Enigma & Co
Interview mit Henning Wolter zu "Undercover Job"
TEXT: Bernd Zimmermann | FOTO: Hennig Wolter
Nach der Entdeckung, dass das neue Album des Henning Wolter Trios "Undercover Job" mehr als nur ein weiteres Jazzalbum ist, wollten wir natürlich mehr wissen und dieser interessanten Produktion auf den Grund gehen. Also nahmen wir mit Henning Wolter kurzerhand Kontakt auf und ließen uns das Projekt erklären.
nrwjazz:Henning, Dein neues Album "Undercover Job" ist nicht nur eine Musikproduktion, sondern Du hast über das Album hinaus eine weitere Sinnesebene über das Medium Internet hinzugefügt. Wie kamst Du auf diese Idee?
Henning:Ich bin stets auf der Suche nach Themen (Ideen, Ereignisse, Geschichten etc.), die mich berühren, fesseln und nicht loslassen. Dann versuche ich, diese Themen mit Musik zu verbinden. So ist schon meine letzte CD "Le Grand Spectacle" entstanden, die die Tour de France zum Thema hatte. Die Tour de France - ein Ereignis, das mich seit meiner Kindheit fasziniert.
Genauso fasziniert und fesselt mich das Thema Geheim-Agenten und damit verbunden natürlich auch: Geheimnisse, ungelöste Fälle, rätselhafte Codes, versteckte Nachrichten, Kryptografie..... Es gibt so viele interessante Geschichten zu diesem Thema. Beispielsweise wie Günter Guillaume enttarnt wurde (darüber habe ich auch in kurzen Zügen in dem letzten Jazz-Podium-Interview erzählt) oder die legendäre Codierungsmaschiene ENIGMA, die einen Schwachpunkt in Ihrem Verschlüsselungssystem hatte (Umkehrwalze) oder die Geschichte von Karl Koch, einem Hacker aus Hannover, der in den 80ger Jahren brisante Informationen an den KGB verkaufte. Man kam ihm auf die Spur, als die Ermittler einen Differenzbetrag von 75 US-Cent in einer Abrechnung fanden.
Alle Beispiele haben mit Kleinigkeiten zu tun, die aber zum Teil das Weltgeschehen maßgeblich beeinflussten. Geheimagenten, Geheimdienste stehen für mich sinnbildlich für das Verborgene. Und das Verborgene hat eine Magie. Ich finde es reizvoll, wenn etwas einen doppelten Boden hat. Etwas, das man nicht auf den ersten Blick sieht, das zwischen den Zeilen steht und nicht gleich erkennbar ist. Etwas, das einen verborgenen Subtext enthält. Das Verborgene = der Schatz. Der Reiz, diesen Schatz zu suchen und zu finden.
Meine Idee war nun, das Thema Geheim-Agenten, das Thema Verborgenheit und Musik miteinander zu verbinden. Nach und nach entwickelte sich daraus ein ganzesKonzept:Undercover Job
nrwjazz:Es ist immer spannend die Themen und Interessen, gerade wenn sie unterschiedlicher nicht sein können, trotzdem miteinander zu verknüpfen. Nun beziehst Du das Internet mit ein, und zwar in einer Weise, die über das übliche Posten eines neuen Songs oder Videos hinausgeht. Wie hast Du dein Konzept dann umgesetzt?
Henning: Als Jazz-Musiker stelle ich mir häufig die Frage: Wie kann ich versuchen, neue Wege zu gehen? Warum nehme ich überhaupt neue CDs auf?
Früher haben Jazzmusiker versucht, unterschiedliche Musik-Genres zu vermischen, um Neues zu entwickeln. Oder sie haben mit ungewöhnlichen Instrumentierungen oder mit neuen harmonischen und rhythmischen Konzepten gearbeitet. Diese Ideen sind aber meiner Meinung nach schon sehr ausgereizt. Einige Jazzmusiker sind deshalb inzwischen eher rückwärts gewandt. Es gibt immer mehr Tribute-CDs, BigBand-Revivals, Swing-Bands....
Auch in den Jazzmedien findet man häufiger dieses Rückwärtssehen. Das macht sich z.B. an Ausdrücken wie „Der neue Frank Sinatra, oder die neue Ella Fitzgerald“ bemerkbar.
Undercover Job ist nun mein Versuch, einen neuen Weg zu gehen, in dem ich Jazz mit ganz anderen Genres vermische, die vorerst überhaupt nichts mit Musik zu tun haben. In diesem Fall: eine Schatzsuche in Verbindung mit rätselhaften Codes, die in der Musik versteckt sind. Als Rahmenstory dient nahe liegend hier das Agenten-Millieu.
Ich versuche damit, eine neue Interaktion mit meinen Zuhörern herzustellen, in dem die Hörer versuchen, die verborgenen Elemente in meiner Musik zu entdecken, in dem sie noch mehr in die Musik eintauchen. Und ich versuche, durch Hinweise die Hörer zu unterstützen und zu fesseln. Ob das nun auch klappt, kann ich jetzt natürlich nicht sagen. Aber ich versuche es eben mal. J Mal sehen, was passiert.
Berühmten Geheimagenten bzw. Situationen oder Orten, die im Zusammenhang mit dem Agentenmilieu stehen, habe ich jeweils eine Komposition gewidmet. In jedem dieser Stücke ist eine geheime Nachricht versteckt – jedes Mal auf eine andere Art und Weise verschlüsselt. Wer Spaß daran hat, diese Codes zu lösen, kann sich im Internet auf Schatzsuche begeben. Wer keinen Spaß an so etwas hat, lässt es einfach bleiben. Die CD, die Musik, steht natürlich auch für sich allein.
nrwjazz::Viele Stücke haben also programm-musikalische Elemente, sollen also Assoziationen zu dem jeweiligen Agenten, Schauplatz, etc. wecken. Kannst Du da ein paar Beispiele nennen?
Henning:Da wir Musiker uns dabei selbst auch als Geheimagenten ausgeben (siehe www.undercover-job.com), sind die 2 Stücke uns selbst gewidmet. Track 1 und 11 bilden dabei zunächst den Rahmen der CD: jeweils Piano-Solo. Geheimnisvolle Atmosphäre, Einstimmung auf das Thema: Geheimnisse.
Track 2 "Tell Me Your Number" ist Miss Moneypenny gewidmet. Mit Miss Moneypenny verbinde ich die Eigenschaften flott, witzig, keck, frech, schlagfertig – oder das Stück " Sensitive" Lawrence von Arabien. Einsatz einer Frame-Drum - arabisches Flair. Bei dem Stück kann man sich die endlose Weite, die Hitze und die Wüste vorstellen.
"Nowhere"bezieht sich auf Ethan Hunt aus Mission Impossible (gespielt von Tom Cruise). Rhythmisch sehr komplex. Das Stück steht ebenso wie die Titelstück von Mission Impossible im 5/4 Takt, es wechselt aber im Verlauf die Taktarten, die sich sogar teilweise überlagern. (6/8 über 4/4) Das Klaviersolo beginnt dann wieder mit einem 5/4, dann wechseln sich 6/4 und 4/4 taktweise ab, dann geht es in einen 15/8-Groove. Die Schnittstelle von diesem 15/8-Groove und dem Schluß-Thema, das wieder im 5/4 Takt steht, bildet ein kleines musikalisches Zitat aus dem Titelstück von Mission Impossible. Dieses Zitat ist das Bindeglied zwischen Solo und Schluß-Thema
" Mercury Dance": Ist Mata Hari gewidmet, die sich als indische Tempeltänzerin ausgab. Die komplexe Rhythmik des Themas soll an so einen Tanz erinnern. Ihr Leben endete tragisch > Schluß-Thema.
nrwjazz:Fließt das Thema "Codes-knacken" auch in Deine Live-Performance ein und wenn ja, wie soll das gehen?
Bei den Konzerten werden Hinweise zum Lösen der Codes gegeben. Das CD-Cover steckt voller mysteriöse Bilder, Grafiken, Zeichen-, Zahlen und Buchstabenfolgen, die alle eine Bedeutung haben. Es ist das Bindeglied zwischen der Musik und der Schatzsuche.
nrwjazz:Bei unseren Recherchen stellte sich heruas, dass Du mit der Firma SECUNET zusammengearbeitet hast. Secunet entwickelt und vertreibt IT-Sicherheitslösungen. Wie kam es zu diesem Kontakt und was hat SECUNET zu dieser produktion beigetragen?
Henning:Der Kontakt zu Secunet kam erst zu Stande, als das Projekt UNDERCOVER JOB schon fertig entworfen und die Musik aufgenommen war, aber die Schatzsuche noch technisch umgesetzt (=programmiert) werden musste.
Bei der Recherche zum Thema Kryptologie bin ich im Internet auf ein interessantes Kryptografie-Programm gestoßen. (siehehttp://www.cryptool.org). ich habe darüber Kontakt zu Herrn Prof. Esslinger (Uni Siegen), den Herausgebers dieses Projektes, bekommen.
Er hat mir dann netterweise ein Buch geschickt, an dem er – neben anderen – mitgearbeitet hat. Titel: "Die Erben der Enigma." Herausgeber Die SECUNET. Dieses Buch ist sehr gut geschrieben, spannend, mit einem tollen Layout und tollen Fotos. Da bin ich dann auf den Gedanken gekommen: Wenn die SECUNET so ein interessantes Buch herausgibt, dann ist sie vielleicht auch an meinem Projekt interessiert. Dann habe ich sie angeschrieben, sie fanden mein Projekt gut und haben es finanziell etwas unterstützt. Die SECUNET hatte aber keinerlei Einfluss auf die Idee und Konzeption von "Undercover Job".
nrwjazz:Um sich mit Deinem gesamten Angebot zu beschäftigen braucht man ziemlich viel Zeit. Glaubst Du das Dein Projekt von den Leuten überhaupt angenommen wird?
Henning:"Undercover Job" widerspricht bewusst dem heutigen Zeitgeist, bei dem alles unter Zeitdruck sofort verfügbar und frei erhältlich sein muss. Nichts soll verborgen sein. Ein Klick reicht, und man hat sofort alle Informationen über alles und jeden. Alles ist öffentlich.
Das Projekt "Undercover Job" ist anders. Z.B. das Cover: Hier gibt es lauter kryptische Buchstaben-, Zeichen- und Zahlenfolgen, die verborgene Nachrichten enthalten und entschlüsselt werden wollen, bevor man ihre Bedeutung erkennt. Ebenso ist es bei den Codes, die in der Musik versteckt sind. Um sie zu lösen, benötigt man Ruhe, Muße, Cleverness und viel Phantasie. Und noch etwas: Es gibt im Cover der CD noch einiges zu entdecken, was man auf den ersten Blick nicht erkennt. Das will ich aber an dieser Stelle noch nicht verraten.
nrwjazz:Wir wünschen Dir mit diesem Projekt sehr viel Erfolg und hoffen, dass es andere Jazzmusiker inspiriert ähnliche kreative Projekte zu entwickeln.
Mehr Infos aufwww.undercover-job.comundhttp://www.facebook.com/undercoverjob"