Bild für Beitrag: „Ich möchte zum Improvisieren anregen!“ | Gitarristen-Gipfel mit Ingo Marmulla und Axel Fischbacher
Bild für Beitrag: „Ich möchte zum Improvisieren anregen!“ | Gitarristen-Gipfel mit Ingo Marmulla und Axel Fischbacher

„Ich möchte zum Improvisieren anregen!“

Gitarristen-Gipfel mit Ingo Marmulla und Axel Fischbacher

Recklinghausen, 23.11.2023
TEXT: Ingo Marmulla | 

Als an mich vor einigen Tagen die Bitte herangetragen wurde, das neue Gitarrenbuch von Axel Fischbacher mit dem Namen „Bebop Sketches“ zu rezensieren, habe ich gerne zugesagt. Axel und ich haben schon zusammen gespielt und kommen musikalisch bestens miteinander aus. Ich weiß, dass Axel ein sehr engagierter, aber auch sehr viel beschäftigter Gitarrist es, den ich natürlich sehr schätze. Wozu ich nun eigentlich gar keine Lust hatte, war, jede einzelne Note nachzuspielen um zu hören, wie all das klingt, was hier von Axel zu Papier gebracht wurde. Oder besser gesagt, von Axel zusammen mit Wolfgang Kehle. Aber ich hatte Lust, mit Axel in Kontakt zu treten, um mit ihm über sein Projekt zu sprechen, da ich ja weiß, dass Axels Tun immer eine Ernsthaftigkeit besitzt. Zudem gehören wir zur gleichen Gitarristen-Generation. Bei vielen Unterschiedlichkeiten haben wir ähnliche Erfahrungen gesammelt. Vieles, was er im Interview dann sagte, trifft indirekt auch auf mich und viele andere Gitarristen unseres Alters zu. Insbesondere natürlich all das, was mit dem Begriff „Autodidakt“ zu tun hat… 

Gesagt getan. Nach einem kurzen Telefonat beschlossen wir, ein Treffen zu arrangieren. Gestern war Axel bei mir im Studio und wir haben uns neben einem allgemeinen Erfahrungsaustausch intensiv über sein Buchprojekt unterhalten können. Im folgenden habe ich unser Gespräch aufgeschrieben. Ich kann jetzt schon sagen, dass ich seine Leistung hinsichtlich einer Buchveröffentlichung hoch bewerte, und damit meine ich natürlich auch, dass man diesen Buch weiter empfehlen sollte.

I.M.

Du hast ein Buch heraus gebracht, das heißt „Bebop Sketches“. Es ist ein Gitarrenbuch über deine Spielweise. Oder ist es vielleicht doch eine Jazzgitarrenschule. Entschuldige! Man soll zwar nicht mehrere Fragen auf einmal stellen, aber vielleicht kannst du mal etwas zur Geschichte dieser Veröffentlichung sagen?

„Wir schreiben mal alles raus und ich mache ein Buch draus.“

A.F.

Ja also erstens ist es sicherlich keine Gitarrenschule im allgemeinen Sinne, weil ich auch der Meinung bin, davon gibt es schon genug. Und die werden auch nicht besser! Wenn überhaupt im Unterricht, dann empfehle ich immer noch William Leavitt. Wenn man diese Schule durch hat, kann man gut Gitarre spielen. Aber das meine ich auch mit meinem Buch nicht! Sondern es ist ein Buch explizit darüber, wie ich ganz persönlich Gitarre spiele. Und ich hatte auch das Bedürfnis mal zu erklären, wie das funktioniert, wenn man hauptsächlich Autodidakt ist. Also wie sind die Sachen zu mir geraten? Wie hab ich mir dieses oder jenes ausgedacht, welche Fragmente hab ich im Unterricht mal gelernt, so ist die Geschichte … Und entzünden tut sich das Ganze an dem Album „Bebop Sketches“, das ich vorher gemacht hab. Und eigentlich kam das über Umwege, über die Promotion-Ecke. Bei der Zeitschrift Gitarre & Bass sitzt der Wolfgang Kehle, und der macht immer die tollen Transkriptionen. Und über die Promotionkurve, weil die Zeitung gefragt hat, ob man was über das Album schreiben kann, kam die Idee mit dem Wolfgang, eines der Soli zu transkribieren und ein Feature zu machen. Und da sind wir dann gelandet: Komm! Wir machen das richtig, schreiben mal alles raus und ich mache dann ein Buch daraus. Das Projekt ist sozusagen zusammen mit dem Wolfgang entstanden. Und anhand der gespielten Soli von diesem Album wollte ich erklären, was ich tue, soweit das möglich ist.

I.M.

Vielleicht noch mal zurück zum Begriff „Bebop“-Sketches. In welchem Kontext würdest du den Begriff Bebop denn in Bezug auf deine Solotranskriptionen genau definieren?

A.F.

Naja, unter den Begriff Bebop versteht man natürlich in erster Linie halt so die Generationen Parker und Dizzy Gillespie. Und ich hab ja auch eine Charlie Parker Platte gemacht. Ich sehe das nicht so als Museumspflege. Ich habe diese Stilistik natürlich sehr studiert. Ich komme aber eher so aus der Ecke der Hippie-Generation. Hab mich natürlich zuerst, wie alle Gitarristen meiner Generation, mit Blues und der Woodstock-Musik auseinandergesetzt. Allerdings hab ich mich dann schnell gelangweilt, hab angefangen zu suchen, was ein wenig griffiger ist… Und eigentlich über den Umweg, über Fusion-Jazz, Jazz Rock, wie man es damals nannte, bin ich dann dahin gekommen, zu gucken, was haben denn Herbie Hancock und John McLaughlin studiert. Dann bin ich doch wieder bei Charlie Parker gelandet. So ist da eigentlich der Bogen und ich benutze den Bebop als eines meiner Ausdrucksmittel. Es mischt sich aber mit den anderen Stilistiken.

I.M.

Du hast dich an einigen Stellen in deinem Buch als Autodidakten bezeichnet. Wie kommt es, dass du jetzt aus deiner eigenen Geschichte heraus doch so etwas wie ein „Lehrwerk“ erstellt hast?

„Kein Lehrwerk im eigentlichen Sinne“

A.F.

Naja, es ist ja kein Lehrwerk im eigentlichen Sinne. Ich finde „meinen“ individuellen Weg, wie ich mir die Dinge erarbeitet habe, ganz spannend. Es ist auch das blanke Interesse an Sounds. Ich hab dann immer was Neues gehört und dem bin ich nachgegangen. Und ich wollte gerne den Weg aufzeigen, wie das funktionieren kann: Dass man sinnvolle Musik machen kann, ohne dass man so ein fertiges Studium mit Stempel hat. Das ist also auch eine Ermutigung… Die Gitarre ist ja erst mal eine Gitarre, da fummelt man erst mal so drauf herum … und, dass das an sich auch seine Berechtigung hat … und es gibt nicht nur die eine Regel: Das muss man können, das ist der Hintergrund und das musst du machen und und das musst du üben…! Und der Freiraum, der durch die Gitarre gegeben wird, der sollte beleuchtet werden. Darauf lege ich besonderen Wert. Und das ist auch ein Grund gewesen, das Buch zu machen.

I.M.

Wenn jemand sich jetzt mit diesem Buch beschäftigt, ich meine auch spieltechnisch auseinandersetzt, welche Vorgehensweise würdest du dann empfehlen?

A.F.

Es ist wahrscheinlich super anstrengend, auch nur eines der ganzen Soli nach zu spielen. Ich musste das ja selber machen, meine eigenen Soli nachspielen (lacht). Das ist schon harter Tobak… Ich kann das nicht beurteilen, wie schwer das wirklich ist, etwas nachzuvollziehen und noch mal nach zu machen, was ich selber improvisiert habe. Ich würde vielleicht sagen: Hör dir die Musik an! Und schau, welche Passagen dir gefallen. Und dann ist meistens im Buch eine Erklärung zu finden, durch was das entsteht, was das Handwerkszeug ist, was die tonalen Grundlagen sind, für das, was da passiert. Ich würde es so herum machen. Ich würde mich keinesfalls hinsetzten und sagen: Ich spiele jetzt das ganze Album nach. Das wäre schon wieder „Klonen“! Das ist ja nicht Sinn und Zweck der Übung!

I.M.

Das gibt es ja bereits eine ganze Reihe von sehr gut gemachten Schulen was den Jazz und die Gitarre anbelangt. Ich denke da an Joe Pass, sogar der ganz frühe Attila Zoller, der seine Schule bei Schott herausgebracht hat. Worin unterscheidet sich denn da deine pädagogische Vorgehensweise? Denn du gibts ja auch Hinweise, wie man bestimmte Sachen spielen kann oder soll.

„Wenn ich Tonleitern übe, wird mein Solo widerspiegeln, dass ich dauernd Tonleitern übe“

A.F.

Ja, sehr methodisch irgendwie… aber es ist halt nicht so, dass ich musikalisches Material nachmache. Weil du Joe Pass erwähnst, diese Bücher … es war mit die einzige damals … da stehen dann Soli drin, und die spielt man dann nach und es wird gar nichts weiter erklärt. Und es hat mir damals nicht sehr geholfen! Außer, dass ich merkte, dass es nicht besonders gut klingt, wenn ich es nachspiele. Weil ich die Phrasierung gar nicht konnte, weil ich das gar nicht im Ohr hatte, weil es da keine Klangbeispiele gab. Es waren einfach tote Noten und man musste sich die Musik mühsam zugänglich machen. Es gab ja gar kein Internet! Wo finde ich denn jetzt das Solo über „Blues for Alice“, damit ich das entsprechend nachspielen kann? Damit ich wenigstens mal höre, was damit gemeint ist. Denn die Noten an sich sind nicht besonders aussagekräftig. Deswegen hangelt sich mein Buch auch an etwas entlang, was zunächst gespielt und aufgenommen wurde -  und danach aufgeschrieben wurde. Und es gab zunächst die Aufnahme, dann wurde es aufgeschrieben, und parallel ergibt es dann mehr Sinn. Es geht ja auch um die Frage, wie bin ich zu bestimmten Sachen gekommen. Und ich erkläre in dem Buch schon, dass ich sogar extrem methodisch bestimmte Sachen übe. Ein Beispiel: Viele Leute benutzen Tonleitern als Basis für ihre technischen Übungen. Ich finde das total verkehrt! Denn wenn ich Tonleitern übe, dann wird mein Solo auch widerspiegeln, dass ich dauernd Tonleiter übe und sonst nichts. Also übe ich beispielsweise nur Bewegungsabläufe, die abstrakt sind, damit meine Reflexe stimmen. Das ist nicht einfach zu erklären, man muss es im Buch genau lesen. Das Konzept basiert darauf, dass die linke Hand vier Finger hat, die du benutzen kannst, dass man diese in 24 verschiedenen Reihenfolge bewegen kann und dass man diese 24 Reihenfolgen gleich gut können sollte. Was kaum jemand kann … und dass man sich das aneignen muss, denn dann stimmen die Reflexe und man kann sie auf alle musikalischen Situationen anwenden. Während eine Tonleiter immer nur eine Tonleiter bleibt.

I.M.

Du hast ja schon am Anfang deines Buches gesagt, dass sich dieses Buch nicht an Anfänger richtet, sondern an Gitarristen, die schon grundlegende Erfahrung auf ihrem Instrument, insbesondere dem Jazz, gemacht haben. Welche Impulse möchtest du vermitteln?

A.F.

Ich möchte zum Improvisieren ermutigen. Ich möchte, dass die Leute rauskriegen, was eine wirkliche Improvisation ist. Beim Musik machen geht es mir nicht darum, Fleißpunkte zu sammeln. Es geht um ein Erlebnis beim Spielen. Und ich selber langweile mich sehr schnell, wenn ich immer das gleiche spiele. Ich langweile mich auch, wenn andere immer das gleiche spielen! Ich versuche mit meiner Arbeitsweise den Wiederholungsfaktor möglichst klein zu halten. Und das was in meinem Kopf ist, soll auf dem Instrument umgesetzt werden. immer wieder neu und jeden Tag anders… Dieser Prozess interessiert mich sehr. Das Buch soll zeigen, wie mein Weg dahin stattgefunden hat.

I.M.

Du schreibst ja nicht nur über Spieltechniken und über Musiktheorie, sondern besonders am Schluss des Buches kommst du ja auch noch auf weitere Aspekte zu sprechen. Vielleicht kannst du da mal was zu sagen.

„LassT euch nicht immer sagen, ihr seid zu laut!“

A.F.

Ja, weil ich da geschrieben habe: Leute, lasst euch nicht immer sagen, ihr seid zu laut! Das ist übrigens mein Lieblingssatz in dem Buch! Es geht mir total auf die Nerven, dass die Gitarrist immer als zu laut bezeichnet werden. Die sehen vielleicht manchmal zu laut aus, aber kein Trompeter steht jemals vor seiner eigenen Trompete. Gitarristen sind wirklich die einzigen Leute, die beurteilen können, wie laut sie wirklich sind, da sie vor ihrem eigenen Amp stehen. Kein Schlagzeuger kann beurteilen, wie laut vorne sein Becken ist. Auch kein Saxophonist kann das! Das ist natürlich jetzt nur so ein Nebenaspekt …

Ich habe mich immer bemüht, dass das Buch nicht zu philosophisch wird. Es geht mir um die besagte Warum-Frage: Warum mache ich Musik? Und ich persönlich mache das, weil ich noch wenig in meinem Leben erfahren habe, was spannender war, als Gitarre zu spielen. Und dieses Erleben soll auch für andere erhalten bleiben. Ich möchte nicht irgendwann auf der Bühne spielen und feststellen: jetzt mache ich das Gleiche wieder…

I.M.

Ich bedanke mich jetzt an dieser Stelle einmal für das Interview und stelle abschließend noch eine praktische Frage. Wie kann man in den Besitz dieses Buches und der dazugehörigen Tonbeispiele gelangen?

Das Buch kann man bei der Plattenfirma bestellen oder auch bei mir. Besser bei der Plattenfirma … Ich hab das auch extra gemacht mit der Plattenfirma, denn das Album ist ja leider ausverkauft. Die Musik bekommt man bei highresaudio.com. Dort kann man die Stücke runterladen. Die älteren Veröffentlichungen von mir gibt es alle bei den bekannten Streaming-Diensten. Bis 2015 inklusive, dann habe ich damit aufgehört. Werde auch in Zukunft nur noch Vinyl-Veröffentlichungen machen. Und wenn die Langspielplatten ausverkauft sind, denn wir machen immer nur eine Auflage, dann erhält man die Musik immer noch bei highresaudio.com.

I.M.

Lieben Axel, besten Dank für dieses Gespräch und weiterhin viel Erfolg.

Suche