicklung der Musik selbst beeinflusst haben. Da stehen wir heute an ein einem entscheidenden Punkt. Wahrscheinlich gibt es bald überhaupt keine Alben mehr. Eine CD bringt eine natürliche Beschränkung auf eine bestimmte Titelanzahl mit sich, während im Internet das Musikangebot endlos ist. Ich bekomme u.a. über meine Studenten in Köln immer wieder mit, dass man sich darin verliert. Fokus und bewusstes Musikhören wird immer schwieriger ohne Orientierung und Begrenzung. Dazu liefern MP3s und Spotify selten Zusatzinformationen - welche Musiker spielen neben dem Bandleader auf dem Titel, wann und wo wurde das aufgenommen, wer ist der Komponist. Kein Booklet, kein Cover. Das ist ein riesiger Informations- und Qualitätsverlust.
Die weltweite Zugänglichkeit klingt zwar verlockend, aber wenn ich für 9,99€/Monat auf Spotify einen Account hab und ich kann Millionen von Titeln 24 Stunden nonstop hören, dann ist kein einziger Titel mehr irgendwas wert, zumindest nicht monetär. Die Musiker selbst verdienen im Grunde genommen gar nichts daran, weil die Plattformen über die Rechte verfügen und die Musiker keinen Einfluss auf die Verwertung ihrer Musik mehr haben. Eigentlich handelt es sich eine reine Werbeplattform, von der schwierig zu sagen ist, ob oder wie sie sich wirklich förderlich auswirkt. Im Augenblick gibt es auch in Musikerkreisen zu Recht viele Diskussionen darüber, ob Künstler Spotify nicht komplett boykottieren sollten. Es gibt mittlerweile aber auch etwas künstlerfreundlichere Plattformen wie „Bandcamp“ etc.
Viele Menschen haben mittlerweile verstanden, dass man sein Gemüse und vieles Andere besser beim Erzeuger, z.B. dem Bauern von nebenan direkt kauft. Dass man aber CDs und andere Musik-Formate am besten genauso persönlich bei seinem Lieblingsmusiker, z. B. beim Konzert oder in dessen Web-Shop (zu vollem Erlös für den Künstler) kauft, scheint oftmals der Bequemlichkeit und der nahezu kostenfreien Nutzbarkeit der digitalen Welt zum Opfer gefallen zu sein.

nrwjazz: Du spielst ja zwei sehr unterschiedliche Instrumente, was verbindest du jeweils damit?

Chris: Der Flügel ist orchestral, wie ein ‚Quast‘ schafft er vor allem mit Akkorden Klangflächen. Das Sax agiert dagegen linear auf Skalen wie ein ‚feiner Pinsel‘, es ist näher an der Stimme des Musikers, bei Konzerten auch meist näher am Publikum.

nrwjazz: Du wohnst in Bochum, bist aber oft längere Zeit weltweit unterwegs. Wie siehst du dich in der NRW-Szene?

Chris: Ich bin eng verbunden mit Köln, weil ich dort an der Musikhochschule seit 2005 als Dozent unterrichte und auch viele Musikerkontakte dorthin pflege. Die Jazzszene dort ist sehr kompakt, im Ruhrgebiet eher dezentral, aber auch sehr vielfältig. Ich sehe den gesamten Rhein-Ruhr-Raum als sehr besonders an, ähnlich lebendig wie New York, er bietet unendlich viele kreative Orte und Möglichkeiten und ganz nebenbei mit dem weiten Straßen- und Schienennetz sowie den diversen Flughäfen auch noch perfekte Reiselogstik zu internationalen Konzerten.

nrwjazz: Wie siehst du die Zukunft?

Chris: Ich habe viele Projektideen in der Schublade, und bin sofort am Start, wenn Konzerte wieder möglich sind, z. B. mit meiner jährlichen Piano-Friends Duo-Reihe im September oder der geplanten 3-Wochen-Tournee der Jazz Kangaroos. Ansonsten bin ich vorsichtig optimistisch. Wenn alles gut geht, könnten uns die nächsten ‚goldenen 20er Jahre‘ bevorstehen.

homepage Chris Hopkins

aktuelle CDs:

- Chris Hopkins meets the Jazz Kangaroos LIVE! VOL.1

- Guillaume Nouaux & The Stride Piano Kings THE STRIDE PIANO KINGS

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