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Gefühlswelten öffnen sich

Masaa eröffneten das Klangvokal Dortmund

Dortmund, 26.09.2021
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: B. Kirschbaum

Das Musikfestival Klangvokal Dortmund 2021 sucht, wie alle Kulturveranstalter, nach (Aus)Wegen in einer neuen, von dem Pandemie-Virus bestimmten Normalität. Wieder, wenn auch vorerst vorsichtig und mit Abstand zusammenzurücken, ist das Gebot der Stunde. Dem Klang der dürstenden Seele nachlauschen. Mit Gefühlswelten, so der programmatische Anspruch 2021, Klangräume öffnen.

Mit Masaa, dem Preisträger des WDR Jazzpreises 2021, stehen Musiker auf der Bühne im Reinoldihaus, die mit ihrem Ethno-Jazz-Sound ideale Festival-Opener sind. Ein Neuanfang nach Monaten des Schweigens, endlich wieder in den Augen der Konzertbesucher Funken gemeinsamer Freude entdecken, ist der Sänger Rabih Lahoud noch vor dem ersten Song gerührt.

Zu hören sind außer zwei französischen Liedern (meine zweite Muttersprache, Lahoud) arabische Titel, die den Klangraum zwischen Tag und Nacht (Massa, arab.: Abend) erkunden. Sawianaan (zusammen), das zweite Stück des Abends, beschreibt dieses Glücksgefühl zwischen laut und leise. Changierend zwischen Traum und Wirklichkeit, so, als würde Lahoud zusammenmit dem Trompeter und Flügelhornisten Marcus Rust, dem Schlagzeuger Jakob Hegner (er spielt an diesem Abend für Demian Kappenstein, mit dem Massa im vorigen Sommer in der Schwarzkaue Schlägel & Eisen in Herten brillierte) und Reentko Dirks auf der Double-Neck Guitar die musikalischen Welten von Orient und Okzident miteinander verbinden.

Lahoud, die ersten 19 Jahre aufgewachsenen mit den Gesangstraditionen der aramäisch-arabischen Maqams als auch mit der syrisch-maronitischen Liturgie im Libanon, fortgesetzt in den folgenden 19 Jahren mit Tonsatz-Studien sowie Komposition und Gehörbildung in Europa, verfügt er über einen lyrisch brillant schimmernden, wohlakzentuiert tremolierenden, eindrucksvoll meditierenden Tenor. Er erzählt, wie er in den Schlaf- und Gute-Nacht-Liedern seiner Mutter einen tiefen Ruhepunkt gefunden habe, während draußen vor der Tür der Bürgerkrieg tobte.

Lahouds sich mit schwebender Zartheit entfaltende, mitunter ins Falsett steigende Stimme trägt Rust wie auf samtenen Flügelhorn-Flügeln in eine schier unendliche, traumverlorene Höhe, die Dirks‘ enigmatischen Gitarrenklang verzaubert und Hegner sonor kommentiert. Das Schreien und Schluchzen der Erde in einer imaginären Stadt (Farascha) widerhallt in Massas Spiel melancholisch nachdenklich. Die Klangvielfarbigkeit kommt aus einem Universum, das jeder einzelne Musiker sich individuell erschlossen hat und sich im Masaa-Sound mit souveräner Selbstverständlichkeit vereinigt.

Wohltuend anders als mitunter in Konzerten, wo mehr oder weniger sonderbare Kommentierungen zwischen den einzelnen Titeln dem Publikum geboten werden, gelingt es Lahoud, die Musik mit Worten zu einer Einheit von Klang und Information zu verbinden. Wenn viele Menschen Schönheit nicht nur sagen, sondern auch meinen, kann es nur gut werden. Das arabische Wort für Schönheit Hala lässt eher Erinnerungen an Goethes Gedichtzyklus West-östlicher Divan und die Märchen aus 1.001 Nacht anklingen, als dass es romantizistisch vernebelt. Leise Geschichten von kleinen Schönheiten am Wegesrand, die man schon mal verpassen kann, weil sie die Aufmerksamkeit nicht unmittelbar auf sich ziehen.

Wie in der Hommage an die Schönheit (Hala), findet Masaa immer wieder in Duetten, Terzetten oder im Quartett narrativ wispernd als auch impulsiv beschwörend im Dialog von Stimme und Flügelhorn zusammen. Mitunter gewinnen Lahouds Zwischentexte eine philosophische Tiefe mit verblüffend klarer Einfachheit – Wenn man sich vorstellt, dass man ganz alleine wäre, das würde man gar nicht merken. Man würde sich nicht einsam fühlen, weil es keinen Gegensatz dazu gäbe. Dann würde man auch nicht sprechen, nicht singen. -, die die Essenz von Stimme und Welt enthalten.

Im Titelsong der 2019 erschienenen CD Irade zelebrieren Dirks und Lahoud einen mythischen Klangzauber, der im französisch gesungenen Quand le soleil brille je redeviens un enfant alle Musiker vereinigt. Masaa klangmalt im eher aseptisch wirkenden Saal des Reinoldihauses zwischen Ekstase und Melancholie, sowohl leicht und unbeschwert als auch kraftvoll und dynamisch. Es ist, als wollten sie mit weit geöffneten Armen die ganze Welt umarmen. Eine Stimme, die man nicht greifen, nicht begreifen kann, wird zu einem Wunder, wie Lahoud sich an seine Kindheit erinnert. Dieses Wunder trägt Masaa mit Sicherheit weiter zu neuen Gefühlswelt-Horizonten.

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