Bild für Beitrag: Fado Jazz | Fado, das unbekannte Wesen
Bild für Beitrag: Fado Jazz | Fado, das unbekannte Wesen
Bild für Beitrag: Fado Jazz | Fado, das unbekannte Wesen
Bild für Beitrag: Fado Jazz | Fado, das unbekannte Wesen

Fado Jazz

Fado, das unbekannte Wesen

Lissabon, 28.04.2022
TEXT: Heinz Schlinkert | 

Genre übergreifende Musik ist spannend: Wie werden Genre-Elemente verbunden, was erkennt man wieder, was entsteht dabei Neues?
Vom Flamenco kennen wir das schon lange. Raimundo Amador hat schon in den 90ern mit viel Erfolg Blues und Flamenco kombiniert, z. B. im Blues de la Frontera. Flamenco-Jazz ist inzwischen ein eigenes Genre, das Chano Domínguez und andere aus dem Flamenco-Rock der 80er (Triana, Alameda, CAI u.a.) entwickelt haben. Zusammen mit Gerardo Núñez, Michael Brecker und der WDR Big Band unter Vince Mendoza entstand das Jazzpaña-Projekt.
In Sachen Fado (gespr. Fádu) ist da lange nichts passiert, Ivo Dias versuchte vor einigen Jahren einen Fado Blues, nur von Fado war da nichts zu hören. Fado-Konzerte werden oft als Touristen-Attraktion veranstaltet mit fragwürdiger Qualität, es gibt aber auch Weiterentwicklungen, z. B. von Mariza.

  • Júlio Resende

Júlio Resende (geb. 1982 in Faro) ist in Portugal ein bekannter Pianist, er hat sich schon länger mit dem Fado beschäftigt. Ab 2007 hat er nacheinander drei Jazzalben aufgenommen. Beim dritten trat er mit Silêncio - for the Fado zum ersten Mal mit dem Fado in Erscheinung.
2013 'wagte' er es in einem Soloalbum als Hommage an die berühmte Fado-Sängerin Amalia Rodrigues (1920 – 1999) einige ihrer Stücke zu spielen. Fado auf dem Klavier - das hatte es vorher nicht gegeben, doch es wurde ein großer Erfolg. Beim letzten Stück ‚Medo - Dueto com Amália Rodrigues begleitete er sie parallel zur historischen Singstimme:

Zwei Jahre später kam Fado & Further heraus, ein Live Album mit der spanischen Sängerin Sílvia Pérez Cruz, auch mit lateinamerikanischer Musik.
2020 wurde das Album ‚Fado Jazz Ensemble‘ von Júlio Resende in Portugal und Spanien veröffentlicht (s. gelbes Cover links). Inzwischen hat es das Nobel-Label ACT für den deutschen Markt entdeckt und im letzten Februar als ‚Fado Jazz‘ herausgebracht. Die Promotion läuft auf vollen Touren. Zur Band gehören außerdem André Rosinha (Piano), Alexandre Frazão (Bass), Alexandre Frazão (drums) und Bruno Chaveiro an der Guitarra Portuguesa.

  • FADO

Die Ursprünge sind umstritten, Brasilien wird oft genannt. Als Genre entstand der Fado wahrscheinlich im Hafen-/Rotlicht-Milieu Lissabons, ähnlich wie der Tango in Buenos Aires. In seiner Urform bestand er wohl aus 2taktigen Melodie-Elementen, die nur von Tonika und Dominante bestimmt wurden. Nach 1830 hatte er seine erste Hochphase, ca. 100 Jahre später erlebte er mit Amalia Rodrigues u.a. eine zweite Blüte. In Todo esto es fado, einem ihrer berühmtesten Lieder, heißt es:

Amor, ciúme, cinzas e fogo, dor e pecado.
Tudo isso existe;
tudo isso é triste;tudo isso é fado.”

(Liebe, Eifersucht, Asche und Feuer, Schmerz und Sünde. All das gibt es; alles ist traurig; alles ist Fado.)

Obwohl Fado (von lateinisch fatum ‚Schicksal‘) oft mit saudade (portug. Sehnsucht) in Verbindung gebracht wird, kann ein Fado auch in Dur stehen und gar nicht traurig klingen, aber immer im 4/4 Takt. Der Gesang der/des fadista ist unverzichtbar, Klaviere gab es aber gar nicht. Zwei Gitarren gehören dazu, davon eine Guitarra Portuguesa (s. Foto), die normalerweise für die Begleitung eingesetzt wird. Sie ist eigentlich eine Cister, also eine Art Laute, welche später von der klassischen Gitarre verdrängt wurde.
Fado kann manchmal ähnlich wie Flamenco oder Tango klingen, die eine ähnliche melancholische Grundstimmung besitzen.
In neuerer Zeit hat vor allem Mariza (Foto rechts) den Fado modernisiert, doch auch sie hat noch vor zwei Jahren das Album Canta Amália als Hommage an ihre berühmte Vorgängerin herausgebracht.

  • Vira mais cinco - Fado Blues - Profecia - All the things Alfama are

Die 9 relativ kurzen Stücke haben mir sofort gefallen, sie sind sehr melodiös, daher eingängig, man kann sie aber auch öfter hören, weil die Melodien ständig variiert werden.

Vira mais cinco hört sich erst an wie ein Walzer, steht aber im 5/4 Takt, auf 1 und 4 betont. Aber ist das Fado? Man denkt eher an einen fröhlichen Tanz. Die portugiesische Gitarre spielt, wie sonst nicht üblich, die Melodie. Ein guter Einstieg.
Lira
steht im 3/4 Takt, es basiert auf einem gleichnamigen volkstümlichen Stück von den Azoren, das sich allerdings auf dem Klavier viel eleganter anhört. Langsame Soli von Gitarre und Piano folgen aufeinander, manchmal fühlt man sich an ein Volkslied erinnert, aber das war es ja auch einmal.

Fado das 7 cotovias, der ‘Fado der 7 Lerchen’ hat den Standard Fado mouraria Estilizado zur Grundlage. Mouraria ist ein Stadtteil von Lissabon und wird als ‚Wiege des Fado‘ gehandelt. Im Gegensatz zur traditionellen Version (s.u.) klingt diese recht fröhlich-beschwingt.
Este piano nao te esquece - das klingt echt wehmütig, wie man sich Fado vorstellt. Besser aber ist die Live Version, die mit einem Solo von Bruno Chaveiro auf der Guitarra Portuguesa beginnt. (s.u.)

Fado Blues - dieses Stück hat mich sofort interessiert. Blues im ¾ Takt, wie geht das? Ivo Dias ist daran schonmal gescheitert (s.o.). Die portugiesische Gitarre variiert verschiedene Stimmungen. Man hat den Fado den 'Blues der Portugiesen' genannt, doch auch wenn das Piano gegen Ende ein paar Blue Notes ins Spiel bringt, ein Blues ist das nicht. Nichtsdestoweniger ein schönes Stück, das wegen des irreführenden Titels vielleicht falsch wahrgenommen werden könnte.
All the things Alfama are hat mir recht gut gefallen. Warum die Improvisation in der Mitte einen eigenen Titel (Alfama, die Altstadt von Lissabon) bekam, ist mir schleierhaft, auch warum J. Kern im Booklet nicht als Komponist genannt wird. Die Melodie wird langsam und fantasievoll vom Piano umspielt, ein in einer bekannten Jazzzeitschrift beschriebenes “hymnisches Tastenleuchten“ konnte ich allerdings nicht feststellen.
Tiro no escuro
(wörtlich ‘Ich entferne das Dunkle’) - der Titel erinnert inhaltlich an Chega de Saudade. Bei Júlio klingt das aber schon recht harmonisch.
Fado maior improvisado, ein kurzes Stück mit volksmusikalischen Anklängen, ist noch besser in der jazzigen, längeren Live-Version mit einem Drum-Intro (s.u.).
Zum Schluss dann Profecia, auch der Text ist von Julio. Lina singt einen echten Fado, aber steht der am Ende, um den Begriff Fado zu rechtfertigen? Und wo ist dann der Jazz? Der Einsatz von Jazzbesen allein reicht da nicht aus. Trotzdem ein guter Abschluss.

  • Fado Jazz - Neues Genre oder Etikettenschwindel?

    Die Promotion propagiert die Entstehung eines neuen Genres. So schrieb die große spanische Tageszeitung El País, Resendeübersetzt den bittersüßen 'Blues', aber auch die heitere Seite der Fado-Musik in die Sprache des Jazz“. "Sein Umgang mit Fado erinnert an das, was Keith Jarrett mit Jazzstandards macht.
    Doch was ist dran an dem Begriff 'Fado Jazz'? Ist dort wirklich etwas Neues entstanden, das in etwa dem Flamenco-Jazz oder gar der Weiterentwicklung des Tangos durch Piazzolla gleichkommt, oder ist es nur ein Etikettenschwindel der Promotion, um Aufmerksamkeit zu erregen?
    Der Jazz hat ein weites Dach, da passt viel drunter, auch der Fado? Es fällt schwer, Elemente des klassischen Fado auszumachen, so dass man sich mit Recht fragen kann, ob dieses Etikett überhaupt gerechtfertigt ist.
    Tonika und Dominante (I-V) sind die Grundpfeiler musikharmonischen Geschehens, das kann den Fado nicht ausmachen, der ja in seiner Geschichte auch darüber hinausgegangen ist. Resende verwendet außer dem klassischen 4/4 Takte auch andere Takte wie 3/4 und 5/4. Gesang, ein elementarer Bestandteil des Fado kommt fast gar nicht vor, das Klavier dagegen ist Neuland. Die Guitarra Portuguesa dient nicht nur der Begleitung, sondern ist auch Melodieinstrument.
    Kann man all das als eine Weiterentwicklung des Fado sehen? Ich glaube das nicht, im Gegenteil hat Rosende - und das sehe ich als Stärke - sich eben nicht auf Fado allein konzentriert, er hat andere Stile adaptiert und vor allem seine eigenen musikalischen Ideen umgesetzt.
    Zur Genre-Frage sagte Júlio selbst:
    “Ob es Fado ist, ob es Jazz ist, weiß ich nicht, es könnte beides sein, aber in Wirklichkeit weiß ich es nicht, weil diejenigen, die es wissen, normalerweise nicht weiterkommen. Diejenigen, die es bereits wissen, stecken in diesem Wissen fest. Ich möchte es lieber nicht wissen, geh einfach, frei. Wie der Klang.“
    (Okt. 2020, googleübersetzt)
    Genau! Noch Fragen?

  • ----- unterm Strich -----

    Keine Frage, Júlio Resende ist ein brillianter Pianist und Komponist. Problematisch finde ich nur, wie die Promotion dazu läuft. Ich habe den Eindruck, dass Siggi Lochs Label ACT eine Marktlücke konstruieren will, um möglichst viel zu verkaufen. Julio Resende scheint das in Kauf zu nehmen oder sogar zu genießen, aber letztlich wird er damit seiner eigenen Musik nicht gerecht. Man sollte also nicht von einem neuen Genre, sondern eher von Etikettenschwindel sprechen. Im Jazz der Gegenwart ist die Festlegung auf Genres vielfach überwunden und deshalb nicht mehr zeitgemäß. Immer mehr Musiker - z. B. Lulo Reinhardt und Joscho Stephan - integrieren mehrere Genres in ihre Konzerte, manchmal auch innerhalb eines Stücks. Noch ein neues Genre wird da nicht gebraucht.

  • Man kann Júlio Resende schon bald live erleben im Dortmunder
    Domicil am Samstag, 7. Mai 20 Uhr

    Júlio Resende - Fado Jazz
    Label: ACT 9052-2
    released in Portugal Febr. 25, 2020
    VÖ in Deutschland: 25.02.2022

    Bild für Beitrag: Fado Jazz | Fado, das unbekannte Wesen
    Bild für Beitrag: Fado Jazz | Fado, das unbekannte Wesen
    Suche