„Ich war direkt laut“
Interview mit Tamara Lukasheva
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Tamara Lukasheva
Die lebhafte Resonanz auf Tamara Lukasheva s neues Album „Anima“ - aufgenommen mit dem INSO Sinfonieorchester Lviv – stößt auf lebhafte Resonanz, die mehr als verdient ist. Im ausführlichen Gespräch beschreibt die in Köln lebende, ukrainische Musikerin, wie sie durch Musik und kulturelle Projekte Widerstand leistet und dabei das Leben bejaht.
Wenn Du jetzt zurückblickst - wie siehst Du heute Deine unmittelbare Reaktion auf den 24. Februar 2024?
Ich habe direkt angefangen, etwas zu machen und wurde direkt aktiv. Ich war direkt laut und habe Dinge organisiert und wir haben viel gespielt. Man muss das Leben bejahen und weiterführen. Das ist auch eine Art von Widerstand. Die Kriegsverbrecher und Terroristen wollen, dass alles stillsteht, dass Menschen paralysiert sind und alles aufhört. Aber genau das geben wir ihnen nicht.
Ist es nicht sehr schwer, in einer solchen Situation die richtige Entscheidung zu treffen?
Du kannst entscheiden, wie du dich verhältst und welche Entscheidungen du triffst. Ich kann mir nicht leisten, in einer kritischen Situation emotional zu werden.
Wie hat sich deine Musik durch die Ereignisse in der Ukraine verändert? Und wie wird das in der neuen CD wiederspiegelt`?
Ich hatte das Bedürfnis, etwas Zugängliches zu machen, das mir selbst gut tut. Nach meiner Reise in die Ukraine habe ich ein Programm mit etwa einer Stunde Musik für Symphonieorchester komponiert und orchestriert. Ich stellte fest, dass es ein Privileg ist, komplexe und harmonische Musik zu schreiben, aber an Orten, wo es den Menschen nicht gut geht, kann eine zu stark dissonante Musik nur noch mehr wehtun. Daher musste ich auch etwas Gutes tun in dem, was ich schreibe.
Die CD Anime vereint ja zwei Musikwelten miteinander – zum einen Elemente aus der deutschen Romantik, zum anderen die gewachsene Musikkultur der Ukraine. War das von Anfang an die Intention?
Obwohl ich schon lange in Deutschland lebe, das meine Wahlheimat ist, habe ich immer noch einen Fuß in der Ukraine. Mein ukrainischer Background, wo ich studiert habe und ausgebildet wurde, kommt auch in meiner Musik zum Ausdruck. Ich verbinde das, was ich in der Ukraine gelernt habe, mit dem, was ich in Deutschland kenne. In Odessa, Ukraine, bin ich zu dem geworden, was ich bin. Deutschland hat es mir jedoch erlaubt, so zu sein, wie ich bin. Ich konnte mich in Deutschland auf eine Weise verwirklichen, die in der Ukraine nicht möglich war. Solche Musikprojekte sind vielleicht ein kleiner Beitrag für die Verständigung, dass wir mehr Gemeinsames haben als wir denken. Je näher uns Menschen kommen, desto schwieriger wird es, Krieg zu führen.
Welche Herausforderungen gab es du bei Deinem Orchesterprojekt zu meistern?
Alles war sehr intensiv, weil ich den Großteil geleitet habe. Es ist eine deutsch-ukrainische Zusammenarbeit, bei der wir das Beste von beiden Seiten verbunden haben. Ich war die ganze Zeit über sehr stark Projekt fokussiert. Ich musste erst mal Geld durch Crowdfunding für die Musikergagen sammeln. Es war ein langer Prozess bis zur Realisierung, aber es gab für mich keine Alternative dazu. Die Synergie mit genau diesem Orchester, das es spielt, ist mir sehr wichtig. Eine Aufführung mit einem anderen Orchester wäre nicht dasselbe für mich. Als wir dann soweit waren, ging alles schnell von der Aufnahme bis zur Fertigstellung. Normalerweise dauert so etwas viel länger. Aber Schritt für Schritt haben wir es gemeistert.
Sind die Aufnahmen in Lwiw durch die Umstände des Krieges mit beeinflusst worden?
In Lwiw ist man gut 1000 km von der Frontlinie entfernt. Man bekommt davon so gut wie nichts mit, wenn gerade keine Raketen fliegen und wir hatten Glück, dass in der Zeit nichts los war. Das Leben dort geht relativ normal weiter. Lwiw ist zu einem Zentrum für Menschen geworden, die nicht aus der Ukraine fliehen wollen. Es ist eine unfassbar schöne, alte Kulturmetropole mit komplexer Geschichte und Einflüssen, etwa aus der Habsburgerzeit und dem starken jüdischen Kulturleben. Es ist absurd, dass im gleichen Land Menschen alles verlieren und massenweise umgebracht werden, während an anderen Orten das Leben weiterläuft.
Hast du die ganzen Orchesterarrangements für dein aktuelles Album selbst gemacht?
Ja, die Orchesterarrangements habe ich alle selbst gemacht. Ich sehe mich persönlich als Musikerin, weil das ein Begriff ist, der vieles in sich hat und sich nicht unbestimmt auf ein Instrument bezieht, sondern auf die Musik - und der Rest sind die Mittel. Hinter der ganzen Komposition und Orchestrierung steht eine intenstive Selbstausbildung, die ich dafür betrieben habe. Ich war schon immer extrem neugierig auf so etwas und habe früher schon im Studium viele Lehrveranstaltungen zu diesem Thema besucht, in Köln und auch in Bern, wo ich auch meinen Erasmus gemacht habe.
Es wird Zeit, dass viel mehr Leute mal begreifen, dass Du viel mehr bist als einfach „nur“ Sängerin.
Mein Anliegen ist ein Plädoyer für ein neues Rollenverständnis. Ich glaube, es ist noch nicht so geankert, dass eine Sängerin auch gleichzeitig Komponistin und Arrangeurin für Orchesterwerke sein könnte. Man ist gewohnt, dass es ein Dirigent oder Komponist/Arrangeur ist - weiße Jungs und Mädels in Sakkos, die sich nicht wirklich nach vorne rücken. Ich passe in dieses Bild überhaupt nicht. Mit dieser Platte wird es hoffentlich klarer, dass es an erster Stelle sehr viel um die Musik geht, die dort geschrieben und arrangiert wird.
Bei "Singet leise", dem Eröffnungsstück der Platte, baust Du innerhalb gut fünf Minuten eine ganze kleine Sinfonie auf, die eigentlich schon den ganzen dramaturgischen Bogen des Gesamtwerkes vorweg nimmt. Wie bist Du hier vorgegangen?
Ich hatte das Bild von Wasser, alten Burgen, der Kombination aus Stein, Bäumen, Grün und Grau vor Augen. Landschaften haben schon viele Komponisten fasziniert. Und bei einem Wiegenlied entfalten natürlich auch immer die Sterne ihre Magie. Die Romantik des 19. Jahrhunderts ist unterbewusst immer ganz tief in mir gespeichert. Aber das fühlt sich auch stimmig mit modernen ukrainischen Gedichten an.
War es dir wichtig, deutsche und ukrainische Elemente zu verbinden?
Ja, das war mir sehr wichtig. Einerseits hat es sich musikalisch so ergeben und gut angefühlt. Aber ich wollte unbedingt etwas auf Deutsch singen, das war mir wichtig. Ich wollte meine beiden Heimaten Deutschland und die Ukraine zusammenbringen.
Was hat die Zusammenarbeit mit dem jungen Orchester so besonders gemacht?
Ich hatte das Glück, mit diesem offenen, jungen Orchester arbeiten zu dürfen. Sie haben sich ohne Bewertung voll in den Prozess eingetaucht und ihr Bestes gegeben. Wir konnten auf Augenhöhe zusammenarbeiten, ohne unnötige Egos, Rollen oder Ambitionen. Es ging nur darum, das Maximum aus der Musik herauszuholen.
Bemerkenswert finde ich, dass hier nicht etwa Streicher als Beiwerk um irgendein Jazz oder was auch immer -arrangements gesetzt werden, sondern dass Du die sämtliche Songs konsequent sinfonisch denkst. Dadurch behalten die Stücke trotz dieser vielen Instrumente und Klangfarben ihre Klarheit und Ausdrucksstärke. Wie hast du diese unterschiedlichen Einflüsse im Arrangement umgesetzt?
Obwohl ich versucht habe, nah an der Orchestersprache zu bleiben, gibt es keine Rhythmusgruppe, was sehr ungewöhnlich ist für Genre-Überschneidungen. Normalerweise hat man da immer eine Band mit einigen Streichern/Bläsern. Ich aber habe das ganze Orchester in die Pflicht genommen, das alles umzusetzen - von Rock über Hip-Hop bis zu jazzigen Klängen. Meine Aufgabe war, das Material so zu komponieren, dass es für die Orchestermusiker erkennbar, aber nicht zu 100% konventionell ist. Es sollte trotzdem nach mir klingen und meine Ideen zum Blühen bringen.
Bei "Spovit" bleibt die Songstruktur eines Rockstücks erhalten, ist aber komplett auf ein großes Sinfonieorchester übertragen. Das Orchester spielt teils instrumental und macht dabei dasselbe wie normalerweise ein Gitarrist in einem Solo. Nach dem "Orchestersolo" kommt wieder der Refrain. Worum geht es in diesem Stück?
Der Text handelt davon, dass alle Liebe in die Kunst fließt. Das ist mir sehr nah. Ich habe überlegt, wie ich diese Songstruktur orchestral umsetzen kann. Die Zeile "Die Frage bleibt" passt irgendwie zu vielen Situationen - ich folgte meinem Gefühl, sie dort einzuführen.
Was hat es mit dem Stück "Lullaby for Kira" auf sich?
Dieses Stück ist einem 3 Monate alten Baby gewidmet, das 2022 mit seiner Familie durch einen russischen Raketenangriff in Odessa an Ostern getötet wurde. Das schockierte uns sehr. Ich kenne die Nachbarn dieser Familie. Dass auch an Ostern, was ebenso in der russisch-orthodoxen Kultur gefeiert wird, die Angriffe nicht pausierten, zeugt einmal mehr von dieser grenzenlosen, rohen Brutalität. Geschrieben worden ist das Stück von Antonina Kornuta ist eine wunderbare junge Dichterin, die sich freiwillig der ukrainischen Armee angeschlossen hat. Sie ist Aktivistin für Menschenrechte. Ich vertone ihre Gedichte nicht wegen ihrer Person, sondern weil sich ihre Worte für mich richtig anfühlen.
Warum ist das letzte Stück dem 2016 verstorbenen Jurij Kusnjezow gewidmet?
Jurij Kusnjezow war mein Mentor, Lehrer und später Kollege. Ihm habe ich sehr viel zu verdanken. Mit diesem Stück fühle ich mich verpflichtet, ihn und seine Musik weiterleben zu lassen.
Die reiche, immer wieder überraschende Klangwelt beinhaltet auch eine Anspielung auf Kirchenglocken. Was bedeutet Dir so etwas?
Meine Idee war, einen Glockenklang zu haben, der vertraut klingt, aber gleichzeitig aus einer anderen Welt zu kommen scheint. Es ist unfassbar schwierig, einen Glockenklang ohne Glocken mit dem Orchester nachzuahmen. Aber genau das wollte ich erreichen - einen Glockenklang ohne Glocken, etwas Bekanntes und doch Fremdes. Ich wollte einen demütigen Zustand schaffen, in dem man kurz anhält und die Grausamkeiten sieht, aber trotzdem ein helles Licht, eine Schönheit behält. Es soll weder zu Aggression noch zu tiefer Trauer aufrufen. In der Musik bin ich vielleicht ein besserer Mensch.
Warum war es dir wichtig, gegen Ende wieder mehr Energie und Lebensfreude einzubringen?
Es war mir wichtig, dass gegen Ende die Energie wieder hochkommt. Denn wenn man alle Emotionen erlebt hat, steht man langsam wieder auf. Es wird energetischer, bis am Ende sogar so etwas wie eine chaotische Freude entsteht. Freude darüber, am Leben zu sein.
Warum ist Kulturleben gerade in Krisenzeiten so wichtig?
In extrem bedrohenden Situationen merkt man, dass nach den Grundbedürfnissen wie Schlafen und Essen die Kultur kommt. Kunst und Kultur definieren unsere Identität, nicht die Politik oder Parteien. Wenn es um die eigene Identität geht, spielen Musiker, Schriftsteller, Maler etc. eine viel größere Rolle als Politiker. Kultur ist die Essenz dessen, was uns ausmacht.
Findest Du es schwierig, Politiker für Kunst und Kultur zu sensibilisieren?
Aus meiner Perspektive sind Politiker die schlechtesten Zuhörer. Sie haben ein massives Schutzschild vor sich, durch das man nur sehr schwer durchkommt. Selbst mit einer Musik, die das Gehirn durchschüttelt, erreicht man sie kaum. Ich hatte schon die übelsten Situationen in Deutschland und anderswo damit. Politiker verstehen den Wert von Kultur oft einfach nicht.
Es ist eine ebenso große Sorge, dass Rechtspopulisten, die politisch immer einflussreicher werden, einen nicht vorhandenen Begriff von Kultur haben. Diese fehlende Sensibilität für das, was uns ausmacht, ist sehr bedrohlich. Es zeigt ihre Arroganz, dass sie Künstlern erst helfen, wenn diese am Boden liegen.
Wie siehst du das Potenzial für weitere deutsch-ukrainische Kooperationsprojekte in der Zukunft?
Ich glaube, dass solche Projekte ein sehr großes Potenzial haben und hoffe, dass trotz unserer politischen Situation und Wahlergebnissen uns das in der Zukunft nicht daran hindern wird, weitere solche internationale Projekte machen zu können. Denn das ist etwas sehr Wertvolles.
Wie gehst du mit Deiner eigenen Anerkennung als Künstlerin um?
Jede Künstlerin und jeder Künstler will sich größer sehen, als er wirklich ist, und ich bin da keine Ausnahme. Aber ich sehe alles als großes Glück und Geschenk. Ich nehme das nicht als selbstverständlich, weil es sich jederzeit ändern kann. Wenn ich aber das Gefühl habe, etwas zu sagen zu haben, dann tue ich das gerne.