Es bleibt wie es bleibt
Kulturlockdown - Unwort des Jahres?
Auf den Konzertbühnen ist es still, in den Fußgängerzogen rappelvoll. Gut gemeint ist immer noch nicht gut. Aber die Prominenz macht sich kluge Gedanken über die Zukunft der Kultur. Es muss an der gemeinsamen Lobby weiter gearbeitet werden, damit es nicht auf die Dauer still wird.
Ein heißer Anwärter auf das „Prädikat“ Unwort des Jahres ist „Kulturlockdown“. Es ist alles wie es ist: Armin Laschets vollmundige Versprechungen, dass die Auftrittsverbote Ende November automatisch auslaufen würden, klingt wie ein schlechter Witz in den Ohren. Auch sonst geschieht nichts überraschendes: Menschen drängen sich in den Fußgängerzonen und öffentliche Verkehrsmittel sind gut gefüllt. Dass die Infektionszahlen immer noch steigen, war klar. Denn es bringt nichts, Bereiche mit relativ geringem oder gar keinem Infektionssrisiko abzusperren, wenn andere, mit deutlich mehr Menschen frequentierte Segmente offen bleiben. Die „Strafe“ haben alle diejenigen bekommen, welche am besten ihre Hausaufgaben zur Pandemiebekämpfung gemacht haben. Die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung haben im Laufe des Jahren nicht wirklich ihre Hausaufgaben gründlich erledigt - vor allem dort, wo es nötig gewesen wäre. Der Dauernotstand im Gesundheitswesen wurde nicht endlich nach ganz oben auf die Agenda gesetzt, ebenso mangelt es an wirkungsvollen statistischen Erfassungen bei Gesundheitsbehörden, die teilweise noch mit Uralt-Technik arbeiten etc.... Stattdessen ging es doch häufig um einen erregten Wettstreit um Symbolhandlungen, um moralische und dadurch umso weniger sachliche Debatten, die eigentlich nur Eingeständnis kollektiver Hilflosigkeit sind.
So mancher ist jetzt wieder schlaflos, wenn gerade per Mail die Erhebungsbögen für die wohl bald drohende Rückzahlung der Corona-Soforthilfe aus dem Frühjahr kommen. Und auch die großspurig versprochene Umsatzerstattung für den Monat November hat wohl bislang kaum einen überzogenen Dispokredit kuriert – neue bürokratische Pferdefüße lassen einmal mehr viele durch ein enges und willkürliches Kriterien-Raster fallen. Unlängst machte die Story einer Musikerin die Runde, die in den letzten Wochen obdachlos geworden ist. Dabei hatte sie alles richtig gemacht: Sie unterhielt eine gut laufende Booking-Agentur, die sie vernünftigerweise gegründet hatte, da sie nicht alleine auf das Standbein Musikmachen setzen wollte. Die Wut, die sich bei der Alarmstufe Rot Demo in Berlin Luft machte, ist einer Erstarrung bei gleichbleibendem Gefühl von Ungerechtigkeit gewichen.
Entschädigung ohne Wenn und Aber
Das mögliche Unwort des Jahres wird wohl von der Gesellschaft für deutsche Sprache nur dann zum Favoriten erkoren, wenn die Kultur wirklich auf Platz eins in der öffentlichen Wertschätzung kommt - da können wir jetzt mal gespannt sein.
Zumindest erheben schon mal erfreulich viele Prominente ihre Stimme. Sowas hat immer Gewicht: „Wir in der Veranstaltungs- und Kulturbranche sind immer noch zu leise, weil wir keine ernstzunehmende Gewerkschaft haben“ konstatiert der Jazzer Till Brönner auf seinem vielbeachteten Video. Eine Gewerkschaft für Freiberufliche Kulturschaffende? Also für Jazzmusiker genauso wie für Lokführer? Das klingt gut, aber auch wieder absurd. Künstlerinnen und Künstler sind keine Angestellten, sondern Unternehmer. Und eben das hat die Politik anscheinend noch immer nicht wirklich auf dem Schirm. Die Struktur und Ausprägung der einzelnen Erwerbstätigkeiten sind dabei in der Regel so divers wie die jeweiligen künstlerischen Profile eines Jazzsaxofonisten, einer Galeristin, eines Videoproducers, eines Clubbetreibers oder Tätowierers. Ist jemand in der KSK drin oder nicht? Arbeitet jemand vollständig selbständig oder im Nebenerwerb?
Allein, weil diese Strukturen so unterschiedlich sind, fallen jetzt so viele durch das Raster der übereilt und oft auch halbherzig zusammengestrickten Hilfsmaßnahmen hindurch. Und es ist – da hat Till Brönner recht – "verfassungsbedenklich, dass eine so große Gruppe aus Kultur und Kunst mit einem Auftritts- und Tätigkeitsverbot belegt wird, ohne dass es zu einer pauschalen Entschädigung kommt." Wer seit Beginn der Pandemie unverschuldet keine Einnahmen hatte, muss seine kompletten Lebenshaltungskosten pauschal ersetzt bekommen. (Eine Bemessungsgrundlage könnte zum Beispiel auch der jeweilige Steuerbescheid eines Vorjahres sein, wie es zum Beispiel in der Schweiz recht unkompliziert praktiziert wird...)
Geld ist genug da – bei der notleidenden Lufthansa war ja auch unbürokratischer, zügiger Cashflow ohne wenn und aber nötig. Oder wie wäre es mal mit einer Extra-Besteuerung für die großen Gewinnler der Krise – allen voran amazon und co.,die dann auch vielleicht mal den wirklich existenziell Betroffenen zukommen könnten?
Es fehlt an Mut, sich offen zu artikulieren
Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat stellt die Leistungen seines Verbandes, einer Dachorganisation, der über 200 verschiedenen Branchengruppen, unter anderem auch die Deutsche Jazzunion angehören, zu Recht heraus. Der Kulturrat hat einen einheitlichen Auftritt aufgebaut und äußert sich regelmäßig zu vielen relevanten Themen. Er uns seine Mitglieder diskutieren regelmäßig in den Ausschuss-Sitzungen des Bundestages mit. Das hat während der Pandemie immerhin schon mal viel gut gemeintes gebracht. In jüngster Zeit vor allem die Umgewichtung des Kulturbegriffes, der jetzt nicht mehr auf einer Stufe mit Freizeitbeschäftigungen steht.
Bei den Hilfspaketen ist hingegen noch extrem viel Luft nach oben. Richtig gut wird alles erst, wenn der milliardenschwere Wirtschaftszweig Kultur durch wirksame Taten zur politischen Chefsache wird. Dafür braucht es viel mehr Sachverstand und Detailkenntnis der vielen disparaten kulturellen Milieus in diesem unseren föderalen Land. Das kann ein großer Dachverband alleine nicht bewerkstelligen - umso mehr gefragt sind die vielen Gruppen, Verbände und Vereine mit Kontakt zur Basis gefragt.
Es braucht mehr gemeinsam koordinierte Aktion!
Die eigenen Hausaufgaben haben die Akteurinnen und Akteure in der Kultur selbst auch nicht immer gut gemacht: Till Brönner redet hier von Jazzern, die zwar in der Not ein wachsendes Gemeinschaftsbewusstein aufkommen lassen, dies aber in guten Zeiten auch schnell wieder auf der Strecke bleibt. Vielen freiberuflichen Kulturschaffenden fällt gerade jetzt ihr Einzelkämpferdasein auf die Füße: Ökonomisch vogelfreie Freelancer sind in ein Geflecht aus Abhängigkeiten von Auftraggebern und Förderern eingebunden - was nur zu gerne davon abhält, mal öffentlich und ehrlich die Meinung zu sagen und gemeinsam für eine Sache einzutreten. Oder sich in gemeinsam koordinierter Aktion juristisch zur Wehr zu setzen. Zum Beispiel per Sammelklage gegen die unsägliche Soforthilfe-Praxis.