Bild für Beitrag: „Etwas Neues und Besseres schaffen“ | Ein Interview mit Christina Fuchs
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„Etwas Neues und Besseres schaffen“

Ein Interview mit Christina Fuchs

Köln, 06.06.2024
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Seit der Gründung ihres Duos FLUX perfektionieren Florian Stadler, der Akkordeonist aus Bonn und die Kölner Saxofonistin, Klarinettistin und Komponistin Christina Fuchs die künstlerische Symbiose zwischen zwei Instrumenten und den dahinter stehenden Spieler-Persönlichkeiten. Ihr neues Album Roots and Ryzomes schließt gewissermaßen einen Kreis, da beide hier zum eigenen Wesenskern zurückfinden - von den vielfältigen Spielarten komponierter und elektroakustischer Musik hin zur rein analogen Form der Improvisation. Anlässlich der Veröffentlichtung des neuen Albums auf dem JazzHausMusik-Label war ein ausgiebiges Gespräch überfällig.

Erzähl mir über eure Verbindung im Duo. Woher kommt diese starke Übereinkunft?

Ich glaube, das liegt daran, dass wir uns schon so lange kennen, länger als unser Duo existiert. Wir haben schon in meinem No Tango Quartett zusammen gespielt. Unsere Zusammenarbeit geht mittlerweile etwa 25 Jahre zurück. Wir haben uns sogar noch länger gekannt. Wir trafen uns während einer sechswöchigen Musik-Performance-Tour durch NRW, einem Gesamtkunstwerk-Projekt zum Westfälischen Frieden. Das war eine seltsame Tour mit Schauspielern, Wagenleuten, die ein riesiges Bühnenbild transportierten, und natürlich Musikern. Wir waren beide zufällig Teil dieser Musiktruppe und haben uns dort kennengelernt. Schon während dieser Tour gab es kleinere Formationen und dort haben wir uns zusammengetan. Ich spürte sofort, dass Florian ein sehr besonderer Musiker ist.

Wie ging es dann weiter?

Florian lebte damals noch in Würzburg, aber ich sagte ihm, dass wir in Köln zusammenarbeiten sollten, wenn er jemals dorthin ziehen würde. Er zog schließlich nach Bonn, was ja fast Köln ist, und ich gründete daraufhin das No Tango Quartett.

Wie habt ihr euch musikalisch entwickelt dann und was waren die Voraussetzungen für das aktuelle Album?

Wir haben viel ausprobiert und haben zwischendurch auch mal mit Elektronik gearbeitet. Mal auch Klassik miteinander gespielt, also auch feste Stücke nach Noten. Aber dann sind wir wieder ganz an den Ursprung zurück gekehrt mit diesem neuen Album.

Was heißt das konkret?

Es gibt bei den Stücken für das neue Album keine Noten, sie sind einfach so entstanden. Wir haben das mit der Elektronik und mit den Noten alles wieder beiseite geschoben, weil wir das ja eigentlich gar nicht brauchen. Wir haben sowieso immer einen großen musikalischen Ideen-Fundus miteinander, wenn wir aus dem Stehgreif improvisieren. In unserer beider Köpfen ist sowieso schon alles drin und da muss auch kein Leadsheet vor uns liegen. Das können wir so abrufen und uns die Bälle zu werfen. Ich weiß einfach, in welche Richtung Florian gerade denkt und andersrum funktioniert es genauso.

Lass uns nochmal mehr über den Titel sprechen. Was versteht man unter Rhizomen?

Rhizome sind keine Wurzeln, sondern ein unterirdisches Verzweigungsgeflecht, in dem die Pflanze Energiereservoire bildet. Von dort aus bildet sie Triebe und verbreiten sich weiter. Dieses Bild fanden wir passend für unsere Zusammenarbeit. Es entsteht immer ein Feld zwischen uns, das wir metaphorisch wie ein Rhizom anzapfen können.

Wie muss man sich konkret euer musikalisches Wurzelgeflecht vorstellen?

Florian hat klassisches Akkordeon studiert, was bedeutet, dass er sich intensiv mit Bach und auch mit neuer Musik beschäftigt hat. Seine Einflüsse aus dem Jazz kamen eigentlich erst durch das No Tango Quartett zustande. Auf der anderen Seite kommen meine Wurzeln eher aus dem Jazz und sogar noch früher aus der süddeutschen Blasmusik. Aber dann kam, wie gesagt, der Jazz ohne den Umweg über die Klassik.

Beschreib mal ein paar verbindende Elemente in diesem Geflecht. Euer Spiel ist ja oft auch sehr polyphon miteinander verschränkt.

Unser Spiel baut immer aufeinander auf und wir integrieren viele polyphonische Elemente. Natürlich lieben wir beide auch Bach, da kommt man einfach nicht drum herum. Aber wir landen nie direkt beim Spielen seiner Werke, das fließt einfach nebenbei wieder ein – genau wie bei den Rhizomen in der Biologie.

Wie haben sich daraus die fertige Stücke entwickelt?

Die Stücke sind praktisch während der Aufnahmesession entstanden. Die Titel sind metaphorisch betrachtet wie Pflanzen, die aus den Rhizomen entstehen. Wir hatten keinen Notenständer dabei, aber dafür umso mehr Ideen, auch einige grundlegende Konzepte wie eine Intervallstruktur oder bevorzugte Intervalle als grobe Vorgaben - beispielsweise Septimen und Sekunden, mit denen wir Spaß hatten. Oft haben wir auch einen bestimmten Fokus gesetzt, zum Beispiel auf Klänge, die mit Luft zu tun haben, um eine gewisse Atmosphäre zu schaffen.

Du spielst ja abwechselnd Sopransax, Bassklarinette und Bb-Klarinette . Wie hast Du die Auswahl getroffen?

Wir haben uns dafür entschieden, die Instrumente abwechselnd einzusetzen. Ich habe mit der Klarinette begonnen, dann kam ein Stück mit dem Sopransaxophon und danach eines mit der Bassklarinette und anschliessend wieder von vorne. Ich habe nicht jedes Instrument für jedes Stück ausprobiert, das wäre einfach zu viel gewesen. Aber durch die verschiedenen Klangfarben der Instrumente entstand eine Vielfalt an Möglichkeiten. Zum Beispiel hat das Saxophon eine ganz andere Klangcharakteristik als die Klarinetten, aufgrund der unterschiedlichen Rohrarten.

Worin liegt der Reiz für Dich, mit einem Akkordeon in den Dialog zu treten?

Das Akkordeon ist eine regelrechte "Zauberkiste" - es kann so vielseitig sein, von zarten Klängen bis hin zu kraftvollen, brachialen Tönen. Außerdem arbeite ich gerne mit der Tatsache, dass das Akkordeon, ebenso wie ich mit meinen Blasinstrumenten, mit Luft arbeitet. Diese gemeinsame Grundlage schafft eine Verbindung zwischen den Instrumenten und eröffnet unendliche, aufregende Möglichkeiten. Das Akkordeon kann so viele verschiedene Facetten zeigen - es kann sowohl mehrstimmig als auch solo gespielt werden, es kann zart und sanft klingen, aber auch kraftvoll und dynamisch. Ich versuche, die große Klangvariabilität des Akkordeons in meine Improvisationen einzubeziehen, um dem Instrument gerecht zu werden.

Wenn die Stücke so spontan entstanden sind, ist es dann nicht eine Herausforderung unter Aufnahmebedingungen auf Kommando „liefern“ zu müssen? Beschreib mal die Stimmung bei der Aufnahmesession.

Es war tatsächlich ein Glücksfall für uns, dass wir im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks aufnehmen konnten. Dieser Saal spielte eine wichtige Rolle, da sein Klang klar und transparent ist, was ideal für unsere Musik war. Normalerweise hätte es Jahre gedauert, um eine Produktion zu planen und zu realisieren, aber dieses Mal war alles anders. Ende Februar erhielten wir den Anruf, dass ein Slot im März frei geworden war - in nur zwei bis drei Wochen! Ohne lange zu zögern, entschieden wir uns, diese Gelegenheit zu nutzen. Es war eine Entscheidung aus dem Moment heraus, ohne lange Planung oder Vorbereitung. Wir stellten uns einfach drei Tage lang in den Kammermusiksaal und machten das Aufnahmestudio zu einem Versuchslabor, um zu sehen, was dabei herauskommt. Es war eine intensive und aufregende Zeit, in der wir uns voll und ganz auf unsere Musik konzentrierten und uns von der Energie des Raums und der Situation leiten ließen. Es gab keine festen Pläne oder Skripte, sondern wir ließen uns von unserer Intuition und dem Moment inspirieren. Es war erstaunlich zu sehen, wie sich die Musik organisch entwickelte und wie wir miteinander interagierten, um etwas Einzigartiges zu schaffen.

Welche Voraussetzungen braucht es, um erfolgreich ohne Notenblatt zu spielen?

Ich glaube nicht, dass man das mit jedem oder jeder machen kann, sondern da muss man sich wirklich die Leute aussuchen. Aber meistens sind es Menschen, die Erfahrung haben auf dem Gebiet, die gute Zuhörer sind, die viele verschiedene Konstellationen schon gemacht haben und die wirklich im Moment sein können.

Wie siehst Du die Improvisation als allgemeingültiges Prinzip?

Improvisation ist tatsächlich ein faszinierendes Prinzip. Sowohl im Leben, als auch in der Kunst sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von großer Bedeutung. Improvisation erfordert ein tiefes Zuhören, eine schnelle Reaktion auf das Unbekannte und eine Bereitschaft, sich auf neue Situationen einzulassen.

Also Musikmachen als Meta-Ebene für einen idealen Diskurs über menschliche Interaktion?

Im Idealfall geht es um das gemeinsame Schaffen von etwas Neuem und Besserem durch das Zusammenspiel verschiedener Stimmen und Perspektiven. Gerade in einer Welt, die so stark von Konflikten und Gegensätzen geprägt ist, brauchen wir viel mehr davon.

Christina, ich danke dir für dieses spannende Gespräch.

Es war mir ein Vergnügen! Ich danke Dir!



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