Impressionen eines Masterclass-Workshops
Billy Hart in der Folkwang
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Ingo Marmulla
Gerade zwei Tage ist es her, dass Thomas Alkier, das Folkwang Aushängeschild des Drummings zusammen mit
Thomas Hufschmidt
in der Recklinghäuser „Schmiede“ war. Ganz beiläufig hatte er mich gefragt, ob ein Schlagzeug für den Abend zur Verfügung stünde, er müsse am Folgetag Billy Hart abholen, und er habe keine Lust, dieses mit einem Schlagzeug im Auto zu tun. Bei diesem Namen war ich zwar schon elektrisiert, aber zunächst mussten wir ja mal Musik machen ... Was wir auch taten.
Nach dem Job hab ich ihm dann eine SMS geschickt und angefragt, ob es denn eine Möglichkeit für mich gäbe, bei dem Workshop vorbei zu schauen. Am nächsten Tag kam prompt die Info. „Kein Problem! ... Pina Bausch Saal, 10-12 Uhr Sa Vormittag.“ Nun bin ich kein wirklicher Drummer, aber das Schlagzeugspiel hat mich, so wie wahrscheinlich die meisten Jazz- und auch Rockmusiker, in den Bann geschlagen – vermutlich zum Leidwesen der eigentlichen Schlagzeuger ...
Ich fahre also heute Morgen nach Essen, was sich bei den derzeitigen Straßenverhältnissen als schwierig darstellt, und komme nach einer guten Stunde in Essen-Werden an...Pina Bausch-Saal... Ich frage mich durch. Ein Schlagzeugstudent und ich sind um kurz nach zehn die ersten im Saal, und es bleibt auch im weiteren Verlauf teilnehmermäßig überschaubar. Ich hatte eigentlich bei dem Namen „Billy Hart“ an ein größeres Auditorium gedacht ...
Etwas später (die akademische Viertelstunde hatte ich fast vergessen) kommt Thomas mit seinem weltbekannten Gast in den Saal. Freundliche Begrüßung und Beginn der Veranstaltung.
Man sollte vielleicht an dieser Stelle ein paar Worte über den Protagonisten dieser Veranstaltung verlieren. Anfänglich in Washington mit Otis Redding und Sam & Dave unterwegs, gelangt Billy Hart an der Westküste zu den Montgomery Brothers, inklusive Wes Montgomery, mit dem er später bis zu seinem Tod spielen wird. Schaut man sich weiter die Biografie in zeitlicher Abfolge an, dann geht es zu Jimmy Smith, McCoy Tyner, Wayne Shorter, Eddie Harris, Pharoa Sanders, Marian McPartland, Herbie Hancock, Stan Getz, Miles Davis, Charles Lloyd ...
man könnte die Liste des mittlerweile vierundsiebzigjährigen Drummers endlos fortsetzen ... alles auf über 600 Schallplatten dokumentiert!
Auch als Lehrer ist er mittlerweile tätig, und in dieser Eigenschaft ist er heute zu Gast im Ruhrgebiet.
Er beginnt mit einer kleinen Aufwärmübung, bei der an einer entsprechenden Stelle mitgeklatscht werden muss – offensichtlich eine Übung des vorherigen Nachmittags. Tja, von wem stammt wohl diese Übung, fragt er die Anwesenden. Antwort: Es ist eine Komposition von Max Roach mit einem Big Sid Catlett - Zitat. Heute geht es ums Drumming! Da fallen natürlich viele wichtige Namen. Wie wir später weiter erfahren, hat Billy dieses Zitat in eigene Kompositionen eingebaut. „Max Roach ist einer der wichtigsten Vertreter des modernen Drumsets. Er hatte ein harmonisches Konzept. Vorher spielten alle wie Gene Krupa oder Buddy Rich...“ (Billy improvisiert in deren Art ...) und er demonstriert den Unterschied mit Max Roach-Zitaten... Papa Joe Jones, Kenny Clarke, Art Blakey, Philly Jo Jones, Elvin Jones, Roy Haynes, Ed Blackwell, Billy Higgins ... Es folgt erste einmal eine Schau verschiedener Techniken, die allen Beteiligten den Mund weit aufstehen lässt ...
„two sessions of five and one of six“ - kräftiger Applaus.
Die Studenten können Fragen stellen. “Nach welchem Konzept gestalten Sie ihre Improvisationen?“ Billy erklärt es an der standardmäßigen AABA-Form der Rhythm Changes. Ein Bassist erklärt sich zum Zusammenspiel mit Billy bereit. Nun demonstriert er die Improvisation über diese Form. Er geht aber weiter ins Detail. Man kann über die Melodie improvisieren, über die Anzahl der Takte. Billy bevorzug die Improvisation über den harmonischen Ablauf. Nach weiterem Vorspiel übergibt er das Schlagzeug an einen Studenten, der seinen Part übernehmen soll. Billy schlüpft in die Rolle des Lehrers und gibt Hilfestellungen. „Well, close, but no cigarre!“ Billy beliebt zu scherzen, der Respekt der Anwesenden kann ihm sicher sein. Aber er gibt auch Hilfestellungen...
Das nächste Übungsstück ist „Stella by Starlight“ - es kommt ein Pianist hinzu. Die Improvisation über die Form ist das Thema. Die Gruppe spielt das Stück. Billy übt konstruktive Kritik: „Ich erzähle euch mal, was Dizzy Gillespie mir mal erzählt hat. Er hat sich darüber beklagt, dass keiner mehr die 1 spielt. Das hat er dann später noch sehr häufig beklagt, so dass er in Insiderkreisen der Spitznamen ‚Mr.One’ bekam. Das bringt mich auf eine andere Geschichte, die ich euch erzählen möchte. Ich spielte dreieinhalb Jahre in Herbie Hancocks Band. Und irgendwie schien er mit unserer gemeinsamen musikalischen Ausrichtung nicht wirklich zufrieden zu sein. Er hatte ja schon einige kommerzielle Hits und Erfolge zu verzeichnen. Mit uns zusammen kam er etwas davon weg. Er unterhielt sich mit mir. Er befragte mich zum Unterschied einer Jazz- und Popmentalität. Seine Antwort lautete, in der kreativen improvisierenden Jazzmusik muss man ‚subtile’ spielen, im Popbereich eher ‚obvious’ (deutlich, überschaubarer). Und in der Popmusik kannst du nie deutlich genug spielen! Die durchschnittlichen Hörer können die komplizierten Sachen nicht verstehen, der Jazzmusiker hingegen will sich nicht ständig wiederholen, er ist ein ständiger Erfinder, er will nicht ‚obvious’ spielen. ‚So, in popmusik, how obvious it is, it’s never obvious enough!’ Und er hatte Recht, als wir die Band verließen, hatte er den nächsten Hit!“
Diesen Ratschlag gibt er seinen Studenten mit auf den Weg. „Macht es nicht zu kompliziert, spielt ruhig mal ein bischen mehr ‚obvious’!“ Und dann macht er es uns vor, wie man das Stück übersichtlicher spielt. Es ist ein Erlebnis live dabei zu sein. Es liegt in der Verantwortung des Drummers, das Stück dem Publikum näher zu bringen.
Dazu muss man es kennen, muss es nicht nur mal gehört haben. Wie es „subtile“ klingen kann, hören wir als nächstes. Es ist wieder „Stella“
- „Je häufiger man das Stück spielt, desto mehr liebt man es! Ist es nicht so?“ Während Bass und Schlagzeug die Form spielen, kontrastiert Billy den Song mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, so dass alle Anwesenden blitzartig in Gefahr geraten, die Form zu verlieren. Jede Spielweise zu seiner Zeit. „Wenn ich mit B.B. King spiele, dann spiele ich ganz bestimmt nicht so!“
Nächste Frage eines Teilnehmers: „Wie spielen Sie Balladen?“
Billy holt weit aus. Balladen sind ein riesiges Thema, fußen sie doch auf der höchsten künstlerischen Basis, vergleichbar mit einer Tragödie im Theater. Wenn man mit guten Leuten eine Jazzballade spielt, hat der Drummer eine besonders große Verantwortung. Das Thema müsse man eingrenzen. „Brushes“- Besenarbeit auf der Snare-Drum. Billy teilt uns zunächst etwas über die allgemeine Entwicklung des Schlagzeugspieles mit, bevor die Besen fester Bestandteil dieser Technik wurde. Er macht dies an einigen Jazzaufnahmen deutlich: „Quiet Nights“ – Miles Davis ... Es gibt binäre und ternäre rhythmische Strukturen und unzählige Metaebenen, mit denen man auf natürliche Weise den Zuhörern begegnen kann. Nun setzt er sich ans Schlagzeug und nimmt die „Brushes“ – 1 und 2 und 3 und 4 und ... „Mel Lewis hat mir das mal in Montreux demonstriert, der muss es wissen, er ist ein Master... aber es gibt auch eine spezielle ‚Besen-Schule’ von Philly Joe Jones ...“ Nun gibt er eindrückliche Beispiele der binären und ternären Spielweise und deren Kombinationen. Auch hier wieder dient „Stelle“ als Anschauungsmaterial. Ebenfalls weist er darauf hin, dass viele Jazzballaden auch ganz ohne Besen, also mit Sticks, aufgenommen wurden. Um das zu verdeutlichen, hören wir uns gemeinsam eine Aufnahme von „Body and Soul“ an, die das Coltrane Quartet in Seattle live aufgenommen hat, eine Aufnahme, die ursprünglich wegen ihres sehr experimentellen Klanges, nicht auf Schallplatte erschien. Coltrane – das ist für Billy Hart der Giant des Jazz. Er habe ihn in der Spätphase in Los Angeles in einem Club gehört, wo dieser so frei und energetisch spielte, das nicht nur das Publikum, sondern auch seine Musiker den Saal verließen ... Aus irgendeinem Grunde sei es zu einem kurzen Gespräch zwischen ihm und Coltrane gekommen. „Und nun, wie soll es weiter gehen (mit deiner Musikalischen Richtung)?“ Coltrane habe in etwa geantwortet – „Ich weiß es nicht, aber ich muss weiter gehen, immer weiter gehen, ich kann hier nicht aufhören ...“
Nun sind allerdings auch schon zwei intensive „Schulstunden“ um, und Billy bedauert, dass alles so ein wenig formell ist, ich glaube er wäre lieber sehr persönlich, sein ganzes Auftreten, seine Aura, die ihn spürbar umgibt, ist eh alles andere als akademisch – und am Nachmittag geht es noch mal in die letzte Unterrichtsphase...
Für mich ist an dieser Stelle der Zeitpunkt gekommen, mich bei Billy zu verabschieden und mich für diesen unvergesslichen Vormittag zu bedanken. Danke natürlich auch an Thomas Alkier, der mir die Teilnahme an dieser beeindruckenden „Lehrstunde“ ermöglicht hat.