Haltung bekennen
Der WDR-Jazzpreisträger Nicolas Simion im Gespräch
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Christoph Giese, Bernd Zimmermann
Nicolas Simion hat gestern den WDR-Jazzpreis überreicht bekommen. Für den aus Rumänien stammenden und seit Ende der 1990er Jahre in Köln lebenden Saxofonisten, Klarinettisten, Komponisten und Musikpädagogen ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen. Im ausgiebigen Gespräch bekannte der frischgebackene Preisträger viel künstlerische Haltung.
Wie kam es zum Jazzpreis?
Ich habe jahrelang gedacht, dass ich mich mal bewerben sollte und dann habe ich es im letzten Jahr z m ersten Mal gemach und drei CDs zur Bewerbung hingeschickt. Damit hatte ich ja schon ein breiteres Spektrum abgedeckt.
Drei CDs waren ja wohl auch notwendig angesichts der verschiedenen Aspekte und Ideenstränge in deiner Musik?
Ja , es ging um die verschiedenen Besetzungen. Und ich habe drei verschiedene Stücke von drei verschiedenen CDs genommen. Eins mit Bassklarinette, eins, wo ich Tenor spiele und eins mit einem größerem Ensemble.
Wie verhält es sich mit dem Verhältnis zwischen Improvisation und Komposition?
Ich wollte mit der Band frei improvisieren und dafür Raum schaffen. Für das was die Musik spannend macht und nicht jeder alles nachlesen soll. Die Jazzmusiker lesen nicht so gerne Noten, vor allem nicht die der alten Schule. Die neueren Generationen schreiben viel mehr auf.
Ich denke aber, eine gute Komposition - egal wofür- sollte nicht mehr als zu einem Viertel oder Drittel komponiert sein, der ist idealerweise frei improvisiert.
Ich habe Klassik studiert und auch dirigieren- habe Konzerte und sinfonische Werke aufgeführt. Die Form und Struktur eines Werkes soll schon klar und überlegt sein. Selbst diese klassische Liedform ABA hat durchaus etwas mit Improvisation zu tun. Zum Schluss kommt alles wieder zusammen wie in einer Versöhnung. Ein Happy End sozusagen.
Meinst Du, ein gutes Stück Musik braucht ein Happyend end?
Ja, vielleicht. Als ich nach meinem Weggang aus Rumänien in Wien war, hatte ich oft eine etwas dunkle Phase und da habe ich entsprechend komponiert, also viel in Moll und viele Melodien und Linien, die sehr abstrakt waren. Heute denke ich doch mehr, die Musik soll auch positiv sein und die Seele lieblich machen. Wir müssen uns ja nicht alle umbringen. (lacht) Deswegen mag ich auch Rhythmen und Melodien mit Gesangsqualitäten. Es sollte hinterher ein Motiv im Ohr hängen bleiben.
Aber sowas schließt den Freigeist in Dir doch nicht aus!
Ich stehe sehr auf modalen Jazz, wo jeder Freiraum hat. Aber es geht nicht vorrangig darum, dass jeder Strapazen machen soll, um alle Töne und Arpeggien zu schaffen. Es ist viel besser, auch mal in die Weite zu gucken. Eine gute Improvisation empfinde ich wie die Bewegung in einer weiten Landschaft – sowas zählt viel mehr, als einfach nur schneller, weiter, sportlicher!
In deiner Musik leben viele amerikanische Jazzeinflüsse, aber auch die Musikkultur deines Heimatlandes ist sehr präsent. Außerdem beschäftigst du dich mit Werken von Bartok und Enescu. Beschreib mal dieses Verhältnis! Wieviel spielt da in deinen Werdegang mit rein?
Als Kind bin ich auf dem Land groß geworden. Auf dem Dorf gab es viel Volksmusik. Wir waren immer draußen, sind auf Hochzeiten rumgelaufen, haben diese ganzen Rituale miterlebt. Da war ich sehr von der Musik fasziniert. Wie machen die das? Was denken diese Menschen? Ich erlebte, wie die Menschen zusammen spielen, tanzen und singen. Das war fast wie ein Ritual.
In der Grundschule und dann im Musikgymnasium habe ich die klassische Musik erlernt. Dort wurde alles notiert und es ging um das richtige Spielen. Erst mit 19 habe ich die Jazzmusik richtig entdeckt. Da war erst alles recht fremd - ich dachte, die können nicht Klarinette spielen. Auch als ich mit 12 zum ersten Mal Louis Armstrong hörte, fand ich das zunächst komisch.
Später mit 19 war ich in der Armee, da habe ich einen Musiker kennengelernt, der in der dortigen Musikkapelle spielte und der hat mir den Jazz nahegebacht. Der konnte einfach zu dem improvisieren, was gerade im Radio lief. Das hat mich unglaublich fasziniert. Spontan Musik aus dem Bauch und vom Gehör her spielen und dabei harmonisch, ja organisch klingen, das war es. Wie macht der das, das muss ein Geheimnis sein, dachte ich. Das Instrument zu beherrschen und spontan vom Gehör her kreativ zu sein! Das hat mich dann endgültig zum Jazz gebracht. Ich habe mir dann ein Saxofon gekauft. Was ich auf der Klarinette gelernt habe, konnte ich aufs Sax übertragen. Ich kam meinem großen Traum immer näher, soweit zu kommen, dass ich mich frei ausdrücken kann. Ohne Worte einfach nur durchs Instrument.
Und trotzdem leben auch die anderen, früheren Prägungen weiter!
Irgendwann habe ich alle drei Richtungen Folklore, klassische Moderne und Jazz zusammen vereint. Und das mache ich auch heute in kleinen Besetzungen. Ich bin oft in Situationen, wo ich ganz frei improvisiere und gar nichts aufgeschrieben haben.
Wie viel Improvisatorisches gibt es in der osteuropäischen Volksmusik?
Es ist eine Überlieferungskultur. Das heißt, jeder Musiker fügt immer noch irgend etwas zu einem Stück oder Lied hinzu. Das entwickelt sich über Jahrhunderte, manchmal fast Jahrtausende. Da sind Formen gewachsen, die bestehen bleiben und in Varianten weiterleben. Man muss sich das wie eine Märchengeschichte vorstellen.
Aber du hast diese Melodien und musikalischen Farben ganz tief verinnerlicht?
Genau. Musikmachen ist für mich, alles was ich kenne, wofür ich je gearbeitet habe, immer noch mehr nachzuempfinden. Ich möchte mich gerne ganz tief da hinein begeben. Ich möchte auch nicht immer alles kontrollieren (müssen). Manchmal weiß ich beim Spiel gar nicht wo ich bin, sondern erst hinterher.
Du hast also einen sehr intuitiven Zugang zum Musikmachen?
Ja, aber ich habe das Ganze im Blick. Beim Improvisieren denke ich schon eher wie ein Komponist. Also in deutlich größeren Zusammenhängen als wie ein Spieler, der mal eben möglichst virtuos eine pentatonische Skala rauf und runter soliert. Das klingt bei vielen Musikern einfach völlig gleich.
Vor allem Ornette Coleman und Charles Mingus haben mich zu einem sehr freien Denken gebracht. Und später natürlich auch John Coltrane, von dem mich vor allem die verspäteten Platten wie zum Beispiel „Interstellar Spache“ faszinieren. Da entdecke ich immer noch neue Sachen. Und komme ins Nachdenken darüber, wo wir eigentlich heute stehen, was musikalischen Fortrschritt betrifft. 50 Jahre später als Coltrane versuchen wir wieder Bebop zu spielen. Was Coltrane spielte, war Revolution. Er und viele andere haben den Willen gehabt, etwas neues zu machen.
Ähnlich blickst du sicher auch auf die Komponisten der europäischen Moderne im 20. Jahrhundert, oder?
Ja klar, ich habe so viele Lieblingskomponisten. Strawinski, Bartok, Prokoffiew oder auch Edgar Varèse. Das waren doch Rebellen. Künstler, die eben nicht „katholisch“ komponierten – nennen wir es mal so. Leute die tolle Musik machen, weil sie eben nicht vorherige Erwartungen erfüllen.
„Nicht katholisch“ also im Sinne von „open minded“?
Ja genau! Ich denke mehr so wie ein Buddhist, wenn ich versuche meinen Weg zu finden und nach innen zu gehen. Um das herauszubringen, was tief in mir ist.