Ganz eigene Wege gehen
Interview mit Markus Stockhausen
FOTO: Gerhard Richter (Foto rechts)
Der Vater hat mit kühner Avantgarde die Musikgeschichte des 20.Jahrhunderts revolutioniert – der Sohn ist ein empfindsamer Melodiker, dem vor allem die Emotionen seines Publikums am Herzen liegen. Was der Komponist Karlheinz Stockhausen und sein Sohn, der Trompeter Markus Stockhausen auf jeden Fall eint: höchste künstlerische Konsequenz bei dem, was sie tun. Am 30.9. 2018 ist Markus Stockhausen mit seinem Quadrivium in der Christuskirche Bochum zu erleben.
1. Du bist Jazztrompeter. Das sind gleich zwei große Dinge auf einmal. Jazz und Trompete. Was ist das Faszinierende an der Kombination?
Es gab in meiner Jugend große Vorbilder: Louis Armstrong, Freddie Hubbard, später Miles Davies. Diese Trompeter haben mich mächtig beeindruckt und geprägt. Mehr als die Klassiker, ausser Maurice André, der war der „König der Trompete“ im klassischen Bereich, und zurecht ! Ich hab ihn später auch kennengelernt.
Im Jazz kann man sich frei ausdrücken, und das hat mich seit Beginn meines Trompetenspiels gelockt: Improvisieren, kreativ sein, eigene Sounds machen. Mein Trompetenlehrer Manfred Schoof, der bekannteste Jazztrompeter damals, ermutigte mich immer wieder ganz eigene Wege zu gehen.
2. Bis Anfang Oktober sind Sie mit Ihrem Quartett „Quadrivium“ auf Tournee. Am 30.9. wirst Du in der Christuskirche Bochum auftreten. Was erwartet die Zuschauer?
Eine Fülle von musikalischen Eindrücken, gespielt von vier hervorragenden Solisten. Jeder ist Meister seines Faches und sowohl in der Klassik wie im Jazz geschult. Mit dem ausdrucksstarken Pianisten Angelo Comisso spiele ich seit 2003 zusammen, mit dem feinfühligen Perkussionisten Christian Thomé seit 2004. Zunächst hatten wir ein Trio, das erst im Winter 2015 ergänzt wurde durch den ungemein vielseitigen Cellisten Jörg Brinkmann, eine wunderbare Komplettierung unserer Gruppe. Wir spielen viele Kompositionen von mir, aber auch einige von Comisso und Brinkmann. Jedes Stück hat Freiräume für Improvisationen, und manche Stücke entstehen ganz frei im Konzert. Diese Ausflüge in die Fantasie und ins Ungewisse fordern uns heraus und sorgen immer wieder für musikalische Highlights, die auch die Zuhörer faszinieren. In dieser Musik suchen wir eine Synthese aller heutigen Musik, und so erreichen wir auch ganz unterschiedliche Hörer. Unsere letzte CD „Far into the Stars“ bekam vor kurzem den Echo Jazz Preis 2018 verliehen.
3. Wenn man Deine Stücke hört, wenn man Dir zuhört, ist das unglaublich spielerisch und man fühlt sich wie auf eine Klangreise mitgenommen. Man wird Stück für Stück weggetragen in ferne Welten. Ist das der Effekt, den Du mit Ihrem Spiel erzeugen möchten oder ist es etwas ganz anderes?
Jeder Zuhörer ist anders gestimmt, und jeden spricht ein anderer Aspekt unserer Musik an. Es gibt auch sehr rhythmische Elemente und eingängige Melodien, aber eben nicht nur. Kopf, Bauch, Herz, alles will berührt sein in der Vision einer integralen Musik. Jazz ist heute nur ein oberflächliches Ettikett. Unsere Musik ist in meinen Augen mehr, eine Synthese zwischen komponierter und improvisierter, zuweilen intuitiver Musik. Für mich die echte zeitgenössische Musik. Und es stimmt, dass wir gerne neue Erlebnis-Räume öffnen wollen mit unserer Musik.
4. Was ist das Wichtigste, was ein Musiker bewirken kann? Ist es Unterhaltung oder ist es mehr?
Wenn nach einem Konzert einige Menschen zu einem kommen und sich mit leuchtenden Augen bedanken, dann weiss man, man konnte und durfte sie berühren. „Musik ist die Sprache der Seele“, sagte der indische Musiker und Mystiker Hazrat Inayat Khan, und so empfinde ich es auch, und auch mein Vater lehrte mich dies: Dass es darauf letztlich ankommt, die tiefen Schichten und Gefühlsebenen im Menschen zum Schwingen zu bringen und damit eine Brücke zu schlagen von der äusseren Welt zum Ewigen.