Bild für Beitrag: Improvisieren, komponieren, interpretieren | Ute Völker im Gespräch
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Improvisieren, komponieren, interpretieren

Ute Völker im Gespräch

Wuppertal, 11.04.2016
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Werner Siebert (Bild rechts)

Viel über Musik geredet haben Ute Völker, die erfahrene Wuppertaler Improvisatorin und der freigeistige Münchener „Klang-Architekt“ Udo Schindler kaum, als sie im letzten Sommer mehrmals aufeinander trafen: „Wir haben einfach angefangen zu spielen und irgendwann wieder aufgehört.“ Genau darum geht es in der freien Improvisation. Entsprechend unmittelbar wirken die aufgenommenen Echtzeit-Dialoge zwischen zwei ungleichen Instrumenten. Ute Völkers raumfüllendes Akkordeonspiel ist ein symbiotischer Gegenpart zu Udo Schindlers höchst flexibler Gabe, Luftströme auf Klarinetten und Saxofonen auf allerhand Um- und Abwege zu schicken.

Sich-Hineinhören in die Ideenwelt des anderen - darin geht es immer, wenn Duos im freien Dialog miteinander aufspielen. Erfahrung, Intuition und Spontaneität reagieren miteinander. Ohne Netz und doppelten Boden und idealerweise vor einem hellhörigen Live-Publikum zu improvisieren heißt, für ein „Trial and error“ im positiven Sinne zu sensibilisieren. Aufschlussreiche Innenansichten dieses kreativen Prozesses gab Ute Völker im Gespräch mit nrwjazz zum Besten.....

Erzähl mal über das Projekt mit Udo Schindler!

Es begann ganz unspektakulär ohne große Absicht. Udo spielt ja zum großen Teil in kleinen Duos und Formationen in seinen Salons für Klang und Kunst, die er regelmäßig mit wechselnden Partnern und vor einem interessierten Stammpublikum in seinem Haus bei München veranstaltet. Dahin bin ich mehrmals angereist und wir haben dann einen ganzen Sommer lang regelmäßig gespielt. Auf der CD, die bald veröffentlicht wird, ist Material von einem einzigen Konzert, das auch nicht groß bearbeitet wurde. Letztlich ist alles so, wie es ist. Da war ja auch die Devise: Wir besinnen und mal auf kürzere Stücke, lösen uns von der ansonsten weit verbreiteten Gewohnheit, in langen Sessions ohne Punkt und Komme durch zu spielen. Wir haben uns hier bewusst gesagt: Wir besinnen uns auf den Punkt, wo sich das Material womöglich erschöpft hat, machen dann eine Pause und fangen neu an.

Wie funktioniert diese spontane Verständigung zwischen zwei Spielern, die sich vorher nicht oder kaum abgesprochen haben? Wie stellt man diese Übereinkunft her?

Man ist unheimlich wach bei so einem Zusammenspiel! Improvisieren ist komponieren und interpretieren in einem Vorgang. Dies birgt unheimliche Risiken, weil man nichts ausradieren kann, aber man merkt manchmal auch, jetzt ist ein Schlusspunkt. Wer ein Stück komponiert, hört ja uach irgendwo auf und fängt danach wieder neu an. In der Improvisation ist es meist eher so, dass man in einem Fluss bleibt – dann ist dort eine Leerphase und man hangelt sich weiter und vielleicht entsteht im Idealfall wieder etwas neues. Beim aktuellen Projekt mit Udo Schindler dominierte eher die Vorstellung, wir machen jetzt ein Stück – und wo es zu Ende ist, kommt ein neues. Aber es entstanden auch manchmal Prozesse, wo etwas Neues in etwas Bestehendes hineinfloss. Da war es für uns auch spürbar, dass die Spannung immer noch groß genug ist, um neues hervor zu bringen. Man muss in jedem Fall mutig genug sein, um den Punkt zu setzen. Um immer neu Entscheidungen zu treffen.

Die Stücke sind zwar zeitlich reduziert, aber sie spannen trotzdem Entwicklungsbögen.

Das stimmt. Aber so improvisiere ich ja auch. Ich habe mittendrin im Spiel durchaus dieses Bewusstsein, dass ich mich an einem bestimmten Punkt fühle, dass ich weiß, woher ich gekommen bin und für mich definiere, in welche Richtung ich gehen will. Noch spannender wird es zu zweit, wenn jemand anderes diesen Weg mitgehen will!

Beschreib nochmal die spezifischen Qualitäten einer Duo-Begegnung!

Im Duo stört erstmal kein dritter (lacht!). In einer größeren Gruppe ist die Aufmerksamkeit viel gestreuter. Man muss wahnsinnig präsent sein. In einer größeren Gruppe kann man/muss man sich auch mal etwas mehr zurück nehmen. Im Duo ist alles viel konzentrierter, weil man viel unmittelbarer aufeinander reagiert.

Die neue CD hat ja wirklich Schlüsselqualitäten, wenn man sich überhaupt zum ersten Mal in frei improvisierte Musik hinein hören will! Sie ermöglicht den Einstieg, um sich danach vielleicht mit noch abstrakteren Musiken auseinander zu setzen.

Inwiefern?

Dieser große Kontrast zwischen der Klangwelt Deines Akkordeons und Udos extrem wandelbaren Saxofon- und Klarinettenspiels macht die Aspekte von Kommunikation besonders plastisch erfahrbar. Beschreib doch mal selbst die Qualitäten von Udo als Musiker!

Udo agiert sehr stringent. Wenn er einmal an einer Sache ist, bleibt er sehr lange dabei. Es gibt ja auch Improvisateure, die sehr sprunghaft sind und wo das Konzept gerade dieser Sprunghaftigkeit liegt. Da wird meist nur kurz etwas angerissen, dann geht man sofort weiter. Udo und ich verfolgen auch sehr gerne Entwicklungen. Weil wir da so ein gemeinsames Verständnis haben, klappt es zwischen uns beiden auch so gut.Wir tauchen immer tiefer in eine Sache ein und können bei dem Material bleiben, ohne dieses wieder zu wechseln. Es hat viel damit zu tun, Vertrauen zu geben.

Der allererste Moment, wo man gemeinsam einsteigt, ist doch sicher mit Nervosität behaftet – vor allem live auf der Bühne?

Vielleicht war das früher einmal so. Aber heute ist da einfach nur viel Vertrauen, dass es passt! Und auch ein Vertrauen darauf, dass das Publikum nicht wegläuft.

Das Publikum ist auf den Improvisations-Salons oder vergleichbaren Veranstaltungen schon ein sehr geschultes Publikum, oder? Gibt es auch andere Erfahrungen?

Ich mache durchaus die Erfahrung, dass auch ein ungeschulteres Publikum sehr aufnahmefähig sein kann. Vor allem, sobald man vorher ein paar Leitfäden und anschauliche Erklärungen gibt - und auch musikalische Bezugspunkte zwischendurch setzt. Also dergestalt, dass es nicht einzig und allein geräuschhaft ist. Vor allem, wenn wir greifbare Bezugspunkte geben, entwickelt sich umso mehr ein gemeinsamer Prozess. Das könnte man dann in übertragenem Sinne so beschreiben, dass ich selber anfange, in meinem Spiel Geschichten zu erzählen und die Zuhörer dazu in ihrer Fantasie ihre eigenen Geschichten entwickeln. Wichtig ist dabei, vorher schon über das zu erwartende Publikum nachzudenken. Also überlege ich mir schon vor dem Auftritt, welches Material zu einem Publikum passen könnte. Was sich daraus entwickelt, ist natürlich immer ein Ergebnis des Moments. Aber es ist sehr befriedigend, hinterher zu spüren, dass wir ein Publikum erreicht und gepackt haben. Ich hatte kürzlich ein tolles Erlebnis, wo hinterher zwei ältere Damen auf mich zukamen, die sagten, es hätte sie sehr beeindruckt und tief bewegt. Ich glaube daher einfach, dass es nicht von vornherein so ist, dass frei improvisierte Musik nur ein Spezialistenpublikum hören kann.


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